„Ewige“ Chemikalien

PFAS – unsichtbare Zeitbombe

Die Tagesschau und NDR/WDR/SZ waren am 23.2.2023 nicht die einzige Medien, die über eine bisher kaum bekannte, aber sehr gefährliche Umweltverschmutzung berichtete. Davor war die Bevölkerung meist über Pressemitteilungen von Umweltverbänden, auf Internetseiten von Behörden (Beispiel siehe: hlnug.de/pfc-per-und-polyfluorierte-chemikalien) oder Flyer in Briefkästen informiert worden. Dabei begleiten sie uns tagtäglich, ohne dass wir etwas wahrnehmen: In Kosmetika, Outdoorkleidung, Fastfood-Verpackungen oder Teflon-beschichteten Pfannen. Dabei schaden sie der Umwelt und dem Immunsystem oder lösen Krebs aus: die sogenannten „Ewigkeits-Chemikalien“, per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS – Ewigkeits-Chemikalien deshalb, weil sie extrem langlebig und widerstandsfähig sind. Jetzt wird über ein EU-weites PFAS-Verbot diskutiert.

Beschichtete Pfanne – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Laut einigen Landesregierungen gibt es kein PFAS-Monitoring, und es erfolgt auch keine Information der Bürger. Dabei deuten viele wissenschaftliche Veröffentlichungen darauf hin, dass in der Nähe von Industriestandorten die Gewässer und Böden mit PFAS verunreinigt sein könnten. Das Recherche-Kollektiv NDR, WDR und SZ haben deshalb die in den USA und Frankreich genutzten Kriterien soweit möglich auf Deutschland übertragen. Dadurch haben die Reporter mehrere Hundert Orte identifiziert, an denen Boden oder Grundwasser ebenfalls verschmutzt sein könnten. An diesen Stellen haben häufig noch keine Messungen stattgefunden. In ganz Europa hat das „Forever Pollution Project“ sogar insgesamt mehr als 17.000 solche möglicherweise verunreinigten Orte identifiziert. Weitere 21.000 stehen in Verdacht auf PFAS.

Das Forever Pollution Project – Journalisten auf der Spur von PFAS in ganz Europa

Eine exklusive, monatelange Untersuchung von 18 europäischen Zeitungsredaktionen identifizierte mutmaßliche Kontaminationsstellen, die auf aktuelle oder frühere industrielle Aktivitäten zurückzuführen sind. Die durch dieses Projekt aufgedeckte Verschmutzung erstreckt sich über ganz Europa. Anfang Februar 2023 veröffentlichte die Europäische Chemikalienagentur ECHA in Helsinki einen Vorschlag für ein Verbot aller PFAS – oder Per- und Polyfluoralkylstoffe. Das „Forever Pollution Project“ deckte nun auf, dass es in ganz Europa weitaus mehr Verunreinigungen gibt, als bisher öffentlich bekannt. Die Journalisten sammelten 100 Datensätze und stellten Dutzende von FOIA-Anträgen (Auskunftsbegehren nach dem Freedom of Information Act), um eine einzigartige Karte der PFAS-Kontamination in Europa zu erstellen. Die wissenschaftliche Methodik hinter diesem „peer-reviewed journalism“ wurde vom PFAS Project Lab und der PFAS Sites and Community Resources Map in den USA  übernommen.

„Es ist ein notwendiges und auch beängstigendes Ergebnis, das Sie hier erzielt haben“, sagte Phil Brown (Northeastern University, Boston), der die Arbeit an der amerikanischen Karte koordinierte. „Etwas Ähnliches hat für Europa gefehlt“, sagte Martin Scheringer, Professor für Umweltchemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (Zürich, Schweiz). „Ihr Beitrag ist daher äußerst wichtig und wertvoll.“

Das Projekt zeigt, dass es in Europa 20 Produktionsanlagen und mehr als 2.100 Standorte gibt, die als PFAS-Hotspots gelten können – Orte, an denen die Kontamination ein für exponierte Personen gesundheitsgefährdendes Niveau erreicht. Das Problem: Es ist extrem teuer, diese Chemikalien wieder loszuwerden, wenn sie erst einmal in die Umwelt gelangt sind. Die Kosten für die Sanierung werden sich wahrscheinlich auf mehrere zehn Milliarden Euro belaufen. An mehreren Orten haben die Behörden bereits aufgegeben und beschlossen, die giftigen Chemikalien im Boden zu belassen, weil es nicht möglich ist, sie zu beseitigen.

Überall PFAS – Kosten in EU: 52 bis 84 Mrd. Euro

PFAS werden in vielen Industriezweigen verwendet, von Teflon bis Scotchgard, um Antihaft-, Fleckenschutz- oder wasserdichte Produkte herzustellen. Sie bauen sich in der Umwelt nicht ab und sind sehr mobil, so dass sie in Wasser, Luft, Regen, Ottern und Kabeljau, gekochten Eiern und Menschen nachgewiesen werden können. PFAS werden mit Krebs, Unfruchtbarkeit und einem Dutzend anderer Krankheiten in Verbindung gebracht. Schätzungen zufolge belasten PFAS die europäischen Gesundheitssysteme jedes Jahr mit 52 bis 84 Milliarden Euro.

