Wissenschaftliches Know-how als Beschleuniger der erfolgreichen Wärmewende

Norddeutsche Bundesländer vernetzen Sachverstand auf 1. Wärmekonferenz – 25 Mrd. Euro Investitionsbedarf

„Ich könnte Sie auch begrüßen mit ‚lieber beeindruckender, versammelter Sachverstand‘“, begann Dr. Marc Hudy, Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK) sein Grußwort vor fast 100 Teilnehmenden in der Alten Mensa Göttingen. Forschende sowie Mitarbeitende von Kommunen und Unternehmen hatten sich am 22.06.2023 zur 1. Norddeutschen Wärmekonferenz in Göttingen zusammengefunden, um sich unter den fünf Bundesländern Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern besser zu vernetzen und so die Wärmewende gemeinsam voranzubringen.

Wärmewende – Kraftwerksrückbau in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Hervorgegangen ist die Konferenz aus einem vom Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (EFZN) geförderten Projekt. Die zugrundeliegende Projektausschreibung wollte durch wissenschaftliche Vorhaben die Transformation des Energiesystems im Spannungsfeld von Energiekrise und Klimaschutz maßgeblich beschleunigen. „Wenn die Politik ein Ziel definiert, dann muss auch der Wissenschaft Gehör geschenkt werden, wie der Weg dahin gestaltet werden kann, welche Stolpersteine es noch gibt und dass dieses Wissen auch transportiert wird. Das genau machen wir hier: angewandte Wissenschaft in ein Netzwerk hinein transportieren. Hier sind alle vertreten, viele Hochschultypen, Forschungseinrichtungen, aber eben auch Beratungsinstitutionen. Ganz wichtig ist jetzt, dass dieser Ruf, dieses wissenschaftliche Know-how, auch von der Politik gehört und verarbeitet wird“, so Hudy.

Den Investitionsbedarf für die Umstellung der Wärmeversorgung auf rund 50 Prozent erneuerbare Energien in den nächsten zwei bis vier Jahren schätzt HAWK-Professor Dr. Stefan Holler auf 25 Milliarden Euro für die norddeutschen Bundesländer. „Wir als Wissenschaft wollen diesen Prozess unterstützen und die entsprechenden Erkenntnisse aus unserer Forschung bereitstellen. Dazu ist es erforderlich, dass wir gemeinsame Projekte durchführen. Um den Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis zu realisieren, sollten pro Bundesland je nach wirtschaftlichem Potenzial und bereits jetzt geleisteten Landesfinanzierungen rund drei bis fünf Millionen Euro pro Jahr für die kommenden fünf Jahre bereitgestellt werden“, so Holler, Professor für Energie- und Umwelttechnik und Umweltmanagement an der HAWK-Fakultät Ressourcenmanagement am Standort Göttingen. Auch eine ergänzende Finanzierung aus Bundesmitteln sei denkbar. Das Ziel, so formuliert es das Abschlussstatement der Tagung, sei die Gründung einer Norddeutschen Wärmeforschungsallianz, welche effiziente Transferstrukturen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft in Norddeutschland etablieren und stärken und so die Wärmewende maßgeblich voranbringen könne.

Um die wichtigsten Themen in der Wärmewende in die Konferenz einbringen zu können, stand entsprechender Sachverstand vor Ort zur Verfügung, wie z. B. Prof. Dr. Jürgen Knies von der Hochschule Bremen: „Mit der kommunalen Wärmeplanung haben die Kommunen ein Planungsinstrument an der Hand, um geordnet und strukturiert die zukünftige Wärmeversorgung klimaneutral und sozialverträglich zu gestalten. Wichtig ist dabei auch, dass sämtliche Potenziale erneuerbarer Energien übergreifend und grundlegend analysiert und dargestellt werden“, so der Experte.

Prof. Dr. Ingo Weidlich von der HafenCity Universität Hamburg forscht zum Schwerpunkt Wärmenetze: „Industrielle Abwärme, Geothermie, Solarthermie insbesondere Solarthermie-Kollektoren können nicht unbedingt immer direkt vor Ort genutzt werden, daher brauchen wir eine Verbindung zwischen der Erzeugung der Wärme und der Nutzung der Wärme. Das Wärmenetz ist an der Stelle das verbindende Element und extrem wichtig für die Wärmewende. Bei den Materialien gibt es einiges noch, was wir im Hinblick auf Nachhaltigkeit verbessern können. Die Netze sollen aber auch kostengünstig, wirtschaftlich und schnell ausgebaut werden können.“

Dr. Volker Lenz sprach für das Institut für Abfall- und Stoffstromwirtschaft der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock: „Wir forschen intensiv an der Erschließung von biogenen Rest- und Abfallstoffen für die Wärmeerzeugung, um diese sinnvoll und systemdienlich einzusetzen, um die Wärmewende einen großen Schritt voranzubringen, insbesondere im Einsatz mit hybriden Wärmetechnologien mit anderen Erneuerbaren zusammen und für die Hochtemperatur-Prozesswärme“.

Prof. Dr. Inga Moeck von der Universität Göttingen setzt auf Geothermie: „Wir aus der Wissenschaft müssen diese Wärmewende begleiten, indem wir sagen, wo geothermische Potenziale in Norddeutschland besonders hoch sind. Da ist dann neben der Forschung noch wichtig, dass die Politik dieses Potenzial auch erkennt und die Kommunen unterstützt, denn die Kommunen mussten sich bisher um Erschließung von Wärmequellen gar nicht kümmern, das heißt, wir müssen auch Strukturen schaffen, die die Behörden und die Kommunen in die Lage überhaupt versetzen, diesen Bodenschatz zu nutzen und zu heben“.

Prof. Dr. Ilja Tuschy vom Zentrum für Nachhaltige Energiesysteme (ZNES) der Europa-Universität und Hochschule Flensburg ergänzt: „Die Wärmewende funktioniert nur, wenn wir unsere Systeme optimal auslegen und betreiben. Wir simulieren beispielsweise, wie Solar- und Geothermie mit Wärmepumpen und Speichern zusammen optimal 100 Prozent erneuerbare Wärme liefern können. In unserem Nachbarland Dänemark klappt das auch in der Praxis schon sehr gut, das wollen wir in Norddeutschland auch schaffen“.

Henryk Haufe vom Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende (KWW) zog nach den Fachvorträgen und dem intensivem Austausch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine erste Tagesbilanz: „Wir als KWW verstehen uns als Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und der Praxis. Es ist eine wunderbare Möglichkeit, sich hier mit der Wissenschaft zu vernetzen und die Fachexpertisen auch aktiv in den gesellschaftlichen Diskurs zur Energiewende mit einzubringen“.

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