Kreislauf-Metapher verhindert, dass Müllberge schwinden

Heike Weber über die Ideengeschichte einer zirkulären Wirtschaft als „ewiges Heilsversprechen“

Obwohl dem Recycling und der Kreislaufwirtschaft im Zusammenhang mit Ressourcenschutz, Nachhaltigkeit und der Eindämmung der Erderwärmung eine immense Bedeutung beigemessen wird, bleibt der Ressourcenverbrauch trotz Jahrzehnten des Recyclings hoch und sind die Müllberge nicht kleiner geworden. Die WissenschaftlerInnen der Beliner Forschungsnachwuchsgruppe „PuR – Mit Precycling zu mehr Ressourceneffizienz. Systemische Lösungen der Verpackungsvermeidung“ um Prof. Dr. Heike Weber (TU) schreiben, dass sich allein in Deutschland die Menge an Kunststoffverpackungsabfällen in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt habe (07.07.2023).

Plastikmüll – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Jedes Jahr fielen mehr als drei Millionen Tonnen dieser Abfälle an. Und im Bericht der „Umweltministerkonferenz-Sonderarbeitsgruppe Rezyklateinsatz stärken“ von 2022 heißt es: „Bezogen auf das Jahr 2019 wurden circa 1,9 Millionen Tonnen Kunststoffrezyklate erzeugt, was einer Rezyklateinsatzquote von 13,4 Prozent entspricht. Anders ausgedrückt: 86,6 % des verarbeiteten Kunststoffs in Deutschland basiert auf Kunststoffneuware …“. Das heißt: Erdöl, Erdgas und andere Rohstoffe werden erneut verbraucht.

Aber warum ist das so? Eine Ursache sieht Weber in der Metapher des Kreislaufs, die uns glauben lässt, Recycling könne problemlos sämtlichen Müll absorbieren und in Rohstoffe umwandeln. In ihrem Artikel „Zeit- und verlustlos? Der Recycling-Kreislauf als ewiges Heilsversprechen“ hat sie sich mit der Ideengeschichte der Kreislauf-Metapher auseinandergesetzt. Sie zeigt darin auf, welche Blindstellen dieses Sprachbild generiert, welche Einsichten es im Verborgenen lässt und wie es daher mit dazu beiträgt, dass die Abfallberge nicht schwinden.

Zum Beispiel Lumpen sammeln – die lange Tradition des Sammelns und Wiederverwertens

Das Sammeln und Wiederverwerten von Gebrauchtem, heute Rezyklieren, so Heike Weber, Leiterin des Fachgebiets Technikgeschichte der TU Berlin, ist längst nicht erst mit dem grünen Punkt und der gelben Tonne entstanden, sondern habe eine lange Tradition im Denken über Natur und Ökonomie. Das Denkmuster des Kreislaufs sei seit jeher herangezogen worden, wenn es darum ging, Stoffe wieder zu nutzen und Abfall zu vermeiden. Erinnert sei an das Lumpensammeln – Voraussetzung für die Papierherstellung bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Aber auch das Sammeln von Altpapier, Schrott oder Küchenabfällen und Speiseresten ist keine Erfindung der letzten 40, 50 Jahre.

Im Paris des 19. Jahrhunderts wurden darüber hinaus zum Beispiel auch Resteknochen und die Fäkalien der Haushalte systematisch eingesammelt: Aus Knochen wurden Leim, Seife und anderes gewonnen; die Exkremente wurden zu Dünger weiterverarbeitet. Das aus weggeworfenen Konservendosen zurückgewonnene Zinn fand Wiederverwendung in der Textilindustrie des frühen 20. Jahrhunderts.

Mit dem Zirkulationsgedanken hätten auch Chemiker und Stadtpolitiker argumentiert, als Mitte des 19. Jahrhunderts aus hygienischen Gründen in den großen europäischen Städten mit dem Bau von Kanalisationen begonnen wurde. Sie kritisierten, dass durch die Kanalisation besonders die in Urin und Kot enthaltenen wichtigen Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff dem Stoffkreislauf entzogen würden und plädierten dafür, vor den Toren der Städte Rieselfelder anzulegen, damit die Nährstoffe der Fäkalien nicht einfach weggeschwemmt würden. „Bei der Frage des Umgangs mit Fäkalien vertreten Chemiker und Hygieniker unterschiedliche Positionen. Man könnte auch durchaus zum Schluss kommen, dass die Entsorgung der Fäkalien über die Kanalisation der Eintritt in die Wegwerfgesellschaft war“, sagt Weber.

Recyceln funktioniert nicht wie das Werden und Vergehen der Natur

Den Ursprung von einer immerwährenden, geschlossenen Umwandlung der Stoffe habe die Kreislauf-Metapher im endlosen Werden und Vergehen der Natur. „Symbolisiert wird diese Vorstellung im Uroboros, der Schlange, die den eigenen Schwanz verschlingt und somit einen Kreis bildet“, so Weber.

Das Bild vom Kreislauf suggeriert, dass die sowohl bei der Produktion und Konsumtion genutzten Stoffe als auch entstehenden Abfälle vollständig und restlos wieder in die Produktion zurückgeführt werden könnten. „Dieses Heilsversprechen steht jedoch im Widerspruch zu technisch-ökonomischen Realitäten“, so Weber. Erstens gehe Recycling bislang immer mit Stoff- und Qualitätsverlusten einher, worauf auch der Begriff des „Downcyclings“ zu verweisen sucht: Es entstünden neue Abfälle. Und Ressourcen wie etwa Energie würden erneut verbraucht. Zweitens sei Recycling komplex sowie zeit- und ressourcenintensiv: Der Kreislauf müsse vom Einsammeln des Mülls über die Trennung bis zur Wiederaufbereitung von MüllarbeiterInnen, Technik, Maschinen und Logistik kontinuierlich am Laufen gehalten werden und manche Stoffe seien auszusondern, weil sie nicht rezyklierbar oder gar giftig sind. Was die Kreislauf-Metapher also verschleiert, ist, dass die technischen Kreisläufe eben nicht so geschlossen funktionieren wie die natürlichen, so Weber.

„Das Uroboros-Prinzip eines ewigen Werdens und Vergehens der Natur, die keine Abfälle kennt, lassen sich nicht mit der Kultur und Wirtschaft einer produzierenden und konsumierenden Gesellschaft, in der unweigerlich Reste entstehen, und ihren kulturellen und technisch-ökonomischen Zeittaktungen parallelisieren.“ Tagebaue zum Beispiel hinterlassen Abraumhalden, in vielen Fällen auch eine auf Jahrzehnte hin zerstörte Landschaft und ihre Renaturierung ist teuer, aufwändig und zeitintensiv.

Trotz dieser Fakten, trotz Abfallberge und Abfallsenken wird die Kreislauf-Metapher für die Bewältigung des Müllproblems nicht in Frage gestellt. Vielmehr übernehme sie auch aktuell die politisch-ideelle Funktion einer technisch-ökonomischen Lösbarkeit des Abfallproblems. „Sie dient“, schreibt Weber „als Heilsversprechen, dass die Massenkonsumgesellschaft ihr Abfallproblem und die Folgen der von ihr massiv veränderten Stoffströme der Erde auf technisch-ökonomischem Wege wird lösen können“, nämlich mit Recycling. Recycling werde weiterhin als end-of-pipe-Technik gesehen, statt die vorherrschenden Strukturen von Produktion und Konsumtion zu hinterfragen und zu ändern.

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