Deutschland drohen 4,4 Grad Erwärmung

Zu den Pariser Klimazielen fehlt uns noch viel

Wie weit entfernt sind europäische Staaten und Unternehmen von den Pariser Klimazielvorstellungen? Das 2016 in Frankfurt gegründete Start-up „Right. Based on Science“ hat Berichten zahlreicher Medien vom Modellrechnungen entwickelt, um diese Frage in Grad Celsius zu beantworten. Zunächst einmal: Alle EU-Staaten sind der Analyse zufolge noch weit entfernt von dem im Pariser Klimaabkommen formulierten Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Und Deutschland schneidet schlechter ab als andere EU-Flächenländer.

4,4 Grad – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Für Deutschland liegt der Wert bei 4,4 Grad, etwas besser als Luxemburg (5,3), Tschechien (5,2) und Estland (5,2). Für Frankreich und Italien wurden je 3,7 Grad errechnet und für Spanien 3,5 Grad. „Right. Based on Science“ berechnet die CO2-Emissionen pro Einwohner eines Staates vom aktuellen Stand bis zum Jahr 2100 und nimmt dabei eine Fortführung des bisherigen Dekarbonisierungstrends an. Das Start-up hat ein Modell entwickelt, das die Klimawirkung von Unternehmen, Gebäuden oder Finanz-Portfolios etwa aus Staatsanleihen in Grad Celsius ausdrückt: So stark würde sich die Erde bis zum Jahr 2100 erwärmen, wenn die ganze Welt ebenso emissionsintensiv wie die untersuchte Einheit wirtschaftete.

Die Analyse gibt an, welche Pfade der Erhitzung erreicht werden, wenn die Staaten weiter machen wie bisher. Bei der Berechnung der Temperaturpfade berücksichtigt Right. Based on Science nur bereits umgesetzte Klimaschutzmaßnahmen. Angekündigte und nicht realisierte Maßnahmen fließen nicht ein, da die Umsetzung schwer prognostizierbar ist. Gesetze wie das geplante Aus für Verbrennungs-Motoren und andere Vorhaben könnten den Wert bis 2100 also noch verbessern.

Die aktuelle Lage laut IPCC:

