Erdklima stabilisiert sich selbst

Aber über welchen Zeitraum…?

Es ist eines der größten Rätsel des Erdklimas, warum es so (relativ) stabil ist. Wissenschaftler haben nun bestätigt, dass eine „stabilisierende Rückkopplung“ auf einer Zeitskala von 100.000 Jahren die globalen Temperaturen in Schach hält. Das Klima der Erde hat sich stark verändert, von globalem Vulkanismus über Eiszeiten, die den Planeten abkühlen, bis hin zu dramatischen Verschiebungen der Sonneneinstrahlung. Und doch hat sich das Leben in den vergangenen 3,7 Milliarden Jahren nicht verändert. Constantin W. Arnscheidt und Daniel H. Rothmann vom Massachusetts Institute of Technology berichten nun laut spektrum der wissenschaft open access in Science Advances, die Temperaturschwankungen seien über Zeiträume bis 400.000 Jahre nicht größer als auf Zeitskalen von etwa 4.000 Jahren gewesen.

Mittelmeer bei Rosas – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, Solarify

Das Klima in der Erdgeschichte war variabel und manchmal extrem. Doch wie wird dies erreicht? Ein wahrscheinlicher Mechanismus ist die „Silikatverwitterung“ – ein geologischer Prozess, bei dem die langsame und stetige Verwitterung von Silikatgestein chemische Reaktionen hervorruft, die vergangenlich Kohlendioxid aus der Atmosphäre in die Sedimente der Ozeane ziehen und das Gas in den Felsen einschließen.

Silikatverwitterung

Wissenschaftler vermuten seit langem, dass die Silikatverwitterung eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Kohlenstoffkreislaufs der Erde spielt. Der Mechanismus der Silikatverwitterung könnte eine geologisch konstante Kraft darstellen, die Kohlendioxid – und die globalen Temperaturen – in Schach hält. Bislang gab es jedoch keine direkten Beweise für das kontinuierliche Funktionieren einer solchen Rückkopplung. Zudem weisen die beiden Forscher darauf hin, dass ihr Befund nur teilweise erklärt, warum die Erde lebensfreundlich blieb. Oberhalb von etwa 400 000 Jahren steigen die Schwankungen wieder wie theoretisch erwartet mit der Zeit – über sehr lange Zeiträume scheint es keinen mildernden Einfluss mehr auf das Erdklima zu geben. Es ist also womöglich doch bloß Zufall, dass keiner dieser Klimaausreißer groß genug war, das Leben auf der Erde auszulöschen.

Die neuen Erkenntnisse beruhen auf einer Untersuchung von Paläoklimadaten über Veränderungen der globalen Durchschnittstemperaturen in den vergangenen 66 Millionen Jahren. Das MIT-Team prüfte mittels mathematischer Analysen, ob die Daten irgendwelche Muster erkennen lassen, die für stabilisierende Phänomene charakteristisch sind, die die globalen Temperaturen auf einer geologischen Zeitskala zügeln. Sie fanden heraus, dass es in der Tat ein einheitliches Muster zu geben scheint, bei dem die Temperaturschwankungen der Erde über Zeiträume von Hunderttausenden von Jahren gedämpft werden. Die Dauer dieses Effekts ähnelt den Zeiträumen, über die die Silikatverwitterung wirken soll.

Die Ergebnisse sind die ersten, die anhand tatsächlicher Daten die Existenz einer stabilisierenden Rückkopplung bestätigen, deren Mechanismus wahrscheinlich die Silikatverwitterung ist. Diese stabilisierende Rückkopplung würde erklären, wie die Erde durch dramatische Klimaereignisse in der geologischen Vergangenheit bewohnbar geblieben ist.“Einerseits ist es gut, weil wir wissen, dass die heutige globale Erwärmung durch diese stabilisierende Rückkopplung schließlich aufgehoben wird“, sagt Constantin Arnscheidt, Doktorand am MIT Department of Earth, Atmospheric and Planetary Sciences (EAPS). „Andererseits wird es Hunderttausende von Jahren dauern, bis dies geschieht, also nicht schnell genug, um unsere heutigen Probleme zu lösen.“

Stabile Daten

Wissenschaftler haben schon früher Hinweise auf einen klimastabilisierenden Effekt im Kohlenstoffkreislauf der Erde gefunden: Chemische Analysen alter Gesteine haben gezeigt, dass der Fluss von Kohlenstoff in die und aus der Umgebung der Erdoberfläche selbst bei dramatischen Schwankungen der globalen Temperatur relativ ausgeglichen geblieben ist. Außerdem sagen Modelle der Silikatverwitterung voraus, dass dieser Prozess eine gewisse stabilisierende Wirkung auf das globale Klima haben sollte. Und schließlich deutet die Tatsache, dass die Erde dauerhaft bewohnbar ist, auf eine inhärente, geologische Kontrolle extremer Temperaturschwankungen hin.

„Sie haben einen Planeten, dessen Klima so vielen dramatischen äußeren Veränderungen unterworfen war. Warum hat das Leben all diese Zeit überlebt? Ein Argument ist, dass wir eine Art Stabilisierungsmechanismus brauchen, um die Temperaturen für Leben geeignet zu halten“, sagt Arnscheidt. „Aber es konnte noch nie anhand von Daten nachgewiesen werden, dass ein solcher Mechanismus das Klima der Erde dauerhaft kontrolliert hat“. Arnscheidt und Rothman versuchten zu bestätigen, ob tatsächlich eine stabilisierende Rückkopplung am Werk war, indem sie Daten über globale Temperaturschwankungen im Laufe der Erdgeschichte untersuchten. Sie arbeiteten mit einer Reihe von globalen Temperaturaufzeichnungen, die von anderen Wissenschaftlern zusammengestellt wurden, von der chemischen Zusammensetzung alter Meeresfossilien und Muscheln bis hin zu erhaltenen antarktischen Eiskernen.

„Diese ganze Untersuchung ist nur möglich, weil es große Fortschritte bei der Verbesserung der Auflösung dieser Tiefsee-Temperaturaufzeichnungen gegeben hat“, so Arnscheidt. „Jetzt haben wir Daten, die 66 Millionen Jahre zurückreichen, mit Datenpunkten, die höchstens Tausende von Jahren auseinander liegen.

Mit Vollgas zum Stillstand

Auf die Daten wandte das Team die mathematische Theorie der stochastischen Differentialgleichungen an, die üblicherweise verwendet wird, um Muster in stark schwankenden Datensätzen aufzudecken. „Wir erkannten, dass diese Theorie Vorhersagen darüber macht, wie die Temperaturentwicklung der Erde aussehen würde, wenn es Rückkopplungen auf bestimmten Zeitskalen gegeben hätte“, erklärt Arnscheidt. Mit diesem Ansatz analysierte das Team die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperaturen in den vergangenen 66 Millionen Jahren und betrachtete den gesamten Zeitraum auf verschiedenen Zeitskalen, z. B. Zehntausende von Jahren gegenüber Hunderttausenden von Jahren, um zu sehen, ob sich innerhalb jeder Zeitskala irgendwelche Muster stabilisierender Rückkopplungen ergeben.

„In gewisser Weise ist es so, als würde Ihr Auto auf der Straße rasen, und wenn Sie auf die Bremse treten, rutschen Sie lange Zeit, bevor Sie anhalten“, sagt Rothman. „Es gibt eine Zeitspanne, in der der Reibungswiderstand oder eine stabilisierende Rückkopplung einsetzt, wenn das System in einen stabilen Zustand zurückkehrt. Ohne stabilisierende Rückkopplungen sollten die Schwankungen der globalen Temperatur auf einer bestimmten Zeitskala zunehmen. Die Analyse des Teams ergab jedoch ein Regime, in dem die Fluktuationen nicht zunahmen, was bedeutet, dass ein stabilisierender Mechanismus im Klima herrschte, bevor die Fluktuationen zu extrem wurden. Die Zeitskala für diesen stabilisierenden Effekt – Hunderttausende von Jahren – deckt sich mit dem, was Wissenschaftler für die Silikatverwitterung vorhersagen.

Interessanterweise stellten Arnscheidt und Rothman fest, dass die Daten auf längeren Zeitskalen keine stabilisierenden Rückkopplungen erkennen lassen. Das heißt, es scheint keinen wiederkehrenden Rückzug der globalen Temperaturen auf Zeitskalen von mehr als einer Million Jahren zu geben. Was hat also über diese längeren Zeiträume die globalen Temperaturen in Schach gehalten? „Es gibt die Idee, dass der Zufall eine wichtige Rolle dabei gespielt haben könnte, warum es nach mehr als 3 Milliarden Jahren immer noch Leben gibt“, meint Rothman. Oberhalb von etwa 400 000 Jahren steigen die Schwankungen wieder wie theoretisch erwartet mit der Zeit – über sehr lange Zeiträume scheint es keinen mildernden Einfluss mehr auf das Erdklima zu geben. Es ist also womöglich doch bloß Zufall, dass keiner dieser Klimaausreißer groß genug war, das Leben auf der Erde auszulöschen.

Mit anderen Worten: Wenn die Temperaturen auf der Erde über längere Zeiträume schwanken, sind diese Schwankungen im geologischen Sinne vielleicht nur klein genug, um in einem Bereich zu liegen, in dem eine stabilisierende Rückkopplung, wie die Silikatverwitterung, das Klima regelmäßig in Schach halten kann, und zwar in einer bewohnbaren Zone.

„Es gibt zwei Lager: Die einen sagen, dass der Zufall als Erklärung ausreicht, und die anderen, dass es eine stabilisierende Rückkopplung geben muss“, sagt Arnscheidt. „Wir sind in der Lage, anhand der Daten zu zeigen, dass die Antwort wahrscheinlich irgendwo dazwischen liegt. Mit anderen Worten: Es gab eine gewisse Stabilisierung, aber auch reines Glück spielte wahrscheinlich eine Rolle, um die Erde dauerhaft bewohnbar zu halten.“ Oberhalb von etwa 400 000 Jahren steigen die Schwankungen wieder wie theoretisch erwartet mit der Zeit – über sehr lange Zeiträume scheint es keinen mildernden Einfluss mehr auf das Erdklima zu geben.

Meinungsvielfalt: Im nächsten spektrum-Artikel heißt es: „Das Erdklima ist definitiv nicht im Gleichgewicht“.

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