Negative Nachrichten erhalten mehr Klicks

Internationale Studie zum Einfluss von Negativität auf Nachrichten-Klicks

Der in amerikanischen Nachrichtenagenturen im vorvergangenen Jahrhundert gültige Grundsatz „only bad news is good news“ („nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“) spiegelt die nicht nur in Journalistenkreisen weit verbreitete Überzeugung wider, dass sich mit negativen Nachrichten die Einschaltquoten verbessern, mehr Zeitungen verkaufen und in den Online-Medien bessere Einnahmen erzielen lassen als mit positiven. Der tatsächliche Zusammenhang von Negativität und Nachrichtenkonsum ist jedoch bislang weitgehend unklar. Ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung von Prof. Dr. Nicolas Pröllochs von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) hat den Einfluss von negativen Inhalten auf die Klickraten (und Einschaltquoten) von Online-Nachrichten kausal untersucht.

Nachrichtenüberflutung: Viele Bildschirme – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

An der Studie waren neben Pröllochs beteiligt: Claire E. Robertson von der New York University (NYU), Kaoru Schwarzenegger (ETH Zürich), Dr. Philip Pärnamets (Karolinska Institute), Prof. Jay J. Van Bavel (NYU) und Prof. Stefan Feuerriegel (LMU München). Der Beitrag ist am 16.03.2023 in Nature Human Behaviour erschienen.

Um den Einfluss von negativer Sprache auf den Nachrichtenkonsum im Internet zu untersuchen, analysierte das Forscherteam einen einzigartigen Nachrichtendatensatz der einflussreichen US-Nachrichtenwebsite Upworthy.com („Delivering the best of humanity every day“). Für jeden veröffentlichten Artikel testete Upworthy.com in randomisierten Kontrollstudien mehrere Formulierungsvarianten für die Überschrift und zeichnete die zugehörigen Klickraten auf. Der untersuchte Datensatz bestand aus mehr als 105.000 unterschiedlichen Nachrichtenüberschriften, die mehr als 370 Millionen Internetnutzerinnen und -nutzer erreicht haben. Anhand dieser Daten konnte das Autorenteam die kausale Wirkung von negativen und positiven Worten auf die Klickraten von Nachrichtenüberschriften empirisch untersuchen.

„Unsere aktuelle Studie liefert kausale Evidenz, dass negative Worte in Nachrichtenüberschriften zu höheren Klickraten führten bzw. dass positive Worte die Klickrate verringerten“, sagt Erstautor Pröllochs, der am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der JLU die Professur für Data Science & Digitalisierung innehat. Die Zahlen sprechen dabei eine deutliche Sprache: „Bei einer durchschnittlichen Nachrichtenüberschrift erhöhte jedes zusätzliche negative Wort die Klickrate um 2,3 Prozent“, so der Experte. Dies impliziere, dass die Nutzung einer negativeren Formulierung in der Überschrift die Klickrate für ein und dieselbe Nachricht signifikant erhöhte.

Abstract des Nature-Artikels: „Online-Medien sind für die Gesellschaft von großer Bedeutung für die Information und Meinungsbildung, so dass sich die Frage stellt, was den Online-Nachrichtenkonsum antreibt. Hier analysieren wir die kausale Wirkung von negativen und emotionalen Wörtern auf den Nachrichtenkonsum anhand eines großen Online-Datensatzes von viralen Nachrichten. Konkret haben wir unsere Analysen anhand einer Reihe von randomisierten kontrollierten Stichproben (N = 22.743) durchgeführt. Unser Datensatz umfasst ~105.000 verschiedene Varianten von Nachrichtengeschichten von Upworthy.com, die ?5,7 Millionen Klicks bei mehr als 370 Millionen Gesamtaufrufen generierten. Obwohl positive Wörter etwas häufiger vorkamen als negative, fanden wir heraus, dass negative Wörter in Nachrichtenüberschriften die Konsumraten erhöhten (und positive Wörter die Konsumraten senkten). Bei einer Schlagzeile von durchschnittlicher Länge erhöhte jedes zusätzliche negative Wort die Klickrate um 2,3 %. Unsere Ergebnisse tragen dazu bei, besser zu verstehen, warum sich Nutzer mit Online-Medien beschäftigen.“

Die Ergebnisse der Studie tragen auch dazu bei, besser zu verstehen, warum Nutzerinnen und Nutzer Nachrichten im Internet konsumieren. Ein differenziertes Verständnis der zugrundeliegenden Verhaltensmuster ist insbesondere in einer Zeit wichtig, in der sich Falschinformationen, Fake News und Verschwörungstheorien zunehmend im Internet ausbreiten. Auf der einen Seite profitieren Verlage und Nachrichten-Websites von Negativität in Form erhöhter Klickraten – und generieren damit höhere Einnahmen. Auf der anderen Seite ist es denkbar, dass Menschen sich – vielleicht unbeabsichtigt – selektiv diesen negativen Nachrichten aussetzen. Die aktuelle Untersuchung ist aus Sicht des Forscherteams daher ein wichtiger Schritt, um die Medienkompetenz von Nutzerinnern und Nutzern zu verbessern sowie transparentere Medienpraktiken zu entwickeln.

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