  • CO2-Emissionen steigen wieder
    Von sinkenden CO2-Emissionen kann noch lange nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die Emissionen steigen nach einem Corona-bedingten kleinen Rückgang wieder steil an. „Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die derzeitigen Pläne sind unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen“, stellt der Weltklimarat fest. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres reagierte alarmiert: „Das Tempo der Erwärmung ist das höchste seit 2000 Jahren“, sagte er: „Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre ist so hoch wie zuletzt vor zwei Millionen Jahren. Die Klima-Zeitbombe tickt.“ Sollte es so weitergehen, wie bisher, steuere die Welt auf eine Erwärmung von 2,2 bis 3,5 Grad zu, warnte der Generalsekretär der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas.
  • Folgen des Klimawandels früher als erwartet zu spüren
    Es gibt nichts mehr zu leugnen: Bereits jetzt leiden Menschen weltweit unter den Auswirkungen des Klimawandels, so der IPCC-Bericht. Besonders hart davon getroffen würden nicht die Verursacher, die reichen Industrienationen, sondern die schwächsten Menschen und Ökosysteme. „Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Regionen, die besonders anfällig für den Klimawandel sind. In den letzten zehn Jahren war die Zahl der Todesfälle durch Überschwemmungen, Dürren und Stürme in hochgradig gefährdeten Regionen 15 Mal höher“, sagte Aditi Mukherji, eine der 93 Autoren des Syntheseberichts. Drastische Beispiele sind etwa die Hitze und Überschwemmungen in Indien und Pakistan im Jahr 2022 und die anhaltende Dürre südlich der Sahara. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete jüngst, dass es in Somalia wegen der Dürre im vergangenen Jahr bis zu 43.000 zusätzliche Todesfälle gegeben haben könnte. Aber nicht nur in armen Ländern gibt es Opfer: „In allen Regionen sterben Menschen an der extremen Hitze“, warnt das IPCC. Das gilt auch für Europa.
  • Wir können die 1,5-Grad-Grenze noch einhalten
    „Der Report hat eine Botschaft der Hoffnung“, sagte Weltklimarat-Vorsitzender Lee. Denn es ist der Menschheit tatsächlich noch möglich, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu deckeln, wie es 2015 im Pariser Klimaabkommen als Idealziel vereinbart wurde. Doch die Anforderungen sind gewaltig: Die weltweiten CO2-Emissionen müssten bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 2019 sinken, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. „Wir können heute noch nicht sagen, dass wir es nicht schaffen“, sagte Klimaforscher Hans-Otto Pörtner im ZDF, der federführend am aktuellen Sachstandsbericht des IPCC mitgearbeitet hat. „Aber wir können natürlich sagen, das Risiko ist durch die Verzögerungen der letzten Jahrzehnte massiv gestiegen, dass wir diue 1,5-Grad-Grenze überschreiten werden.“
  • Wir müssen jetzt rasch handeln
    „Kümmern uns später drum“, funktioniert so nicht. Denn je länger man wartet, desto drastischer werden die notwendigen Maßnahmen zur Klimarettung, betont der Weltklimarat. Bereits 2018 hatte das IPCC auf das beispiellose Ausmaß der Herausforderung hingewiesen, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Fünf Jahre später ist diese Herausforderung aufgrund des anhaltenden Anstiegs der Treibhausgasemissionen noch größer geworden.“Wir brauchen ein umgehendes Absenken der weltweiten Emissionen auf Netto-Null binnen 30 Jahren, um die 1,5-Grad-Grenze in Reichweite zu halten“, sagte auch Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der an mehreren IPCC-Berichten mitgearbeitet hat, laut einer Mitteilung des Instituts. „Wenn die Menschheit so weiter macht wie jetzt mit den CO2-Emissionen, werden wir die Pariser Klimaziele reißen“, warnt auch Klimawissenschaftler Jochem Marotzke. Es bleibe für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens nur „ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung“, betonte auch Pörtner. Die Politik müsse „aufhören, Verzögerungsstrategien zu fahren“.
  • Die Technologie ist da, Geld auch
    Aufgabe des Weltklimarats (IPCC) ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaveränderung und über mögliche Gegenmaßnahmen zu informieren. Dem IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gehören 195 Staaten an. Alle fünf bis sechs Jahre veröffentlicht der IPCC umfassende Überblicke über den aktuellen Stand der Klimaforschung. Der aktuelle Bericht ist also maßgeblich für dieses Jahrzehnt. Wir könnten, wenn wir nur wollten, ist eine weitere Botschaft des neuen IPCC-Berichts. „Durchführbare, wirksame und kostengünstige Optionen zur [Emissionsreduzierung] und Anpassung sind bereits verfügbar“, heißt es darin. Dazu zählten Solar- und Windenergie, Energieeffizienz, Verringerung der Methanemissionen und der Stopp der Waldzerstörung. Dadurch könne zugleich weiterer Nutzen entstehen, weil Menschen ein gesünderes Leben ermöglicht werde. Beispiel: Kohlenstoffarme Elektrifizierung, Gehen, Radfahren und öffentliche Verkehrsmittel verbesserten die Luftqualität, die Gesundheit, die Beschäftigungsmöglichkeiten und sorgen für mehr Gerechtigkeit, so das IPCC. „Der wirtschaftliche Nutzen für die Gesundheit der Menschen, der sich allein aus der Verbesserung der Luftqualität ergibt, wäre ungefähr gleich groß oder möglicherweise sogar größer als die Kosten für die Verringerung oder Vermeidung von Emissionen.“An Geld für die Umsetzung der nötigen Maßnahmen fehle es jedenfalls nicht, betont der Weltklimarat: „Es gibt weltweit genügend Kapital, um die Treibhausgasemissionen rasch zu reduzieren.“ Nur müsse eindeutig mehr investiert werden: Den Schlüssel dafür hielten vor allem Regierungen in der Hand. Aber auch Investoren, Zentralbanken und Finanzregulierungsbehörden könnten dabei eine Rolle spielen. (n-tv.de/Fuenf-Lehren-aus-dem-juengsten-Klimabericht)

Modell rechnet mit verschiedenen Pfaden zur Treibhausreduktion

Das Modell setzt die prognostizierten Emissionen in Relation zu Pfaden, die zeigen, welche Reduktion nötig wäre, um etwa die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Danach wird die resultierende Erderwärmung errechnet – unter der Annahme, dass die ganze Welt die gleiche Klimawirkung wie der Staat aufweist. Zuletzt hatte der Weltklimarat gewarnt, ohne schnellee drastische Minderungen der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen werde die 1,5-Grad-Grenze der Erderwärmung schon in den 2030er Jahren überschritten. Und das UN-Klimasekretariat ging im Oktober davon aus, dass die Erderwärmung auf 2,5 Grad bis 2100 hinauslaufen könnte. Aber: „Der Blick auf die Treibhausgas-Emissionen von Staaten ist oft verzerrend, da daraus nicht direkt ersichtlich wird, inwieweit ein Land auf einem Paris-konformen Reduktionspfad ist“, erklärte Right-Gründerin Hannah Helmke.

Klimarisiken und Wirksamkeit von „grünen“ Finanzanlagen sichtbar

Das Modell mache Klimarisiken transparent und helfe Investoren beim Vergleich von Finanzanlagen. „Grüne“ Investments haben an den Finanzmärkten an Bedeutung gewonnen. Banken legen im großen Stil nachhaltige Fonds auf, Investoren sehen klimaschädliche Investments kritischer – auch weil im Ernstfall Klagen drohen können wie bei VW im Dieselskandal.

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