Scholz bei acatech: „Wissenschaft Raum lassen, ihre Magie zu entfalten“

20 Jahre Deutsche Akademie der Technikwissenschaften

Bei seiner Festrede über Innovationspolitik zum 20-jährigen Bestehen der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) am 18.10.2022 hat Bundeskanzler Scholz den hohen Stellenwert der Wissenschaft gerade in Krisenzeiten hervorgehoben. Wenn alte Gewissheiten zerstört würden, brauche es mehr denn je „Zauberkunst“, sagte er. Scholz dankte acatech für ihre Arbeit im Zukunftsrat. Das Gremium helfe, Innovationen voranzubringen und technologische Trends früh zu erkennen.

acatech-Türschild in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die weiteren Redner des Abends vertieften das Thema am Beispiel der Energieversorgung und verdeutlichten wie zentral das Ziel einer strategischen Souveränität für Deutschland und seine weltweiten Partner ist.

Die Deutsche Akademie der Technikwissen-schaften zeichnet sich dadurch aus, dass sie Innovationen von der Idee bis zur Anwendung durchdenkt und Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft an einen Tisch bringt.
(Bundeskanzler Olaf Scholz anlässlich der acatech-Festveranstaltung)

acatech-Präsident Jan Wörner skizzierte in seiner Rede aktuelle Herausforderungen der Innovationspolitik: „Deutschland muss gemeinsam mit seinen europäischen und weltweiten Partnern strategische Souveränität erreichen, die Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit umfasst. Diesen Dreiklang erreichen wir nur durch Innovation. Wir brauchen resiliente Wertschöpfungs- Liefer- und Innovationsnetzwerke ohne einseitige Abhängigkeiten. Dabei muss die Maxime sein, dass wir ausrüsten statt aufrüsten – und zwar in internationaler Partnerschaft. Nationaler Egozentrismus und Autarkiestreben helfen nicht weiter.“

Wege aus der Energiekrise

Wie empfindlich einseitige Abhängigkeiten auf Deutschland und seine Bevölkerung zurückfallen können, zeige sich aktuell besonders deutlich an der Energiekrise. In zwei Impulsen vertieften die Rednerinnen des Abends daher Fragen strategischer Souveränität am Beispiel der Energieversorgung. Marie-Luise Wolff, Vorsitzende des Vorstands der ENTEGA AG und Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. hob hervor: „Die hohen Energiepreise sind eine erhebliche Belastung für Haushalte und Wirtschaft. Es ist daher gut, dass die Bundesregierung bereits zahlreiche Entlastungsmaßnahmen ergriffen hat. In der Krise dürfen wir jedoch auch den Klimaschutz nicht aus den Augen verlieren. Ganz im Gegenteil: Ein konsequenter Ausbau der Erneuerbaren Energien hilft uns nicht nur, unabhängig von fossilen klimaschädlichen Energieträgern zu werden, sondern trägt auch dazu bei, die Energiepreise nachhaltig zu senken. Die Bundesregierung muss deshalb dringend alle Hemmnisse für den Erneuerbaren-Ausbau aus dem Weg räumen.“

Veronika Grimm, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg und Wirtschaftsweise, erläuterte, dass sich die Abhängigkeit der EU von Energieimporten aus Drittstaaten deutlich verringern ließe – aktuell liege diese noch bei mehr als 50 Prozent: „Durch den Wegfall der russischen Gaslieferungen wird die Versorgungslage bis weit ins Jahr 2024 angespannt bleiben. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen gemeinsam das Energieangebot stärken und gleichzeitig durch Effizienzbemühungen Energie einsparen. Ausreichend Gas für die Industrie wird es nur geben, wenn die Haushalte ihren Verbrauch reduzieren und auch die Gasverstromung so weit wie möglich reduziert wird. Es sollten daher alle verfügbaren Kohlekraftwerke an den Markt und auch der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke darf kein Tabu sein. Denn der Ausbau der Erneuerbaren Energien kann nicht schnell genug für Entspannung am Strommarkt sorgen. Die ambitionierten Ausbaupfade für die Erneuerbaren, der Ausbau der Energienetze und der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft werden aber der Schlüssel dafür sein, bei der Energiewende schnell wieder auf Kurs zu kommen. Der im Koalitionsvertrag angestrebte Kohleausstieg 2030 ist erreichbar, wenn der Zubau von Gaskraftwerken gelingt, die perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden.“

