Warum die Welt den Temperaturanstieg unter 1 °C halten muss
von Jonathan Bamber, Professor für Glaziologie und Erdbeobachtung, Universität von Bristol
und Christian Breyer, Professor für Solarwirtschaft, Technische Universität Lappeenranta
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 war ein historischer Schritt in Richtung einer sichereren Zukunft für die Menschheit auf der Erde. Es zielte darauf ab, die globale Erwärmung unter 2° C über dem vorindustriellen Niveau zu halten und den Anstieg nach Möglichkeit auf 1,5° C zu begrenzen. Es wurde von 196 Konferenzteilnehmern aus aller Welt unterzeichnet, welche die überwältigende Mehrheit der Menschheit repräsentierten. Heute erscheinen, so am 14.06.2023 ein Artikel in THE CONVERSATION (creativecommons), die 1,5 Grad nicht mehr ausreichend.
Doch in den vergangenen acht Jahren wurden in der Arktis rekordverdächtige Temperaturen gemessen, viele Teile Asiens wurden von Hitzewellen heimgesucht, und in Australien kam es zu Überschwemmungen und Waldbränden ungeahnten Ausmaßes. Diese Ereignisse erinnern uns an die Gefahren, die mit dem Zusammenbruch des Klimas verbunden sind. Unsere jüngst veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen vielmehr, dass die Menschheit nur bei einer globalen Erwärmung von 1° C oder weniger sicher ist.
Zwar kann ein einzelnes Extremereignis nicht allein der globalen Erwärmung zugeschrieben werden, doch haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass solche Ereignisse in einer wärmeren Welt viel wahrscheinlicher sind. Seit dem Pariser Abkommen haben sich auch unsere Kenntnisse über die Auswirkungen der globalen Erwärmung verbessert.
Der steigende Meeresspiegel ist eine unvermeidliche Folge der globalen Erwärmung. Dies ist auf die Kombination aus verstärktem Abschmelzen des Landeises und der Erwärmung der Ozeane zurückzuführen, durch die das Volumen des Meerwassers zunimmt. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass wir, um die vom Menschen verursachte Komponente des Meeresspiegelanstiegs zu beseitigen, zu den Temperaturen zurückkehren müssen, die zuletzt in der vorindustriellen Ära (üblicherweise um 1850) erreicht wurden.
Noch besorgniserregender sind die Kipppunkte im Klimasystem, die nach menschlichem Ermessen unumkehrbar sind, wenn sie überschritten werden. Zwei dieser Kipppunkte beziehen sich auf das Abschmelzen des grönländischen und des westantarktischen Eisschildes. Zusammen enthalten diese Eisschilde genug Eis, um den globalen Meeresspiegel um mehr als zehn Meter anzuheben.
Die Temperaturschwelle für diese Eisschilde ist ungewiss, aber wir wissen, dass sie in der Nähe von 1,5° C der globalen Erwärmung über dem vorindustriellen Niveau liegt. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass dieser Schwellenwert in der Westantarktis bereits überschritten wurde.
Kritische Grenzen
Eine Temperaturveränderung von 1,5° C mag sich gering anhören. Aber man sollte bedenken, dass die Entstehung der modernen Zivilisation und die landwirtschaftliche Revolution vor etwa 12.000 Jahren in eine Zeit außergewöhnlich stabiler Temperaturen fielen. Unsere Nahrungsmittelproduktion, die globale Infrastruktur und die Ökosystemleistungen (die Güter und Dienstleistungen, welche die Ökosysteme für den Menschen bereitstellen) sind alle eng mit diesem stabilen Klima verbunden. Historische Belege zeigen beispielsweise, dass die so genannte kleine Eiszeit (1400-1850), in der die Gletscher auf der Nordhalbkugel stark anwuchsen und auf der Themse alljährlich Frostjahrmärkte abgehalten wurden, durch eine viel geringere Temperaturänderung von nur etwa 0,3 °C verursacht wurde.
