Systemversagen im Klimaschutz

Wissenschaftler kritisieren Zurückweisung der „Kinder-Klimaklage“ durch österreichischen VfGH

Die Wissenschaft zeigt nach dem Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) breite Unterstützung für die Klimaklage von 12 jungen und mutigen KlägerInnen – Rechtsexperte Helmut Sax spricht von “Systemversagen”. Am 07.07.2023 war die Kinder-Klimaklage aus formalen Gründen zurückgewiesen worden; als Reaktion auf dieses enttäuschende Urteil rief Fridays For Future am 10.07.2023 zum Protest auf. Neben AktivistInnen meldet sich jetzt auch die Wissenschaft zu Wort: Der Gerichtshof habe sich mit der Entscheidung aus der Verantwortung genommen, auf die Klimakrise zu reagieren. Damit sei das Rechtsschutzdefizit in Punkto Klimaschutz bestätigt worden. Klimaforscher Daniel Huppmann warnte davor, dass mit der Zurückweisung der Klage die verfassungsrechtlich verankerten Kinderrechte zu “hohlen Phrasen“ degradiert würden und betont die Wichtigkeit eines neuen Klimaschutzgesetzes.

Das bisherige Klimaschutzgesetz ist scheinbar so irreparabel, dass auch der VfGH nicht weiterhelfen kann. Das Urteil bringt das gravierende Rechtsschutzdeffizit in der Klimakrise ans Licht (Fridays for Future)

Zurückweisung zwingt Politik erneut zur Verantwortung

40 Grad – Temperaturrekord – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

„So unbefriedigend die formelhafte Zurückweisung durch den Verfassungsgerichtshofs für die Antragsteller sein mag, ist zu betonen, dass der Verfassungsgerichtshof mit dem vorliegenden Beschluss, eben weil er sich auf eine formale Prüfung des Anfechtungsumfangs zurückgezogen hat, vieles nicht sagt: Er sagt nicht, die Antragsteller wären von vornherein nicht in ihrer Rechtsposition betroffen und er sagt schon gar nicht, die vorgebrachten Argumente hätten kein Gewicht. Sich damit zu beschäftigen, wird einem anderen Verfahren vorbehalten bleiben müssen, sollten die politischen Akteure nicht von sich aus stärkere Akzente setzen”, erklärt Christoph Bezemek, Rechtswissenschaftler der Universität Graz. Daher resümiert er: „Soweit es sich aber um politisch wichtige und rechtlich wohlbegründete Punkte handelt, ist eine angemessene Auseinandersetzung mit ihnen letztlich unausweichlich – politisch ebenso wie verfassungsgerichtlich.“

Klimakrise stellt Gefährdung für ganze Generationen dar

„Die Auswirkungen der Erderhitzung sind bereits heute klar erkennbar. Das zeigen die Überschwemmungen in Spanien und Italien, die Wasser-Rationierungen in Frankreich, die Waldbrände in Deutschland und Kanada sowie extreme Hitze in Afrika und Indien, sodass unsere Lebensgrundlagen in höchstem Maße gefährdet sind”, erklärt Daniel Huppmann, vom IIASA (International Institute for Applied Systems Analysis). Er zeigt auch direkte Betroffenheit: „Ich bin nicht nur Klimawissenschafter, sondern auch Vater eines vierjährigen Kindes. Die verschleppten und verzögerten Maßnahmen für Klimaschutz und Anpassung gefährden die Lebensgrundlagen meines Kindes, seiner Freundinnen und Freunde, seiner ganzen Generation. Die mangelnde Ernsthaftigkeit und der fehlende Wille, die Zukunft unserer Kinder zu schützen, macht mich persönlich tief betroffen.“

WissenschaftlerInnen stellen sich hinter Forderung nach Klimaschutzgesetz

Die Wissenschaftler bestärken die Notwendigkeit eines Klimaschutzgesetzes: „Die österreichische Bundesregierung und einzelne Landes- und Stadtregierungen haben ambitionierte Ziele verkündet, um unsere Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und Anpassungsmaßnahmen an steigende Hitze und andere Auswirkungen der Erderhitzung vorzunehmen. Die dafür notwendigen Gesetze stecken aber in Verhandlungen fest, wie etwa ein wirksames Klimaschutzgesetz oder das Erneuerbare-Wärme-Gesetz. Die Erreichung der Klimaziele, insbesondere Klima-Neutralität bis 2040, ist mit den bis jetzt gesetzten Maßnahmen nicht plausibel darstellbar”, kritisiert Huppmann.