PFAS-Emissionen sind in der EU noch nicht geregelt, und nur wenige Mitgliedstaaten haben Grenzwerte festgelegt. Alle von uns befragten PFAS-Experten waren der festen Überzeugung, dass die von der EU für die Umsetzung im Jahr 2026 festgelegten Grenzwerte viel zu hoch sind, um die menschliche Gesundheit zu schützen.

„The Forever Pollution Project“ deckte auch einen umfangreichen Lobbying-Prozess auf, um das vorgeschlagene EU-weite PFAS-Verbot zu verwässern. Mehrere Dutzend FOIA-Anfragen in Brüssel und anderen europäischen Städten enthüllten, dass seit Monaten mehr als 100 Industrieverbände, Think Tanks, Anwaltskanzleien und Großunternehmen daran arbeiten, die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten zu beeinflussen, um das bevorstehende PFAS-Verbot abzuschwächen.

Europäische Behörden, unter ihnen das Umweltbundesamt (UBA), haben erst am 21.01.2023 einen gemeinsamen Vorschlag zur Beschränkung von PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht. Bei dem Vorschlag handelt es sich um einen der umfangreichsten seit Inkrafttreten der REACH-Verordnung in 2007. Für Deutschland haben neben dem UBA die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zusammen mit den niederländischen, dänischen, norwegischen und schwedischen Behörden den Vorschlag erarbeitet. Das wird aber dauren, nicht nur wegen der EU-Bürokratie, sodern auch, weil PFAS für eine Gruppe von mehreren tausend einzelnen Chemikalien steht. (siehe: solarify.eu/eu-vor-verbot-per-und-polyfluorierter-alkylsubstanzen)

Im Laufe einer mehrmonatigen Untersuchung hat das „Forever Pollution Project“ mehr als 1.200 vertrauliche Dokumente der Europäischen Kommission und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) sowie Hunderte offener Quellen ausgewertet. Durch die Analyse dieser Dokumente können die Reporter von „The Forever Pollution Project“ zeigen, wie Unternehmen von Chemours bis 3M oder Solvay versuchen, ihre Produkte von dem Verbot auszunehmen.

Manuel Fernandez, Chemikalienexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):„Die Ergebnisse dieser PFAS-Recherche sind erschreckend. Dabei ist lange bekannt, wie sehr diese giftigen und extrem langlebigen Industriechemikalien Böden und Wasser kontaminieren. Zu einem umfassenden Verbot der gesamten Gruppe der PFAS gibt es keine Alternative. Die deutsche Regierung muss sich jetzt ohne Wenn und Aber dafür einsetzen, dass die EU-Kommission umgehend einen strikten Gesetzesvorschlag auf den Weg bringt und eine nationale Strategie für die Sanierung kontaminierter Orte entwickelt.Wie viele Menschen in welchem Maße betroffen sind, weiß niemand zu sagen oder will niemand sagen. Eine untragbare Situation, die zeigt, dass Produktion und Verwendung von derart schädlichen Chemikalien außer Kontrolle geraten sind. Mehr als 10.000 einzelne PFAS-Verbindungen sind bereits auf dem Markt, die meisten sind kaum untersucht.“

Die 17.000 sicheren und alle 21.000 mutmaßlichen Kontaminationsstandorte sind unter http://lemde.fr/PFASmap abrufbar. Links zu den Meldepartnern unter foreverpollution.eu.

Dazu gehören zahlreiche Flughäfen und Militärstandorte, auf denen in der Vergangenheit PFAS-haltiger Löschschaum eingesetzt wurde. Betroffen sind auch Kläranlagen und Deponien, in denen sich PFAS-haltige Abwässer und Gegenstände sammeln – denn bislang ist es selbst mit besonders teuren Verfahren nur schwer möglich, die Giftstoffe herauszufiltern oder zu verbrennen. Hinzu kommen Industrien, die teilweise PFAS einsetzen oder mit PFAS kontaminierte Rohstoffe verwenden, wie die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe.

In Deutschland haben NDR, WDR und SZ insgesamt rund 1000 dieser Standorte angefragt, ob sie Wasser oder Böden auf PFAS geprüft haben – der Großteil hat bisher keinerlei Messungen vorgenommen.

Das „Forever Pollution Project“ wird unterstützt vom Journalismfund.eu und von Investigative Journalism for Europe (IJ4EU) und umgesetzt mit Hilfe von Arena for Journalism in Europe und deren Food & Water-Netzwerk. Neben SZ, NDR und WDR waren die folgenden Medien beteiligt: Le Monde (Frankreich), Knack (Belgien), Denik Referendum (Tschechien), Politiken (Dänemark), YLE (Finnland), Reporters United (Griechenland), Radar und Le Scienze (Italien), Radio Latvia (Lettland), The Investigative Desk und NRC (Niederlande), SRF (Schweiz), Datadista (Spanien), Watershed Investigations und The Guardian (Großbritannien).

->Quellen: