Wasserstoff schadet mehr als CO2
„Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist“, schrieb Jules Verne schon 1875 in seinem Buch „Die geheimnisvolle Insel“. Bereits 37 Jahre zuvor hatte der schwäbische Chemiker und Physiker Christian Friedrich Schönbein (1799–1868) das Prinzip der Brennstoffzelle entdeckt, mit der aus dem Verbrennen von Wasserstoff elektrischer Strom gewonnen werden kann. Der Prototyp eines Traktors mit Brennstoffzelle wurde schon 1959 entwickelt. Die Nasa nutzte in den 1960er Jahren Brennstoffzellen als Energiequellen für Weltraumraketen. Dennoch konnte sich die Technologie in der Fahrzeugtechnik bis heute nicht recht durchsetzen.
Die Umwandlung von Wasserstoff in Ammoniak für den Transport, die anschließende Rückgewinnung des Wasserstoffs sowie für die CO2-Abscheidung und unterirdische Speicherung bedingt starke Energieverluste. Nach einer Studie der Cornell University in Ithaca (USA) kann bei der Förderung von Erdgas bis zu 3,5 Prozent als Methan entweichen, ein Gas, dessen Treibhauspotenzial 25-mal so groß ist wie das von CO2. Beim Herstellungsprozess kann das CO2 demnach auch nur zu 53 bis 90 Prozent abgeschieden und gespeichert werden. Insgesamt könne blauer Wasserstoff sogar klimaschädlicher sein als die direkte Verbrennung fossiler Brennstoffe. Er sei unverntwortlich, auch als Übergangslösung, kritisiert Lucas Schäfer, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg.
Rund um den Globus wird unter Hochdruck und mit Milliardeneinsatz daran gearbeitet, die Wasserstoffproduktion hochzufahren und die technischen Voraussetzungen für den Einsatz zu schaffen. Auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft sind Rückschläge nicht vorgesehen. Doch wenn Wasserstoff in die Atmosphäre entweicht, schadet er dem Klima deutlich stärker als Kohlendioxid. Andrea Lübcke von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) schreibt dem Wasserstoff „zwar keine direkte Klimawirkung“ zu. Weil er aber „die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert, hat er eine indirekte Klimawirkung.“ Nach Auskunft anderer sei das Problem mit dem Wasserstoff, dass er, wenn er in die Atmosphäre entweicht, die Konzentration von Molekülen verringere, welche die bereits vorhandenen Treibhausgase zerstören, was möglicherweise zur globalen Erwärmung beitrage.
Politische Entscheidungsträger sollten sich über die Gefahr im Klaren sein, dass das Potenzial von grünem Wasserstoff von vielen Akteuren überschätzt wird, so PIK-Forscher Gunnar Luderer: „Selbst bei einer günstigen Entwicklung in absehbarer Zukunft wird das Wasserstoffangebot viel zu knapp sein, um die Nutzung fossiler Brennstoffe in wirklich großem Umfang zu ersetzen. Politische Entscheidungsträger sollten Anreize für den Einsatz von Wasserstoff in Sektoren schaffen, in denen es keine anderen Alternativen gibt, wie beispielsweise in der Stahlindustrie. Wasserstoff darf jedoch nicht als Vorwand dienen, um die Einführung anderer, leicht verfügbarer sauberer Optionen wie Elektromobilität oder Wärmepumpen zu verzögern. Um den Ausstoß von Treibhausgasen wirksam zu reduzieren und die Klimarisiken zu begrenzen, müssen wir sämtliche wichtigen kohlenstofffreien Technologien gleichzeitig und mit voller Kraft einsetzen.“
Während Regierungen und Energieunternehmen große Wetten auf den viel gepriesenen Kraftstoff der Zukunft abschließen, befürchten manche Wissenschaftler, der Mangel an Daten über Lecks und die potenziellen Schäden, die sie verursachen könnten, einen blinden Fleck für die aufstrebende Industrie darstelle. Die Regierungen treiben jedoch die finanzielle Unterstützung der Branche voran. Die Vereinigten Staaten haben in ihrem Inflation Reduction Act Steuergutschriften in Milliardenhöhe für grünen Wasserstoff vorgesehen, und die Europäische Union hat im September Subventionen in Höhe von 5,2 Milliarden Euro (5,5 Milliarden Dollar) für grüne Wasserstoffprojekte genehmigt.
Da es keine Technologie zur Überwachung von Wasserstofflecks gebe, bestehe eine Datenlücke, und es seien weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um die Nettoauswirkungen auf die globale Erwärmung zu berechnen, bevor endgültige Investitionsentscheidungen getroffen werden. Die Columbia University, der Environmental Defense Fund, ein gemeinsames Projekt der Universitäten Cambridge und Reading sowie das Beratungsunternehmen Frazer-Nash Consultancy haben Studien über das Risiko von Lecks veröffentlicht, die den Klimavorteil von grünem Wasserstoff infrage stellen können. „Wir brauchen viel bessere Daten. Wir brauchen viel bessere Geräte zur Messung der Leckagen und wir brauchen Vorschriften, die die Messung der Leckagen tatsächlich erzwingen“, sagte Anne-Sophie Corbeau, Forscherin am Center on Global Energy Policy der Columbia University. Sie schätzt, dass die Leckageraten bis 2050 bis zu 5,6 % erreichen könnten, wenn Wasserstoff in größerem Umfang eingesetzt wird.
Auch das norwegische Klimaforschungsinstitut CICERO arbeitet an einer dreieinhalbjährigen Studie über die Auswirkungen von Wasserstoffemissionen, die im Juni 2024 abgeschlossen werden soll. Maria Sand, die Leiterin der Studie, sieht diesbezüglich eine große Lücke in der Wissenschaft: „Wir müssen uns der Leckagen bewusst sein, wir brauchen Antworten. Es gibt ein großes Potenzial für Wasserstoff, wir müssen nur mehr wissen, bevor wir die große Umstellung vornehmen.
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