Artikel in den Blättern: „Zerstörerischer Reichtum“
Die durch den Klimawandel herbeigeführten Verluste sind keine Resultate von reinen Naturkatastrophen, sondern ebenso sozial organisiert wie die Wirtschafts- und Lebensweisen, die sie herbeiführen. In der April-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik legt Sighard Neckel offen, wie eine globale Verschmutzerelite die Klimakrise befeuert. Am stärksten seien davon weltweit die Ärmsten betroffen. Doch würden inzwischen die Reichen und Superreichen von den Verlusten eingeholt.
Der Verlust planetarischer Lebensgrundlagen werde am Ende auch die am meisten Privilegierten nicht verschonen. Ein kapitalistisches Akkumulationsregime, das unablässig die Steigerungen der Güterproduktion, der Gewinnerwartungen und des Konsums zur Voraussetzung habe, führe schließlich in eine ökologische Selbstdestruktivität, die auch großen Reichtum vernichte. Reichtum jedweder Art werde durch ökologische Zerstörung bedroht, es bleibe allerdings die Frage, wie dieser Reichtum selbst zu den ökologischen Zerstörungen beitrage, die ihn am Ende möglicherweise selber ruiniere. Reichtum interessiert in Neckels Text als eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass der Klimawandel zu zerstörerischen Verlusten in Wirtschaft, Gesellschaft und im Erdsystem führt.
Nun könnte man argumentieren, dass gerade bezüglich der Treibhausgasemissionen und des umweltschädlichen Ressourcenverbrauchs nicht extremer Reichtum das eigentliche Problem sei, sondern vor allem der weit verbreitete Wohlstand insbesondere der oberen Mittelschichten, und dies hauptsächlich in Europa, Nordamerika und Ostasien. Tatsächlich waren laut dem neuesten „World Inequality Report 2022“ die wohlhabendsten 10 Prozent der Weltbevölkerung – also knapp 800 Millionen Menschen – 2019 für 47,6 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich, die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung – also gut vier Milliarden Menschen – dagegen nur für zwölf Prozent. Der ökologische Fußabdruck der Superreichen ist laut Neckel aus mehreren Gründen von besonderem Belang:
- Zum ersten sind die Treibhausgasemissionen der Reichsten so überproportional hoch, dass sie selbst von den wohlhabendsten Mittelklassen nicht auch nur annähernd erreicht werden. Selbst in Deutschland mit seiner vergleichsweise begüterten Mittelklasse emittiert das reichste Prozent der Bevölkerung fast zehnmal so viel CO2 wie die mittleren Einkommenslagen. Das oberste eine Prozent in der weltweiten Einkommenshierarchie (77 Millionen Personen) trägt fast 17 Prozent zu den Treibhausgasemissionen bei und übertrifft mit durchschnittlich 110 Tonnen CO2-Äquivalenten den schon extrem hohen ökologischen Fußabdruck der oberen Mittelklassen um mehr als das 3,5fache, den globalen Durchschnitt um mehr als das 16fache. Das Top-Tausendstel der Hochvermögenden (7,7 Millionen Menschen) übertrifft mit einem Anteil von mehr als sieben Prozent aller CO2-Emissionen die oberen Mittelklassen sogar um das 15fache und den globalen Durchschnitt um das 70fache. Ganz extrem wird es bei den Top 0,01 Prozent – also den eigentlichen Superreichen, die der World Inequality Report weltweit mit 770.000 Personen angibt. Auf sie entfallen mit durchschnittlich 2.531 Tonnen CO2 pro Jahr fast vier Prozent aller weltweiten Emissionen. Das ist mehr, als ganz Deutschland und Japan zusammen an Treibhausgasen emittieren.
- Zum zweiten tragen die Hochvermögenden in exponenzieller Weise zur weiteren Steigerung der Treibhausgasemissionen bei, während in anderen Sozialklassen gerade auch der reicheren Länder die Emissionen sinken. So wuchsen zwischen 1990 und 2019 global berechnet die Emissionen pro Kopf um sieben Prozent. Am stärksten nahmen die Emissionen in der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung zu, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau, sodass die ärmere Hälfte auch heute nur für zwölf Prozent aller Emissionen verantwortlich ist. Die Emissionen der reichsten ein Prozent stiegen im gleichen Zeitraum um 26 Prozent an, bei den obersten 0,01 Prozent sogar um 81 Prozent. Daher kommt der World Inequality Report zu dem Befund, dass heute zwei Drittel der Ungleichverteilung aller CO2-Emissionen auf die zunehmende Ungleichheit innerhalb von Ländern zurückgehen – und nicht mehr auf die Ungleichheit zwischen Ländern, wie dies noch 1990 der Fall gewesen ist. Auch deshalb ist es verfehlt, beim Thema Klimagerechtigkeit pauschal von dem Globalen Norden und dem Globalen Süden zu sprechen. Denn die Ungleichheit innerhalb all dieser Länder, gleichgültig ob Nord oder Süd, ist bei den Treibhausgasemissionen weit bedeutender als die Gegensätze, die in solch fragwürdigen Globalkategorien ausgedrückt werden.
- Drittens schließlich sind die Reichsten nicht nur hinsichtlich ihres Konsums die größten Verursacher der Erderwärmung und der ökologischen Destruktion, sondern gerade auch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Investments, die immense Emissionen begründen. Bei den obersten ein Prozent kommt zum verschwenderischen Luxus ihres Lebensstils noch hinzu, dass sie in unvergleichbarer Weise die unternehmerischen Entscheidungen bestimmen, die Emissionen hervorrufen – und dabei von diesen Emissionen auch noch überaus stark finanziell profitieren. Laut der Carbon Majors Database (Climate Accountability Institute) waren zwischen 1988 und 2015 einhundert weltweit agierende Unternehmen für über 70 Prozent aller fossilen Emissionen durch Industrie und Konsum verantwortlich, von denen stich die Mehrzahl im Besitz privater Investoren befindet.
Mit anderen Worten: Die Reichen und Superreichen stellen zugleich eine weltweite „Verschmutzerelite“ (Polluter Elite) dar, wie dies in der speziellen Forschung zur Carbon Inequality heue genannt wird. Diese Spezialdisziplin der ökologischen Ungleichheitsforschung hat sich im letzten Jahrzehnt stärker ausdifferenziert. Überwiegend werden hierbei drei Dimensionen unterschieden, in denen sich ein Teufelskreis von ökologischen und sozialen Ungleichheiten dokumentiert: der ungleiche Zugang zu Umweltressourcen, die ungleiche Betroffenheit von ökologischen Risiken sowie das ungleiche Ausmaß in der Verantwortlichkeit für Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen. Was die ungleiche Verantwortlichkeit für die ökologische Krise anbelangt, lassen sich wiederum zwei Dimensionen unterscheiden – extremer Überkonsum und die Emissionen, die durch Investments reicher Kapitalbesitzer entstehen. Neckel nennt Namen: Richard Branson oder Jeff Bezos, Roman Abramowitsch und Rex Tillerson.
Zentrales Merkmal im Lebensstil der Reichsten ist ihre Hypermobilität. Das wichtigste Fortbewegungsmittel des Jetsets der Reichsten ist das Flugzeug. Fliegen seinerseits ist die energieintensivste menschliche Aktivität im Verhältnis zur dafür verwendeten Zeit. Allerdings wird die Bedeutung des Flugverkehrs für die Klimakrise insgesamt zumeist überschätzt. Doch ergibt die alleinige Betrachtung des gewaltigen CO2-Ausstoßes der Reichen und Superreichen aufgrund ihres gewaltigen Überkonsums bei weitem kein vollständiges Bild – auch wenn sich die Öffentlichkeit gerne darauf fokussiert. Der Vorschlag, den Konsum über eine bestimmte CO2-Durchschnittsmenge pro Kopf hinaus massiv zu verteuern, so dass jeder exzessive Überkonsum kostspielig auch für die Reichen wird, wird aber in Meckels Augen wenig bringen. Die Preise für Luxusgüter zu erhöhen, sei nämlich eine erfolgreiche Geschäftsstrategie, ihre Nachfrage bei den Reichen zu steigern. Verteuere man also den CO2-Preis für den Reichenkonsum, wird er dadurch nur noch anziehender – und die Umweltzerstörung verwandelt sich noch mehr in ein Privileg derer, die es sich leisten können.