In einer kürzlich erschienenen Übersicht über die aktuelle Forschung in diesem Bereich wird ein Konzept mit der Bezeichnung „Erdsystemgrenzen“ eingeführt, das verschiedene Schwellenwerte definiert, bei deren Überschreitung das Leben auf unserem Planeten erheblichen Schaden nehmen würde. Um das Überschreiten mehrerer kritischer Grenzen zu vermeiden, betonen die Autoren die Notwendigkeit, den Temperaturanstieg auf 1° C oder weniger zu begrenzen.
In unseren neuen Forschungsarbeiten argumentieren wir auch, dass eine Erwärmung von mehr als 1° C unsichere und schädliche Folgen haben kann. Dazu gehören ein möglicher Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter, stärkere Wirbelstürme und häufigere Wetterextreme.
Mehr erschwingliche erneuerbare Energie
Obwohl wir bereits 1,2° C über den vorindustriellen Temperaturen liegen, ist die Reduzierung der globalen Temperaturen keine unlösbare Aufgabe. Unsere Forschung zeigt einen Fahrplan auf, der auf aktuellen Technologien basiert, die uns helfen können, das Ziel einer Erwärmung um 1° C zu erreichen. Wir müssen kein technologisches „Kaninchen aus dem Hut zaubern“, sondern stattdessen in bestehende Ansätze wie erneuerbare Energien investieren und sie in großem Maßstab umsetzen.
Erneuerbare Energiequellen sind mit der Zeit immer erschwinglicher geworden. Zwischen 2010 und 2021 sind die Kosten für die Stromerzeugung aus Solarenergie um 88 % gesunken, während die Kosten für Windenergie im gleichen Zeitraum um 67 % zurückgegangen sind. Auch die Kosten für die Stromspeicherung in Batterien (für den Fall, dass die Verfügbarkeit von Wind und Sonnenlicht gering ist) sind zwischen 2014 und 2020 um 70 % gesunken. Der Kostenunterschied zwischen erneuerbaren Energien und alternativen Energiequellen wie Kernkraft und fossilen Brennstoffen ist inzwischen enorm – er beträgt das Drei- bis Vierfache.
Erneuerbare Energiequellen sind nicht nur erschwinglich, sondern auch im Überfluss vorhanden und könnten den Energiebedarf der Gesellschaft rasch decken. Außerdem werden derzeit weltweit massive Kapazitätserweiterungen vorgenommen, die den Sektor der erneuerbaren Energien nur weiter stärken werden. So wird sich die weltweite Produktionskapazität für Solarenergie-Anlagen in den Jahren 2023 und 2024 voraussichtlich verdoppeln.
Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen
Kostengünstige erneuerbare Energien werden es unseren Energiesystemen ermöglichen, von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Sie bieten aber auch die Möglichkeit, CO2 direkt und in großem Umfang aus der Atmosphäre zu entfernen. Diese CO2-Entfernung ist von entscheidender Bedeutung, um die Erwärmung auf 1° C oder weniger zu begrenzen, auch wenn sie einen erheblichen Energieaufwand erfordert. Forschungsergebnissen zufolge müssten zur Erreichung eines sicheren Klimas zwischen 5 und 10 % des gesamten Stromerzeugungsbedarfs für eine wirksame CO2-Entfernung aufgewendet werden. Dies ist eine realistische und realisierbare politische Option.
Verschiedene Maßnahmen werden eingesetzt, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Dazu gehören naturbasierte Lösungen wie die Wiederaufforstung sowie die direkte Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff in der Luft. Bäume nehmen durch Photosynthese CO2 aus der Atmosphäre auf und speichern es dann für Jahrhunderte.
Die Technologie der Direct Air Capture wurde ursprünglich in den 1960er Jahren für die Luftreinigung in U-Booten und Raumschiffen entwickelt. Seitdem wurde sie jedoch auch für den Einsatz an Land angepasst. In Kombination mit unterirdischen Speichermethoden, wie der Umwandlung von CO2 in Stein, bietet diese Technologie eine sichere und dauerhafte Methode zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre.
Unser Papier zeigt, dass die Instrumente und Technologien für eine sicherere, gesündere und wohlhabendere Zukunft vorhanden sind – und dass es wirtschaftlich machbar ist, dies zu tun. Was zu fehlen scheint, ist der gesellschaftliche Wille und folglich die politische Überzeugung und das Engagement, dies zu erreichen.
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