Ziel Zukunft und der Weg dahin

„Deutschland braucht nicht nur ein gemeinsam getragenes Zukunftsbild, sondern muss auch einen Weg definieren und gemeinsam beschreiten“, forderte acatech-Präsident Reinhard Ploss. Dafür biete acatech nicht nur eine breite beratende Plattform aus Wissenschaft und Unternehmen, sondern bringe auch konkrete Innovationsvorhaben auf den Weg. Mit dem Mobility Data Space, der KI-Plattform Lernende Systeme und dem Deutschland Hub der Gaia-X Initiative stelle acatech Strukturen bereit, in denen gemeinschaftliche Datenräume und ein digitaler Wandel nach europäischen Rechts- und Wertevorstellungen möglich werden. „Gleichzeitig brauchen wir in Deutschland ein Klima des Aufbruchs und der Freude am Ausprobieren: Wir müssen voranschreiten, lernen und wenn notwendig korrigieren, Zukunft entsteht nicht in der Enge, wenn wir früh überall Grenzen setzen. Auch die Regulierung technologischen Fortschritts sollte ein lernendes System sein, das Chancen ermöglicht, aber Missbrauch oder Fehlentwicklungen effizient entgegenwirkt“, so Reinhard Ploss.

Doch nicht nur die Politik sei gefragt durch strategische Innovationspolitik Handlungsräume zu schaffen. „Jeder muss mitmachen“ ist das Credo, dass Reinhard Ploss den Gästen der Festveranstaltung mit auf den Weg gab. „Der Weg in die Zukunft ist Verhandlungssache. Lassen Sie uns aktiv bleiben. Lassen Sie uns Zukunft selbstbestimmt gestalten.“

Über das Vorstellbare hinaus gehen

In seiner Rede betonte Scholz, für technologischen Fortschritt und Innovationen brauche es Forscherinnen und Forscher mit freien Ideen und wissenschaftlicher Neugier. Diese Magie vollbringe acatech „tagtäglich, indem Sie Innovationen von der ersten Idee bis zur Anwendung durchdenken und Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft an einen Tisch bringen“. Acatech sei eine Bereicherung für Deutschland und eine zwingend notwendige Investition in unsere Zukunft.

Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) ist die von Bund und Ländern geförderte nationale Akademie und Stimme der Technikwissenschaften im In- und Ausland. Bundespräsident Steinmeier ist Schirmherr. Acatech berät Politik und Gesellschaft in technikwissenschaftlichen und technologiepolitischen Zukunftsfragen.

Wenn alte Gewissheiten zerstört werden, brauche es mehr denn je Zauberkunst in diesen Krisenzeiten, so der Bundeskanzler. Russlands Krieg hätte diese Gewissheiten zerstört, in dem es „mit Gewalt die Grenzen Europas verschieben will und einem anderen Land das Existenzrecht abspricht“. Die Tapferkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer, wie sie um ihre Freiheit, ihr Land und ihr Leben kämpfen, sei bewundernswert. Man werde die Ukraine weiter unterstützen – und zwar so lange wie nötig, bekräftigte Scholz.

Energieversorgung unabhängig von Russland

Russlands Krieg habe auch ganz deutlich gezeigt, dass es um mehr gehe, nämlich „um unsere Regeln der Zusammenarbeit und des Zusammenhalts, unsere Werte und unseren Wohlstand“. Die Zeitenwende betreffe daher jede und jeden von uns. „Jetzt erst recht müssen wir die Transformation unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität voranbringen und unabhängig von fossilen Brennstoffen werden“, sagte Scholz. Deutschland stelle sich daher den Themen der Zukunft und müsse seine Energieversorgung unabhängig von Russland organisieren können. Als Positivbeispiele nannte Scholz, dass schon zum Jahreswechsel die ersten Flüssiggasterminals ans Netz gingen. Zudem seien die Gas-Speicher jetzt schon zu 95 Prozent gefüllt.

Um die Herausforderungen des „größten Wandels seit Beginn der Industrialisierung“ zu bewältigen, nämlich die Doppeltransformation aus Dekarbonisierung und Digitalisierung, „brauchen wir die nötigen Technologien und den engen Austausch zwischen Politik und Technikwissenschaften“, so der Bundeskanzler weiter.

Technologische Souveränität ist das Ziel

An acatech gewandt, wies Scholz auf den Auftakt vor 20 Jahren hin: „Sie haben immer wieder für Fortschritt gesorgt. Sie haben entscheidend dabei mitgeholfen, die universitäre Ausbildung von Ingenieuren den Anforderungen der Zeit anzupassen“. Die Prognosen zur Entwicklung der Mobilität seien eine wichtige Grundlage der Verkehrspolitik. Früh hätte acatech erkannt, wie wichtig das Feld der Medizintechnologie ist. Zusammenarbeit über die Disziplinen hinweg wäre dabei „von Tag 1 an Teil der DNA von acatech“, genauso wie die Vermittlung, was Technologie für die Bürgerinnen und Bürger bedeute.

Deshalb müsse Deutschland seine Souveränität bei bestimmten Schlüsseltechnologien behaupten, so der Bundeskanzler. „Ich denke etwa an Halbleiter, Mikro- und Quantenelektronik, an Kommunikations- und Energietechnologien und natürlich auch an Künstliche Intelligenz“. Ein weiteres Beispiel, das Hoffnung mache, seien die Quantentechnologien. „In der Forschung sind wir auf diesem Feld bereits weltweit vorne dabei“.

Agentur für Transfer und Innovation geplant

Um Forschungsergebnisse in Anwendung zu bringen und den Beginn einer Wertschöpfungskette zu bilden, möchte die Bundesregierung Gründern und Startups den Schritt in die Geschäftswelt erleichtern. „Dazu schaffen wir eine Agentur für Transfer und Innovation, die Wissenschaft, Wirtschaft und staatliche Stellen zusammenbringt“, so Scholz.

Hierbei sei man auf die Expertise von acatech angewiesen, so der Bundeskanzler. Ein gutes Beispiel dafür, wie eine von acatech mitinitiierte und entwickelte Idee inzwischen in ganz Europa Schule mache, sei der „Mobility Data Space“.

Der Mobility Data Space sei eines der Leuchtturmprojekte bei Gaia-X, lebe vom Datenaustausch zwischen Automobilindustrie, Mobilitätsdienstleistern und Kommunen und zeige die „notwendige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, zwischen Gemeinden, Ländern, dem Bund und Europa“, sagte Scholz in seiner Festrede. Im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Zukunftsprojekt „Industrie 4.0.“ und den Themen Künstliche Intelligenz und Robotik nannte Bundeskanzler Scholz in seiner Rede die bei acetech angesiedelte „Plattform Lernende Systeme“.

Forschung und Erfindergeist als Schlüssel zu Wasserstoffanwendung

Auch Grüner Wasserstoff und die Wasserstofftechnologien seien ein „Mega-Thema“, so Bundeskanzler Scholz, und bestimmten das Gelingen der Energiewende und „damit die gesamte Transformation unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität“. Der Schlüssel zur groß-industriellen Anwendung von Wasserstoff seien Forschung und Erfindergeist. Hierbei leiste acatech wichtige Beiträge etwa mit der „Plattform Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) und dem „Wasserstoff-Kompass“.

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