Doch der Ressourcenverbrauch von Privatjets, Traumvillen und Luxusyachten, so exorbitant er auch sein mag, klimapolitisch weniger von Belang als die gewaltigen Emissionen, für die Unternehmen im Besitz der Superreichen verantwortlich sind. Sie bestimmen maßgeblich ihre Investitionsentscheidungen und Geschäftsmodelle und profitieren finanziell von deren emissionsträchtigen wirtschaftlichen Aktivitäten. Dies trifft umso mehr für die Investoren aus den fossilen Industriezweigen und den Energieunternehmen zu, die in Ländern wie Deutschland zu 60 Prozent an der Emittierung von Treibhausgasen beteiligt sind. Dem reichsten einen Prozent in der Vermögensverteilung kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu. Diese Superreichen halten den größten Teil ihres Reichtums als Produktiv- und Finanzvermögen.
Es stelle keine Suche nach Sündenböcken dar, wenn man die enormen ökologischen Zerstörungen benenne, die maßloser Reichtum herbeiführt. Denn erst durch den Vergleich der Umweltschädigung unterschiedlicher Sozialklassen wird klar, dass es ohne eine tiefgreifende Umverteilung zu Lasten des Reichtums keine wirksame Dekarbonisierung gibt. Andernfalls würden alle dafür notwendigen Schritte in breiten Bevölkerungsschichten als sozial ungerecht aufgefasst werden und daher auf Widerstand stoßen. Zudem zeigen finanzökonomische Berechnungen, dass bereits eine mäßige Erhöhung der Vermögensteuern für Multimillionäre durch einen Zuschlag für Umweltschädigung genau jene knapp zwei Prozent des globalen Einkommens generieren könnte, die man dringend benötigt, um durch gezielte Investitionen den Klimawandel zumindest abzuschwächen.
Schließlich sprechen auch normative Gründe dafür, dass ohne eine Begrenzung von Reichtum andere Bevölkerungsgruppen kaum bereit sein werden, ihr umweltschädigendes Verhalten zu verändern. Im Unterschied zu privatem Eigentum gehören die Erdatmosphäre und das Ökosystem niemandem allein, sondern stellen ein kollektives Gut dar. Man weiß aber aus der Forschung über Kollektivgüter, dass sogenannte free rider, die bedenkenlos ein Kollektivgut missbrauchen, maßgeblich die Bereitschaft jedes Einzelnen untergraben, selbst zur Erhaltung gemeinsamer Güter beizutragen. Die reichen Trittbrettfahrer des Erdsystems stellen daher die Motivation aller Bürgerinnen und Bürger infrage, auf Umweltschädigung zu verzichten. Zwischen der Bekämpfung zerstörerischen Reichtums und der Notwendigkeit allgemeiner Verhaltensveränderungen besteht somit ein direkter Zusammenhang. Hinzu kommt die Tatsache, dass der ökologisch zerstörerische Reichtum in der Hand vergleichsweise weniger Milliardäre den Charakter einer Bevorrechtung und somit von Privilegien annimmt, worauf moderne Gesellschaften notorisch empfindlich reagieren. Die Beschneidung solcher Privilegien ist daher ökologisch wirksamer als der Aufruf zum allgemeinen Verzicht, zumal die sachliche Grundlage solcher Appelle sowieso mehr als zweifelhaft ist. Zieht man alle diese Aspekte zusammen, so stellt sich am Ende die Frage, ob der zerstörerische Reichtum nicht Rückwirkungen auf das haben müsste, was wir heute unter „Reichtum“ verstehen. Kann es im Zeitalter der ökologischen Katastrophen, der globalen Erwärmung und des massenhaften Artensterbens noch richtig sein, höchsten privaten Reichtum als Ausdruck potenzierten Wohlstands zu verstehen? Oder steht dieser Reichtum nicht vor allem für einen allgemeinen Verlust an Wohlstand, Glück und Lebenschancen, den moderne Gesellschaften schon um ihres Bestands willen nicht länger hinnehmen sollten?
Wie er das allerdings ändern will, dazu schweigt der Autor, Soziologe und Professor für Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel an der Universität Hamburg, der 1990 mit einer Arbeit zum Thema „Status und Scham. Zur symbolischen Reproduktion sozialer Ungleichheit“ promoviert hat. Sighard Neckels Forschungsschwerpunkte liegen in der Wirtschafts- und Finanzsoziologie, der Ungleichheitsforschung, der Gesellschaftsanalyse des modernen Kapitalismus, der Soziologie der Nachhaltigkeit, der Kultursoziologie und der Soziologie der Emotionen. In seiner empirischen Forschung ist Neckel wissenssoziologisch und ethnographisch ausgerichtet.