Europa (wieder mal) uneins bei Erneuerbaren
Die Mehrheit der EU-Länder favorisiert das 40-Prozent-Ziel für erneuerbare Energien bis 2030 – weit entfernt von den 45-Prozent, welche die Europäische Kommission vorgeschlagen hatte und die vom EU-Parlament Anfang 2022 mit großer Mehrheit als Reaktion auf Russlands Überfall auf die Ukraine beschlossen worden sind, so Frédéric Simon am 28.12.2022 auf euractiv.com.
Die Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien sei „ein Schlüsselelement unserer Agenda zum Ausstieg aus den russischen fossilen Brennstoffen“ und zur Isolierung Moskaus, sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson am 19.12.2022 im Rahmen einer Sitzung des EU-Energierates. Die 51 Gigawatt an Wind- und Solarkapazität, die bis 2022 installiert wurden, hätten der EU geholfen, rund 10 Milliarden Kubikmeter Gas einzusparen, fügte sie hinzu, um den Beitrag der erneuerbaren Energien zur Energieunabhängigkeit Europas zu verdeutlichen.
Das Europäische Parlament sieht das ähnlich. Im September stimmten die Abgeordneten mit überwältigender Mehrheit für das 45-Prozent-Ziel. Die Meinung der Abgeordneten ist wichtig, da das Parlament bei der Verabschiedung von EU-Gesetzen das gleiche Mitspracherecht hat wie die EU-Mitgliedstaaten. Die 27 Energieminister:innen der EU konnten jedoch lediglich eine Mehrheit für das 40 Prozent-Ziel finden, das die EU-Exekutive im Jahr vor der russischen Invasion vorgeschlagen hatte, und wiederholten damit eine Haltung, die sie bereits auf einem früheren Treffen im Juni zum Ausdruck gebracht hatten. Nachdem der Standpunkt des Rates formell angenommen wurde, können nun sogenannte Triloggespräche zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat und dem Parlament stattfinden, um einen Kompromiss zu finden. Da die Positionen immer noch weit auseinander liegen, bleibt dabei noch einiges an Gesprächsbedarf.
Unterstützt wurde sie von Bulgarien und der Slowakei sowie vom ungarischen Minister, der darauf bestand, „das Gesamtziel der EU für erneuerbare Energien von 40 Prozent“ beizubehalten. Rumänien schloss sich dieser Ansicht an und erklärte, ein Ziel von 45 Prozent würde für die EU-Mitgliedsstaaten „zu einer größeren Unsicherheit“ bei der Erreichung ihrer Ziele führen.
Andere jedoch waren anderer Meinung
So sprachen sich acht EU-Länder in einer gemeinsamen Erklärung – Österreich, Dänemark, Estland, Deutschland, Griechenland, Luxemburg, Portugal und Spanien – für das 45-Prozent-Ziel aus und forderten bei den anstehenden Gesprächen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission zur Fertigstellung des Gesetzes eine „Steigerung der Ambitionen.“
Claude Turmes, der luxemburgische Energieminister, sagte, dass die EU-Länder „schlecht beraten“ wären, sich mit einem niedrigeren Ziel zufrieden zu geben. „Wenn wir den Klimawandel erfolgreich bekämpfen und unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern wollen, müssen wir uns höhere Ziele für erneuerbare Energien setzen“, sagte er. Bundesenergieminister Robert Habeck stimmte dem zu. „Wir müssen das Ziel ändern“, sagte er und unterstützte die Forderungen seiner Kollegen aus Portugal und Luxemburg, die ein Ziel von 45 Prozent für Erneuerbare Energien befürworten.
Während des Treffens warb Turmes um Unterstützung für die von acht EU-Mitgliedstaaten unterstützte, gemeinsame Erklärung zugunsten des 45-Prozent-Ziels. „Wenn wir diese Länder zusammenzählen, haben wir eine Sperrminorität“, sagte er am Ende des Gesprächs.
Kroatien und Irland stimmten für das 40-Prozent-Ziel in dem von der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Kompromisstext, erklärten aber, dass sie bereit seien, bei den anstehenden Gesprächen mit dem Parlament zur Fertigstellung des Gesetzes ein höheres Ziel in Betracht zu ziehen. Und Finnland erklärte, man werde „das 45-Prozent-Ziel unterstützen, wenn es in die nächste Phase der Verhandlungen geht.“ Die Niederlande ihrerseits erklärten, sie würden sich über ein ehrgeizigeres Ziel „freuen“, könnten aber mit der von Dänemark vorgeschlagenen Spanne von 40 bis 45 Prozent leben.
Frankreich war das einzige prominente EU-Land, das in dieser Angelegenheit wortkarg blieb. Ministerin Agnès Pannier-Runacher sagte lediglich, dass Paris die Entwicklung erneuerbarer Energien in Europa „natürlich“ befürworte. Sie fügte jedoch hinzu, dass Frankreich „alles, was dazu beiträgt“, die Wirtschaft zu dekarbonisieren und aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, befürworte – und damit auch die Kernenergie.
Abschließende Gespräche nach dem Jahreswechsel
Die Richtlinie über Erneuerbare Energien geht nun in die letzte Phase der Verabschiedung. Nach dem Jahreswechsel sollen unter der schwedischen Ratspräsidentschaft Dreiergespräche zwischen den EU-Ländern, der Kommission und dem Parlament stattfinden. Im Rahmen einer Pressekonferenz nach der Ratssitzung konnte Kommissarin Simson ihre Enttäuschung über die Entscheidung der Minister:innen, ein 40-Prozent-Ziel zu unterstützen, nicht verbergen. „Natürlich war der ursprüngliche Vorschlag der Kommission wesentlich ehrgeiziger“, räumte sie ein. „In der Praxis sehen wir, dass es eine Chance gibt, ein höheres Ziel als 40 Prozent für erneuerbare Energien zu erreichen“, fügte Simson hinzu und äußerte die Hoffnung, dass die EU-Mitgliedstaaten bei den Gesprächen mit dem Europäischen Parlament ihre Ambitionen erhöhen werden.
Bei der letzten Aktualisierung der EU-Richtlinie über erneuerbare Energien im Jahr 2018 waren die EU-Institutionen ähnlich uneins und stritten zwischen einem Ziel von 30 und 35 Prozent. Am Ende einigten sie sich auf halbem Weg auf 32,5 Prozent.
->Quelle: euractiv.de/eu-startet-in-den-kampf-ums-erneuerbaren-ziel