Noch wird zu viel verbrannt
Deutschland gilt als Pionier bei der Entwicklung der Kreislaufwirtschaft. Doch ein Blick auf die Recyclingquote von Kunststoffverpackungen für das Jahr 2020 zeigt: Da geht noch mehr. Mit einer Quote von 46,2 Prozent liegt Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld. „In Deutschland gehen pro Jahr mehr als 500.000 Tonnen nicht mehr recycelbare Polyethylenterephthalat-Kunststoffabfälle (PET) unwiederbringlich verloren. Das entspricht einem Materialwertverlust von mehr als einer Milliarde Euro und wird zudem durch neues PET auf Basis von fossilen Rohstoffen ersetzt“, so Dr. Stephan Enthaler vom Institut für Anorganische und Angewandte Chemie der Universität Hamburg (UHH).
Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Christoph Alberti will er das ändern. Im Rahmen des Förderprogramms Calls for Transfer (C4T) forschen Enthaler und Alberti an einem innovativen und effizienten Verfahren, um bislang nicht recyclebare Kunststoffabfälle in neue hochwertige Kunststoffe zu verwandeln und in den technischen Kreislauf zurückzuführen. C4T ist ein von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB) gefördertes Programm zur Unterstützung von Innovationen aus Hamburger Hochschulen.
Mechanisches vs. chemisches Recycling
„Das mechanische Recycling von PET ist ein bewährtes Verfahren, um diesen Kunststoff in den technischen Kreislauf zurückzuführen. Allerdings setzt es voraus, dass die Qualität des PET-Recyclingmaterials ausreichend hoch ist. Leider erfüllen mehr als 50 Prozent der PET-Abfälle diese Anforderungen nicht und werden stattdessen verbrannt, unter Bildung des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid“, erklärt Enthaler. Dass der Schlüssel für eine Lösung dieses Problems im chemischen Recycling liegen könnte, soll das Projekt „Chemisches Recycling von End-of-Life PET als Baustein einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft“ belegen. Dabei wird mechanisch nicht mehr recycelbarer PET-Abfall durch ein chemisches Verfahren zunächst in die Bausteine Dimethylterephthalat und Ethylenglycol zerlegt, um in einem zweiten Schritt, die Polymerisation, zu neuem hochreinen PET umgewandelt zu werden. Auf diese Weise wird Abfall als Ressource für neues PET-Kunststoffmaterial genutzt, was zu einer verbesserten Ressourceneffizienz und Vermeidung von Treibhausgasemissionen führen soll.
Potenzial von Chemie für die Kreislaufwirtschaft
Das wirtschaftliche Potenzial des Verfahrens sah auch die Jury des Hamburg Innovation Awards 2022 und zeichnete das Projekt in der Kategorie Idee aus. „Chemie hat das Potenzial, zu einer Transformation von einer linearen hin zu einer umweltfreundlicheren, nachhaltigeren und zirkulären Wirtschaft beizutragen“, ist Enthaler überzeugt. Der Wissenschaftler weiß, wovon er spricht. Enthaler forscht bereits seit 12 Jahren zum Thema Kunststoffrecycling und seit mehr als 20 Jahren zur Katalyse als Teilgebiet der ‚grünen Chemie‘.
Recycling von biobasiertem Kunststoff
Während es beim C4T-Projekt an der Universität Hamburg um chemisches Recycling von PET-Kunststoff geht – hergestellt aus fossilen Grundstoffen –, liegt der Fokus eines weiteren C4T-Projektteams auf dem Polylactid-Kunststoff (PLA), einem überwiegend auf nachwachsenden Rohstoffen basierendem Kunststoff. Professorin Irina Smirnova, Dr. Carsten Zetzl und Dr. Mouna Kehili von der Technischen Universität Hamburg (TUHH) erforschen gemeinsam mit Dr. Stephan Enthaler im Projekt „PLA – Benign-by-Design“ die Möglichkeiten des chemischen Recyclings von PLA-Abfällen. Daneben werden auch neue, smarte PLA-Materialien hergestellt, bei denen die Recyclingfähigkeit bzw. Nachhaltigkeitsaspekte von Anfang an mitgedacht wurden.
Fossile Ressourcen sind begrenzt
„Ziel ist eine Machbarkeitsstudie für die Realisierung eines besonderen Circular-Economy-Ansatzes im industriellen Maßstab“, erklärt Dr. Mouna Kehili. Die Wissenschaftlerin forschte bis Ende 2022 im Rahmen eines Alexander von Humboldt Stipendiums für Postdoktoranden an der Verwertung von Abfällen aus Agrarpflanzen. Zudem soll mit dem Projekt die Voraussetzung für eine wissensbasierte Ausgründung geschaffen werden. Das Thema ist und bleibt hochaktuell, davon sind die Wissenschaftler überzeugt. Denn die Nachfrage nach Kunststoffen werde in Zukunft weiter steigen – schließlich sind die Materialien leicht, flexibel, vielseitig einsetzbar und dazu noch preiswert in der Produktion. „Weltweit werden jährlich mehrere hundert Millionen Tonnen, in erster Linie auf Basis fossiler Ressourcen, hergestellt, verwendet und anschließend entsorgt“, sagt Kehili und fährt fort: „Die begrenzte Menge der fossilen Ressourcen führt langfristig zu einer Rohstofflücke an industriell relevanten Bausteinen. Um den Bedarf zu decken, werden gegenwärtig nachwachsende Rohstoffe als alternative Quelle diskutiert und eine Vielzahl von Prozessen wurde bereits vorgestellt.“
Verfahren auch im industriellen Maßstab möglich
Hier setzt „PLA – Benign-by-Design“ an und legt einen besonderen Fokus auf die Recyclingfähigkeit. Das neu entwickelte kohlenstoffneutrale und abfallfreie Recyclingverfahren ermöglicht mithilfe unproblematischer Chemikalien, wie Wasser und Katalysatoren, den kontrollierten Abbau von PLA-Abfall zum Monomer Milchsäure, aus der wieder neues hochreines PLA gewonnen werden kann. „Eine Integration des Verfahrens in etablierte industrielle Produktionen ist möglich. Insgesamt erlaubt ein effizientes PLA-Recycling die Entlastung von nachwachsenden Ressourcen“, erläutert Kehili. Der nachhaltige Abbauprozess wurde bereits im Rahmen zahlreicher Forschungsprojekte erfolgreich erprobt und dürfte sich auch im industriellen Maßstab bewähren, so das C4T-Team.
Im Rahmen eines Projekts des C4T (Calls for transfer) Programms, das von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke gefördert wird, beschäftigen sich Dr. Christoph Alberti und Dr. Stephan Enthaler mit dem chemischen Recycling von End-of-Life PET als Teil einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Sie untersuchen Fragestellungen wie die Skalierbarkeit, Praxistauglichkeit und Wirtschaftlichkeit eines im Institut für Anorganische und Angewandte Chemie der Universität Hamburg entwickelten Verfahrens.
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