Vom Altreifen zum Türgriff

Pyrolyseöl und Biomethan ermöglichen Herstellung aus massenbilanziertem Kunststoff

Die BASF, Mercedes-Benz, Pyrum Innovations AG und WITTE Automotive schließen einen Wertstoffkreislauf durch Ersatz von fossilen Rohstoffen gemäß Massenbilanzverfahren. Das Produkt wird in verschiedenen Mercedes-Benz Serienmodellen eingesetzt. Dank der Verwendung von Pyrolyseöl aus Altreifen und Biomethan aus organischen Abfällen können nun fossile Rohstoffe in der Herstellung von Kunststoffen mit Neuwareeigenschaften ersetzt werden.

Mercedes-Benz S-Klasse, W223 – Foto © Alexander Migl – Eig. Werk, CC BY-SA 4.0, commons.wikimedia.org

Das Massenbilanz-Prinzip funktioniert wie beim Ökostrom: Obwohl der Verbraucher nicht weiß, ob exakt der Strom, den er im eigenen Haushalt verbraucht, direkt aus erneuerbaren Energien gewonnen wurde, steigt doch der Anteil von ökologisch erzeugtem Strom im Gesamtnetz mit der Nachfrage. In der chemischen Industrie werden recycelte oder biobasierte Rohstoffe am Anfang in die Produktion eingespeist und rechnerisch den Endprodukten zugeordnet. Das kalkulatorische Prinzip bietet Vorteile für die chemische Industrie: Treibhausgasemissionen werden reduziert und fossile Rohstoffe eingespart, während Produktqualität und -eigenschaften gleichbleiben. Die Produkte lassen sich genauso weiterverarbeiten wie herkömmlich hergestellte Stoffe. So müssen weder Formulierungen noch Anlagen oder Prozesse angepasst werden. Auch der Kunde, der massenbilanzierte Produkte kauft, kann sie wie gewohnt einsetzen und profitiert von der gleichen Qualität.

In der Herstellung des massenbilanzierten Kunststoffs für den Bügeltürgriff von ausgewählten Mercedes-Benz-Modellen kombiniert BASF erstmalig den Einsatz der alternativen Rohstoffe Pyrolyseöl, welches bei der Pyrum Innovations AG aus ausgedienten Reifen erzeugt wird, und Biomethan aus Abfällen und Resten der Landwirtschaft bzw. der Lebensmittelindustrie. Der so hergestellte Kunststoff, in diesem Fall ein Ultramid® Polyamid 6 mit 30-prozentiger Glasfaserverstärkung, hat die gleichen Eigenschaften wie Primärkunststoff und eignet sich daher ideal für den Einsatz in anspruchsvollen Fahrzeugkomponenten.

Im Sinne einer effizienten Kreislaufwirtschaft werden die massenbilanzierten Produkte noch in diesem Jahr in den Bügeltürgriffen der Mercedes-Benz S-Klasse und des EQE eingesetzt. „Lösungen wie diese helfen unseren Kunden bei der Erfüllung ihrer Nachhaltigkeitsziele,“ erklärt Dr. Martin Jung, President BASF Performance Materials. „Das ist unser Go!Create-Ansatz: Wir laden alle unsere Kunden und Partner ein, den Weg hin zu einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen gemeinsam mit uns zu gestalten. Mit diesem Bügeltürgriff bei Mercedes-Benz haben wir das beispielhaft gezeigt.“

Eine unabhängige Zertifizierung nach dem REDcert2-Schema belegt, dass die für das Endprodukt benötigten Mengen an fossilen Rohstoffen durch die jeweiligen Anteile an Pyrolyseöl und Biomethan ersetzt wurden. Diese ebenfalls zertifizierten Rohstoffe werden in das Produktionsnetz von BASF eingespeist, dem Kunststoff über den Massenbilanzansatz rechnerisch zugeordnet und an den BASF Kunden WITTE Automotive geliefert. Die nachfolgende Produktion der Bügeltürgriffe beim Automobilzulieferer wird dann gleichermaßen auf Basis des REDcert2-Standards extern auditiert.

Der für den Bügeltürgriff gemeinsam entwickelte Lösungsansatz wird zudem auf einen Crash-Absorber für die Mercedes-Benz S-Klasse übertragen. Als wichtiges Bauteil der vorderen Karosserie trägt der Crash-Absorber zu einem gleichmäßigen Abbau der Kräfte bei, die bei einem Frontalaufprall auf das Fahrzeug einwirken. Auch hierbei erfüllt ein massenbilanziertes Kunststoffcompound auf Basis von Pyrolyseöl und Biomethan der BASF die hohen Qualitätsanforderungen von Mercedes-Benz, insbesondere hinsichtlich der Crashsicherheit.

Von Kunststoffabfällen zu neuen Produkten

Durch die Verbesserung der Produktion, die Verwendung und das Recycling von Kunststoffen kommen die beteiligten Unternehmen ihren Nachhaltigkeitszielen nun einen Schritt näher. Für den gemeinsam entwickelten Lösungsansatz wurden die beteiligten Unternehmen am 5. Oktober 2022 als Gewinner des MATERIALICA Design + Technology Awards 2022 in der Kategorie Material in Berlin ausgezeichnet. Von der Jury wurde hierbei vor allem der partnerschaftliche Ansatz des Konsortiums entlang der Wertschöpfungskette als essenziell für Erfolge im Thema Nachhaltigkeit hervorgehoben.

Mercedes will „den Ressourcenverbrauch zunehmend vom Wachstum der Produktionsleistung zu entkoppeln. Darüber hinaus strebt die Mercedes-Benz AG an, den Anteil an recycelten Materialien in ihrer Pkw-Flotte bis 2030 auf durchschnittlich 40 Prozent zu erhöhen. „Über die Zusammenarbeit mit unserem Lieferantennetzwerk bringen wir schon ab diesem Jahr Bauteile in unterschiedlichen Fahrzeugmodellen in Serie, für die Pyrolyse-Öl unter anderem aus recycelten Pkw-Reifen von Mercedes-Benz fossile Rohstoffe ersetzt. Dafür beabsichtigen wir, jährlich mehrere hundert Tonnen Altreifen aus Mercedes-Benz Fahrzeugen chemisch zu recyceln und das dabei entstandene Kunststoffmaterial in unsere Neuwagen zurückzuführen. Gemeinsam mit unseren Partnern schließen wir so den Kreislauf und treiben die Entwicklung innovativer Recyclingverfahren aktiv voran“, sagt Markus Schäfer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG, Chief Technology Officer, Entwicklung & Einkauf. Für die Schließung des Wertstoffkreislaufs von Altreifen arbeitet Mercedes-Benz mit unterschiedlichen Partnern zusammen. Das Unternehmen setzt unter anderem auf das chemische Recycling von BASF. Aus den ausgedienten Autoreifen wird dafür bei der Pyrolysetechnologie-Firma Pyrum Innovations AG zunächst ein Pyrolyse-Öl erzeugt. Dieses kombiniert BASF mit Biomethan aus Landwirtschaftsabfällen. Unter Einsatz der beiden Rohstoffe kann ein vollkommen neuwertiger Kunststoff entstehen. Der Kunststoff ist nach dem sogenannten „Massenbilanzverfahren“ zertifiziert: Eine unabhängige Zertifizierung bestätigt, dass der Partner die für das Endprodukt benötigten Mengen an fossilen Ressourcen durch nachwachsende Rohstoffe und Pyrolyse-Öl aus recycelten Altreifen ersetzt hat. Die Kombination von Pyrolyse-Öl aus Altreifen und Biomethan kommt im Rahmen der Zusammenarbeit von Mercedes-Benz und BASF erstmals zum Einsatz.

BASF setzt auf Kreislaufwirtschaft

Das BASF ChemCycling™-Projekt konzentriert sich auf Kunststoffabfälle, die aus technologischen, ökonomischen oder ökologischen Gründen nicht mechanisch recycelt werden. Gemeinsam können mechanisches und chemisches Recycling die Recyclingraten erhöhen und zu einer stärkeren Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe beitragen. Sowohl recycelte als auch biobasierte Rohstoffe können fossile Ressourcen in der Produktion ersetzen und helfen, CO2-Emissionen einzusparen. Über einen von unabhängigen Prüfern auditierten Massenbilanzansatz wird der Anteil an recycelten und/oder biobasierten Rohstoffen im Verbund hergestellten Produkten zugeordnet. Diese sind unabhängig zertifiziert und haben exakt die gleichen Eigenschaften wie auf Basis fossiler Rohstoffe hergestellte Produkte. Kunden können diese auf die gleiche Weise weiterverarbeiten und in anspruchsvollen Anwendungen einsetzen.

->Quellen: