Mit freundlicher Genehmigung von Hans Urban
Dieser Artikel erschien am 05.12.2022 im Portal pv magazine – Kommentare geben Meinung und Informationen der Autoren wider.
„Für alle, die mit dieser Überschrift erstmal nichts anfangen können: Klimakleber, das sind doch die Leute, die sich irgendwo auf der Straße festkleben, den Verkehr aufhalten – gerade dann, wenn andere Leute zur Arbeit müssen, vielleicht sogar noch Rettungsdienste behindern oder wertvolle Kunstwerke beschädigen.
Da sind wir immer schnell mit dem Vorurteil zur Hand: Die sollen doch erstmal was Anständiges arbeiten! Ich persönlich würde mich wohl auch kaum irgendwo festkleben, um irgendwelche Ziele zu erreichen, das wäre sicher nicht mein Ding. Aber ich muss ganz offen sagen, dass ich eine gewisse Achtung vor solchen Leuten habe. Sicher nicht vor denen, die so etwas nur aus Lust am Krawall machen, die sind sicher auch dabei, vielleicht sind sie sogar in der Mehrzahl. Durchaus aber vor denen, die dabei konkrete Ziele vor Augen haben: Sie wollen aufmerksam machen, denn sie haben wohl etwas erkannt, was wir, viele unserer Politiker mit all ihren Beratern und mehr oder weniger die ganze Menschheit wohl immer noch nicht wirklich realisiert haben: Nämlich, dass die Klimakrise sich zur ernsten Bedrohung unserer Zivilisation entwickelt!
Wir wissen nun alle seit mehr als 30 Jahren recht genau, was auf uns zukommt, wenn wir weitermachen wie bisher. Wenn wir nicht weltweit unseren Lebensstil ändern, wenn wir nicht unseren CO2-Abdruck beschränken und wenn wir nicht aufhören, weiterhin ein Vielfaches der Ressourcen unseres Planeten zu verbrauchen.
Aber was tun wir? Wir kleben an unseren Gewohnheiten!
Die wirklichen Klimakleber sind nicht die aus dem Fernsehen oder der Zeitung, die wirklichen Klimakleber, das sind wir!
Die Klimakrise hat uns mittlerweile mit voller Wucht erreicht. Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände kannten wir bisher eher aus den Nachrichten. Aus Pakistan, aus Kalifornien oder eben aus irgendwelchen weit entfernten Entwicklungsländern. Mittlerweile sehen wir diese Dinge innerhalb eines Jahres bei uns in den verschiedenen Bundesländern unseres schönen Landes.
Kurz gesagt: Wir sind mittendrin! Und es ist eigentlich eine eindeutige Erkenntnis, wo diese Entwicklungen herkommen und wie sie weitergehen werden, wenn wir nicht massiv gegensteuern. Ob wir damit schnell genug etwas bewirken können, das weiß niemand genau, aber kann das ein Grund sein, es nicht mit allen Mitteln zu versuchen?
Trotzdem kleben wir weiter fest an unseren Gewohnheiten, an unserem Lebensstandard. Fahren, Schwimmen oder Fliegen um die Welt, machen Urlaub hier und da, je öfter und weiter weg desto besser, denn man gönnt sich ja sonst nichts! Natürlich der eine mehr und der andere weniger, denn auch nicht jeder kann sich das überhaupt leisten.
Wir können uns also in diesem Sinne alle getrost als Klimakleber bezeichnen, denn unsere liebgewonnenen Gewohnheiten lassen uns nicht los. Natürlich kaufen wir hier mal ein Paket Umweltschutzpapier oder Pflanzen da mal den ein oder anderen Baum. Und wir haben doch auch grad schon was für den Umweltschutz gespendet, das ist doch toll! Aber wir sollten langsam verstehen, dass ein Baum keine Fernreise per Flugzeug oder mit dem großen Wohnmobil kompensieren kann und dass auch irgendwelche Kompensationszahlungen nicht anderes als ein moderner Ablasshandel sind, die das Problem nicht lösen helfen.
Wir sollten anfangen zu verstehen, dass es hier nicht um Umweltschutz geht, denn die Umwelt wird sich an jede Temperatur problemlos anpassen. Was wir zerstören, ist nicht der Planet und nicht die Umwelt, es sind einzig und allein unsere Lebensgrundlagen und die unsere Kinder!
Mit Blick auf meine Heimatgemeinde Haag in Oberbayern kann ich sagen: Ganz so schlecht sind wir vielleicht bei uns gar nicht aufgestellt. Gerade Kommunen haben nicht nur eine Vorbildfunktion, sondern sie haben auch viele Gestaltungsmöglichkeiten, wie man an so manchen Vorzeige-Gemeinden sehen kann. Gemeinden, die sich schon seit Jahren intensiv mit erneuerbaren Energien beschäftigen und damit sogar auch wirtschaftlich sehr gut fahren.
Die meisten Gemeinden beschäftigen sich aber leider mit Umweltschutz, besser gesagt Klimaschutz, der eher auf dem Papier und in der Presse stattfindet. Schließlich muss man ja erst einmal ein großes „Monitoring“ und eine Datenerfassung starten, bevor man an irgendwelche Projekte denkt.
Erst kürzlich hat mir ein Bekannter von einer Gemeinde in der Nähe erzählt, die alleine 35.000 Euro für ein Energiekonzept investiert hat, das extra von einer Hochschule erarbeitet wurde. Das Konzept – natürlich aus Steuergeldern finanziert – diente dann als großer Aufhänger für einige Presseartikel, landete aber letztendlich wie immer iin der Schublade. Umgesetzt wurde davon – nichts. Mit weiteren 23.000 Euro hat man sich dann noch an einer Voruntersuchung für Windkraftstandorte beteiligt, sich aber letztendlich gegen konkrete Projekte entschieden. Not in my backyard – oder auf gut Bayrisch: Oh heiliger Sankt Florian…
Ich denke das ist kein Einzelfall, solche Beispiele gibt es genug. Ganz so schlecht ist die Gemeinde Haag in Bayern im Vergleich gar nicht mal aufgestellt. Es gibt immerhin einige Photovoltaik-Anlagen, es gibt die ersten Elektroautos und Ladestationen, es gibt Radwege und sicher noch manch anderes sinnvolles Projekt. Aber das sind alles natürlich auch nur Anfänge. Die Zeit wird knapp und wir brauchen mittlerweile keine einzelnen Vorzeigeprojekte mehr, sondern wir müssen möglichst schnell unseren ganzen Energiebedarf reduzieren und zugleich ausschließlich durch erneuerbare Energien decken!
Viele Chancen haben wir hier in Haag in den letzten Jahren leider nicht ergriffen. Für Verbote fossiler Heizungen in neuen Baugebieten konnten wir uns vor vielen Monaten ebenso wenig durchringen wie für eine solare Baupflicht. Natürlich ist es verständlich, dass man den Bürgern und Investoren irgendwelche zusätzlichen Vorgaben ersparen will. Wir scheuen uns zwar an vielen Stellen nicht, bürokratische Details bis ins Kleinste vorzuschreiben. Aber wenn es um die Lebensgrundlagen unserer Kinder geht, da werden wir dann auf einmal vorsichtig. Nur nicht zu viele Vorgaben!
Was es in Haag auch gibt: Hoffnungsvolle Planungen für ein großes Nahwärmekonzept. Aber während nun bald jede Gemeinde im Umkreis von Haag ihr Nahwärmenetz ganz konkret plant oder schon umgesetzt hat, diskutieren wir in Haag noch – wieder mal. Und nicht nur das: Obwohl es den einheitlichen Beschluss für ein Nahwärmenetz in Haag gibt, beschließt man für den Zehentstadel noch eine gesonderte Übergangsheizung. Eine Übergangsheizung, die nach dem aktuellen Planungsstand des Projektes frühestens 2025 gebraucht wird. Und zwar nicht etwa eine Containerlösung, die man für ein oder auch zwei Jahre mieten könnte. Nein, wir bauen da schon eine feste Anlage ein! Wenn wir an unser eigenes Nahwärme-Projekt so wenig glauben, dass wir für 2025 – vermutlich wird es dann sowieso mindestens 2026 – noch eine Übergangslösung bauen, glauben wir dann wirklich noch selbst dran?
Statt hier wertvolle Zeit und Ressourcen zu verbrauchen, könnte man eine Übergangslösung, wenn sie wirklich noch gebraucht wird, auch in das zukünftige Nahwärmenetz integrieren oder ganz einfach beide Projekte aufeinander abstimmen und gleichzeitig bauen. Würde man bei jedem anderen Projekt so machen, oder?
Nach wie vor hoffe ich sehr, dass zur ersten schon existierenden Übergangslösung (Gasheizung in der Mittelschule und im Hallenbad) und zur dann zweiten Übergangslösung (Zehentstadel) nicht noch weitere dazukommen, und wir dann irgendwann alles doppelt bauen und auch bezahlen müssen. Ich glaube nach wie vor an dieses Projekt – Nahwärme für Haag!
Aber zurück zu den Klimaklebern und zum Anfang:
Ich bin mir dessen vollkommen bewusst: Viele werden beim Lesen dieses Artikels nicht unbedingt zustimmend genickt haben. Ich kenne viele Gegenargumente aus vielen Diskussionen. Wir in Deutschland können doch sowieso nicht die Welt retten, wenn China noch viele Jahre Kohle verbrennt! Hier könnte man gleich anführen, dass das „Klima – Vorzeigeland Deutschland“ zwar „nur“ zwei Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortet, aber auf der anderen Seite ja nur 1 Prozent der Weltbevölkerung stellt. Wir sind also im Schnitt mit die größten Verschmutzer! Oder wer weiß schon, dass China mittlerweile in einem Jahr so viel Photovoltaik-Leistung aufbaut, wie Deutschland in den vergangenen 15 Jahren errichtet hat?
Aber statt zu argumentieren hätte ich an dieser Stelle einfach einen Vorschlag: Wer sich über diesen Text vielleicht geärgert hat, der soll ihn doch bitte ganz einfach abspeichern, 15 Jahre aufheben und dann noch mal herausziehen und durchlesen. Falls sich dann herausstellt, dass alle meine Aussagen Unsinn waren, wäre ich – sehr froh darüber! Aber: Ich glaube leider nicht daran.
Trotzdem möchte ich am Schluss betonen: Wir können die Klimawende schaffen, aber nur wenn wir es auch wirklich wollen und als unser gemeinsames Ziel betrachten. Und vor allem das unserer Kinder! Eigentlich doch ein guter Gedanke für Weihnachten und zugleich ein lebenswertes Ziel fürs neue Jahr?!“
Hans Urban lebt in Haag, Oberbayern. Er hat den Solarbereich bei Schletter aufgebaut. Seit seinem Ausscheiden aus der dortigen Geschäftsleitung ist er als Berater tätig. Zudem hält er deutschlandweit Vorträge zu Themen rund um erneuerbare Energien und Elektromobilität.