Lösungen liegen auf dem Tisch – politischer Wille fehlt

Als Klimawissenschafter beschäftigt sich Huppmann mit Emissionsreduktionspfaden und kann aus dieser Perspektive sagen: „Alle Technologien und Handlungsoptionen zur Halbierung unserer Emissionen in den nächsten sieben Jahren sind bekannt und wirtschaftlich umsetzbar. Es fehlt hauptsächlich am politischen Willen, diese Maßnahmen auch tatsächlich rasch und breit umzusetzen.“

Aus dem Urteil: Eine Festlegung der Verantwortlichkeit der zuständigen Bundesminister für die Erarbeitung sämtlicher Klimaschutzmaßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes und der Länder und nicht bloß für die Führung von Verhandlungen kann dem Gesetzgeber auf Grund der Kompetenzverteilung nach Art. 10 ff. BVG wohl nicht zugesonnen werden.
Als zu eng gefasst erweist sich auch der Eventualantrag, mit dem zusätzlich die Wort- und Zeichenfolgen „werden gemäß den Anlagen festgelegt. Die Höchstmengen“ in § 3 Abs. 1 KSG und „gemäß § 3 Abs. 1 festgelegten“ in § 6 KSG angefochten werden. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass – würde eine allfällige Verfassungswidrigkeit festgestellt – diese jedenfalls nicht bloß durch die Aufhebung bestimmter Wort- und Zeichenfolgen in § 3 KSG allein beseitigt werden könnte.
Der Hauptantrag und der Eventualantrag sind … als unzulässig zurückzuweisen.

Enttäuschung über Zurückweisung der Klage der 12 jungen KlägerInnen

„Die Zurückweisung der Klage zeigt, dass der in der Verfassung versprochene besondere Schutz unserer Kinder eine hohle Phrase ist“, bedauert Huppmann. Auch der Wiener Politikwissenschaftler Prof. Reinhard Steurer zeigt sich fassungslos gegenüber dem Abschieben von Verantwortung durch die staatlichen AkteurInnen: „Jetzt ist das Staatsversagen komplett: Nach der Regierung und dem Parlament, schafft es jetzt offenbar auch die Justiz nicht, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren.” Helmut Sax vom Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte in Wien, beschreibt die Entscheidung des VfGH als „Enttäuschung und Ernüchterung auf drei Ebenen: Erstens für die AntragstellerInnen, die Kinder und Jugendlichen selbst, auch weil es gar nicht einmal zu einer inhaltlichen Entscheidung gekommen ist, sondern der Antrag schon aus formalen Gründen zurückgewiesen wurde; zweitens auf juristischer Ebene, weil eine Chance verpasst wurde, zukunftsweisend den Rechtsschutz von Kindern zu stärken; drittens, für uns als Gesellschaft, weil wir in einer Sackgasse zum Klimaschutz angekommen sind.“

„Es gibt in Politik und Gesetzgebung keine Priorität für bzw. keine Einigung auf ein zeitgemäßes Klimaschutzgesetz, und ein Höchstgericht sieht sich für Reparaturen nicht zuständig”, ergänzt Sax und resümiert: „Verloren haben also wir alle, und ganz besonders junge Menschen, die auch in Zukunft mit diesem Systemversagen leben müssen.”

  • Daniel Huppmann ist Senior Research Scholar am International Institute for Applied System Analysis (IIASA). Innerhalb des Energy, Climate, and Environment (ECE) Program des IIASA forscht er an Klimamodellen und Klimaszenarien. Huppmann ist Co-Vorsitzender des Zweiten Österreichischen Sachstandsberichts (AAR2), einer umfassenden und interdisziplinären Bewertung der wissenschaftlichen Literatur zum Klimawandel in Österreich.
  • Helmut Sax ist Senior researcher am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte in Wien. Sax forscht in den Bereichen Kinderrechte und Menschenhandel; Er ist Mitglied im Leitungsteam des Netzwerks Kinderrechte Österreich und war bis 2018 Mitglied der ExpertInnengruppe des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels (GRETA).
  • Christoph Bezemek ist Rechtswissenschaftler an der Universität Graz. Er arbeitet im Rechtsbereich des Öffentlichen Rechts sowie Politikwissenschaft. Seit 2019 hat er das Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Graz inne.
  • Reinhard Steurer ist Politikwissenschaftler im Department Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik an der Universität für Bodenkultur Wien. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der politischen Dimension der Klimakrise im Allgemeinen bzw. mit der politischen Bedeutung von Ausreden und Schein-Klimaschutz in allen Bereichen der Gesellschaft im Speziellen.

->Quellen: