Berechnungsmodell vergleicht Klimafreundlichkeit von Gas und Elektrizität
Das Heizen und Kochen mit Erdgas ist oft klimaschädlicher als bisher gedacht. Dies ergibt ein neues Berechnungsmodell, das Forschende der Technischen Universität München (TUM) entwickelt haben. Das Besondere: Es bezieht auch die gewaltigen Gasmengen mit ein, die ungenutzt in die Atmosphäre entweichen. Dr. Florian Dietrich, Wissenschaftler im Bereich für Umweltsensorik und Modellierung an der TUM.:„Wir wollten wissen, ob es – auch unter Berücksichtigung der Gasleckagen – klimafreundlicher ist, Gas für das Heizen und Kochen zu nutzen oder Elektrizität“.
Gemeinsam mit Forschenden der ETH Zürich, der Universität Utrecht und der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung TNO hat das internationale Team eine Hightech-Messstation für die Erfassung von Kohlendioxid, Methan und Kohlenmonoxid sowie Laserspektrometer für Vor-Ort-Messungen von Methan genutzt und alle Variablen in dem eigens entwickelten Berechnungsmodell zusammengeführt. Die Ergebnisse wurden in einem Peer-Review-Verfahren publiziert und bestätigt.<
Erdgas gilt als Brückentechnologie in der Energiewende, da es weniger Kohlenstoffemissionen verursacht als beispielsweise Kohle. Wenn jedoch Lecks vorhanden sind, wird Methan in die Atmosphäre freigesetzt, was zu einem dramatischen Anstieg des Kohlenstoff-Fußabdrucks von Erdgas führt, da Methan ein viel stärkeres Treibhausgas ist als Kohlendioxid. Daher haben wir eine detaillierte Studie über die Methanemissionen von gasbetriebenen Endverbrauchern durchgeführt und dann deren Klimaauswirkungen mit denen von strombetriebenen Geräten verglichen. Wir haben das Münchner Oktoberfest als Fallstudie verwendet und die Studie dann auf 25 große Erdgasverbraucherländer ausgeweitet. Dabei zeigte sich, dass Strom auf dem Oktoberfest seit 2005 der klimafreundlichere Energieträger ist, was auf den umfangreichen Einsatz von erneuerbarem Strom auf dem Fest und die Methanemissionen zurückzuführen ist, die insbesondere durch die unvollständige Verbrennung von Erdgasgeräten verursacht werden. Darüber hinaus zeigt unsere globale Studie, dass die Verwendung von Elektrogeräten zum Kochen und Heizen nicht nur auf dem Oktoberfest, sondern auch in mehreren Ländern auf der ganzen Welt klimafreundlicher wäre, je nach dem verwendeten Energiemix und der Leckagerate von Erdgas. Mit dieser Studie zeigen wir einen Weg auf, wie vor allem Länder mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Zukunft einen erheblichen Teil der Kohlenstoffemissionen reduzieren können.
Unvollständig verbranntes Erdgas wichtig für die Klimabilanz
Auf dem Oktoberfest 2019 beispielsweise, so fanden die Forschenden heraus, ging 1,4 Prozent des damals eingesetzten Gases verloren. Bei einer Gasmenge von über 185.000 Kubikmetern entwichen also 2.500 Kubikmeter Gas in die Umgebung. „Das entwickelte Berechnungsmodell bezieht diese Mengen an entwichenem Erdgas mit ein und liefert einen umfassenden Emissionsfaktor für die Verwendung von Erdgas zum Kochen und Heizen“, erläutert Wissenschaftler Dietrich.
Erneuerbare Energien im Strommix senken den Emissionsfaktor
Um entscheiden zu können, ob Erdgas oder Elektrizität die klimafreundlicher ist, muss man jedoch auch auf den verwendeten Strommix schauen: „Ein hoher Anteil erneuerbarer Energien senkt den Emissionsfaktor für Elektrizität erheblich, während z.B. die Verwendung von Kohlestrom den gegenteiligen Effekt hat“, so Dietrich. Die Forschenden haben all diese Faktoren in ihr Berechnungsmodell miteinfließen lassen und können so quantitative Rückschlüsse ziehen, für welche Nationen Strom bereits heute die klimafreundlichere Alternative zu Erdgas ist und welche Anstrengungen die anderen Nationen noch unternehmen müssen, um diesen Punkt zu erreichen.
Für alle 25 untersuchten Nationen wird dabei deutlich: „Durch die Einbeziehung der Leckagen und unvollständigen Verbrennungen wird insgesamt ein geringerer Anteil an erneuerbaren Energiequellen im Strommix benötigt, als bisher angenommen“, fasst die Professorin für Umweltsensorik und Modellierung Jia Chen zusammen, die zudem Leiterin des Innovationsbereichs Umwelt im Robotik- und KI-Institut MIRMI der TUM ist. Es ist also für die meisten Nationen bereits deutlich früher möglich, aus Aspekten des Klimaschutzes auf Elektrizität anstelle von Gas zu setzen.
Kanada mit klarer Empfehlung für Elektrizität
Auf einzelne Staaten geblickt heißt das, dass beispielsweise Kanada mit seinem hohen Anteil an Wasserkraft aus reinen Klimaschutzgründen bereits heute fürs Heizen und Kochen komplett auf Elektrizität setzen könnte. In China sieht es anders aus: Denn die Kohleverbrennung dominiert dort im Strommix, so dass durch die Verwendung von Elektrizität bei identischer Energiemenge mehr Kohlenstoff ausgestoßen wird als bei der Verbrennung von Erdgas.
Für Deutschland gibt es derzeit trotz des stark zunehmenden Anteils an Wind- und Solarenergie noch keine klare Empfehlung für Elektrizität. Damit befindet sich Deutschland noch in breiter „Gesellschaft“: Für 18 von 25 betrachteten Staaten ist Elektrizität im Vergleich mit Gas aktuell noch nicht klimafreundlicher, darunter Staaten wie Spanien, Italien, die Niederlande, Japan und Australien. Ein Blick auf die Diagramme der TUM-Forschenden zeigt jedoch deutlich, dass für viele der untersuchten Nationen Elektrizität schon bald die klimafreundlichere Alternative sein wird, da kontinuierlich in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert wird.
->Quelle und weitere Informationen:
- tum.de/klimabilanz-von-erdgas-oft-schlechter-als-bisher-angenommen
- Im Rahmen der Messe Automatica vom 27. bis 30. Juni 2023 finden sich mehr als 30 Demonstrationen von Forschungsarbeiten zum Thema Robotik und KI – Übersicht.
- mirmi.tum.de
- Originalpublikation: Florian Dietrich, Jia Chen, Ankit Shekhar, Sebastian Lober, Konstantin Krämer, Graham Leggett, Carina van der Veen, Ilona Velzeboer, Hugo Denier van der Gon, Thomas Röckmann (2023): Climate impact comparison of electric and gas-powered end-user appliances, in: Earth’s Future, 11, e2022EF002877. https://doi.org/10.1029/2022EF002877 – open access