Energiewende ja, aber wie?

mit freundlicher Genehmigung von Ralf Schnitzler

„Kürzlich habe ich unter dem Titel „Solarparks – wo sollen die Flächen herkommen?„auf ‚3sat‚ einen Beitrag über Biodiversitäts-(Biodiv)-Solarparks gesehen – Anlass für diesen Text, denn darin wzrde etwas gesagt, was gerade viele verbreiten, uns bei der Energiewende aber in eine falsche Richtung führt.

Dieser Artikel erschien am 24.01.2023 im Portal pv magazine – Kommentare geben Meinung und Informationen der Autoren wider.

PV-Feld in Brandenburg – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

In der Sendung erzählt Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und aktuell Chefplaner der Energiewende, sein Haus fördere derzeit Speicher in Privathaushalten. Diese täten damit genau das ‚Richtige‘. Für Speicher außerhalb dieses Systems sieht er noch keine Notwendigkeit. Graichen setzt auf den ‚Markt‘. Er spricht von Elektroautos als Speicher und weiß nicht, ob man viele ‚zentrale‘ Speicher brauchen wird, oder ob ein dezentrales System das Bessere ist.

Das ist dann doch irritierend. Denn wer im Zusammenhang mit der Energiewende an den ‚Markt‘ glaubt, der glaubt wahrscheinlich auch an den Osterhasen. Speicher in Privathaushalten scheinen mir auch keine kluge Idee, wenn man ganz nüchtern und konsequent die Energiewende vom Ende her denkt. Die Energiewende bedarf eines sehr langfristigen, systemischen Blicks in die Zukunft gemeinwohlorientiert über alle Sektoren. Hier ist mein Vorschlag, wie das aussehen könnte:

Wir werden einen jährlichen Bedarf von 1300 bis 2000 Terawattstunden Strom haben, um alle Sektoren mit ausreichend Energie zu versorgen (Anm.: Stromproduktion derzeit ca. 500 TWh pro Jahr). Der größte Teil davon wird Solarstrom sein, in Solarparks erzeugt, die überall im Land betrieben werden. Das führt zu Energieautarkie, möglichst in jeder Region, mit maximaler Wertschöpfung vor Ort und minimalen Energietransporten zwischen den Regionen. Die Hauptakteure der Energiewende werden die Stadtwerke sein.

Bei diesem Szenario ist es notwendig, tagsüber und vor allem im Sommerhalbjahr eine gewaltige Energiemenge nicht nur für eine Nacht in Batterien, sondern in verschiedensten Formen über Monate hinweg für den Winter speichern zu können. Zum einen, um den Bedarf an Energie jederzeit decken zu können und zum anderen, um Photovoltaik und Wind nicht abregeln zu müssen. Weil das sehr viel Energiespeicherung bedeutet – mit der wir auf jeden Fall schon jetzt anfangen sollten – sollten wir sehr genau darauf achten, wie das kostengünstig, effizient und sicher gelingen kann.

Argumente gegen Speichern im Privathaushalt

Was ist das Irritierende an der Vorstellung, dass Speicher in Privathaushalten oder in Elektroautos eine gute Sache seien? Stromspeicher am äußersten Rand des Netzes haben gravierende Nachteile:

Wie würde das konkret aussehen? Der eine speichert ein, weil er gerade eine Erzeugungsspitze hat, ein anderer speichert gleichzeitig aus, weil er gerade eine Verbrauchsspitze hat. Umgekehrt geht es natürlich auch: Einer speichert aus, weil er Platz im Speicher für die nächste Erzeugungsspitze machen will, ein anderer speichert ein, weil er gerade keinen Bedarf hat und eine Reserve für seine nächste Verbrauchsspitze haben will. In beiden Fällen wäre es besser, den erzeugten Strom ohne Ein- und Ausspeichern direkt zu verbrauchen. Mit einer Ausnahme: Das Netz zwischen beiden wäre gerade an seiner Leistungsgrenze.

Der Speicherbetrieb beim Endverbraucher ist eine Fehlallokation von Ressourcen. Ein Kompromiss wäre es, wenn die Speicher dort vom Netzbetreiber gesteuert werden. Dies wird aber weder dem Hausspeicherbesitzer und erst recht nicht dem Besitzer eines Elektroautos gefallen, ganz abgesehen von dem massiven bürokratischen und technischen Aufwand, der dafür nötig wäre. Fazit: Ein netzdienlicher Speicherbetrieb beim Endverbraucher ist schwierig.

Sich mit eigener Stromproduktion und -speicherung möglichst selbst zu versorgen, mag reizvoll sein, sorgt aber für ein Gerechtigkeitsproblem. Wer seinen Strom auf dem Dach produziert und mit einem Speicher den Strombezug aus dem Netz noch weiter reduziert, zahlt nämlich weniger Netzentgelt als jemand, der das nicht macht. Die Netzkosten werden so tendenziell auf wirtschaftlich schwächere Teile der Bevölkerung verschoben.

Die Umstellung auf ein verbrauchsunabhängiges Netzentgelt würde dieses Problem lösen. Eine Netzumlage als Jahrespauschale, welche sich nach der Wohnfläche bemisst, verteilt die Netzkosten fair. Zusätzlich sorgt eine Pauschale dafür, dass die Netzbetreiber mit stabilen Einnahmen kalkulieren können.

Energiespeicherung gehört zum Netzbetreiber

Speicherung von grünem Strom bedeutet nicht nur die Verwendung von Batterien, sondern auch die Umwandlung von Strom in andere Energieträger. Dazu gehören grüner Wasserstoff (E-Gas) oder andere Stoffe aus dem Chemiebaukasten. Es bedeutet außerdem Wärmespeicher, Kältespeicher und eine weitere, völlig neue Energiequelle der Energiewende: Die Nutzung der Abwärme, die bei jeder Energieumwandlung entsteht. Mit der Abwärmenutzung  wird die Energiespeicherung richtig effizient. Das Potenzial der Abwärmenutzung im Zusammenhang mit der Energiespeicherung vermisse ich bislang in den Energiewende-Zukunftsszenarien aller Denkfabriken!

Gerade mit Blick auf die Notwendigkeit der Sektorkopplung und der Energiespeicherung in Form von Strom, E-Gasen, Wärme und Kälte sind die Stadtwerke oder deren Netztöchter gefragt, denn sie betreiben schon heute sektorübergreifende Strom-, Gas-, Wärmenetze und können den optimalen Speichermix effizient nutzen. Kältenetze anstatt Klimaanlagen werden bei weiter steigenden Temperaturen ein weiteres Anwendungsfeld werden.

Der Betrieb von Energiespeichern gehört darum in die Hände der Netzbetreiber. Die Finanzierung dieser gewaltigen Aufgabe sollte einfach über die Netzumlage finanziert werden. So werden die Speicher genau dort im Netz errichtet, wo sie notwendig sind und den größten Nutzen leisten.

Ohne Ziele keine Zielerreichung

Damit man nicht so naiv wie Staatssekretär Patrick Graichen auf die unsichtbare Hand des Marktes setzt und etwas für richtig befindet, das bei näherem Hinsehen eher ineffizient und auch noch unfair ist, sollte man grundsätzlich festlegen, welche Ziele man überhaupt erreichen will.

Klare Aussagen zu folgenden Kernfragen der Energiewende sind nötig:

  1. Was ist das Zieldesign des künftigen Energiesystems? Dezentral oder Zentral?

Dezentral bedeutet: Ein zellulares Energiesystem mit Energieproduktion überall im Land führt zu lokal-regionaler Wertschöpfung, minimalem Energietransport, Abwärmenutzung, Autarkie, großer Resilienz, Smart Grid.

Zentral bedeutet: Großtechnologie mit Energieproduktion an wenigen Standorten führt zu viel Netzausbau, Super Grid, Transportverlusten, Abhängigkeit von wenigen Playern.

Meiner Ansicht nach ist das dezentrale Energiesystem die klügere Wahl. Als dezentral sehe ich jedoch nicht so sehr kleine, private Photovoltaik-Dachanlagen, sondern viel eher Solarparks mit mehr als zehn Megawatt Leistung. Diese erzeugen grünen Strom viel preiswerter als Dachanlagen, weil sie zum einen eine theoretisch unbegrenzte Lebensdauer haben – denn Boden und Betriebsgenehmigung können nicht verschleißen – und zum anderen haben sie erheblich niedrigere Wartungs- und Reparaturkosten. Nach den ersten 20 Betriebsjahren entfallen zusätzlich die jährlichen Abschreibungskosten und erlauben Stromverkaufspreise von unter 2 ct/kWh für einen rentablen Betrieb von Solarparks.

  1. Ist in Deutschland Energieautarkie möglich? Wollen wir das?

Ja, denn es gibt in Deutschland ausreichend Fläche für Energieautarkie. Das begründe ich auf meiner Website . Importabhängigkeit in Energiefragen ist problematisch – das sieht man gerade deutlich. Darum bin ich sehr dafür, die Energieautarkie in Deutschland als wesentliches Ziel zu betrachten und mindestens eine bilanzielle Autarkie anzustreben.

Forderungen für das Gelingen der Energiewende

Die Energiewende wird gelingen, wenn wir langfristig denken und jetzt die richtigen Maßnahmen ergreifen, die von passenden, neuen Rahmenbedingungen begleitet werden. Das wird Streit, einige Verlierer (Energieriesen, fossil, atomar) und sehr viele Gewinner (Stadtwerke, Kommunen, Bürger, Naturschützer) geben. Wenn die Bundesregierung weiterhin nur auf Sicht fährt, wird es kaum Gewinner und sehr viele Verlierer geben.

Für eine wohlüberlegte, sichere, gemeinwohlorientierte, regionale und preiswerte Energieversorgung, deren Wertschöpfung vor Ort bleibt, die zur Unabhängigkeit von Importen führt, die gute Arbeitsplätze schafft, die Klima- und Biodiversitätskrise gemeinsam beackert, lohnt es sich zu streiten. Also streite ich dafür, dass sich das ändert. Meine Forderungen für das Gelingen der Energiewende sind:

  1. Separate Netzentwicklungspläne für Stromnetze, Gasnetze, Wärmenetze (Kältenetze) sind zu wenig. Die lohnenswerte Sektorenkopplung im Zuge der Energiewende bedarf dringend eines gemeinsamen Netzentwicklungsplans für Strom-, Gas- und Wärme/Kälte.
  2. Damit der Netzbetrieb gemeinwohlorientiert und sicher funktioniert, plädiere ich für eine Energieinfrastruktur als Gemeinschaftsgut. Damit meine ich eine Zusammenfassung aller Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreiber zu einer einzigen ‚Deutschland-Netz-Genossenschaft‘ – deren Genossen alle Stadtwerke sind. Auch plädiere ich für eine Rekommunalisierung der lokalen Energienetzbetreiber. Diese sind die zentralen Akteure eines dezentralen Energiesystems. Mit dem Netzbetrieb sollte kein Gewinn gemacht werden müssen. Das würde nicht nur die Zusammenarbeit aller Netzbetreiber vereinfachen, sondern die Energieinfrastruktur demokratisch kontrollierbar machen.
  3. Energiespeicherung gehört als zentrale Zukunftsaufgabe zum Netzbetrieb. Sie ist der Job der Netzbetreiber auf allen Netzebenen – also auch im Niederspannungsnetz – an den verschiedenen Netzknoten (Umspannwerken, Trafostationen, Quartierlösungen, Ortsnetzstationen und so weiter.). Damit wird es leichter, die bei jeder Transformation, jedem Ein- und Ausspeichern anfallende Abwärme zu nutzen. Die Abwärmenutzung – die kommende Königsdisziplin der Energiewende – erfolgt in der Hauptsache durch Nahwärmenetze, an die möglichst viele Abnehmer angeschlossen werden. Paradebeispiel dafür ist Dänemark.
  4. Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der erneuerbaren Energien – sowie den dazugehörigen Nebenanlagen – liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Also fordere ich, diese zum vorrangigen Belang in der Raumordnungspolitik und der Bauleitplanung zu machen. Damit das nicht in Wildwuchs ausartet, bedarf es personeller und fachlicher Unterstützung für Bauämter und kommunale Klimaschutzbeauftrage durch beispielsweise ein Energiewende-Beratungsteam der jeweiligen Landesregierung. Mit abgestimmten Grundsatzbeschlüssen auf kommunaler Ebene zu Bau und Betrieb von naturnahen Solarparks sollte man bundesweit einheitliche Mindeststandards schaffen. Ergänzend mögen alle Kommunen bis zu zehn Prozent ihrer ackerbaulich genutzten Fläche für Biodiv-Solarparks ausweisen. Wenn naturschutzfachliche Kriterien bei der Flächenauswahl im Vordergrund stehen, dann können Biodiv-Solarparks als Trittsteine in der Agrarlandschaft zu einer sinnvollen Biotopvernetzung und zur Bekämpfung des Artenschwundes beitragen.

Gemeinsam mit Stadtwerken, Netzbetreibern, Kommunen, Bürgern, Naturschützern und Landeigentümern kann die Energieversorgung von morgen vor Ort entstehen.

Ralf Schnitzler ist studierter Landwirt und war von 2009 bis 2012 bei Juwi Solar Teamleiter Deutschland für das EPC-Business im Segment der Freifläche und von 2019 bis 2021 Projektentwickler für Solarparks bei der Bejulo GmbH in Mainz. Dabei lernte er die von Bejulo errichteten Biodiv-Solarparks in der Nähe von Cottbus kennen und bekam die Idee zum bundesweiten Biotopverbundnetz aus Biodiv-Solarparks. Seit April 2021 entwickelt er als freier Berater diese Idee weiter. Mehr über seine Arbeit und Biodiv-Solarparks unter www.gemeinsameinfachmachen.de.

->Quellen: