Nachhaltige und resiliente Rohstoffversorgung
Die Verfügbarkeit kritischer, metallischer Rohstoffe beeinflusst immer stärker die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch Innovationskraft Deutschlands und seiner internationalen Partner. Wie sind mehr Unabhängigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit in der Rohstoffversorgung erreichbar? Welches Potenzial steckt in Sekundärrohstoffen und kreislauffähigen Werkstoffsystemen? Darüber diskutierten am 09.09.2023 im Rahmen der acatech-Themenkonferenz „Werkstoffe – Wertstoffe – Rohstoffe“ im Münchner Amerikahaus ExpertInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Fazit von acatech-Präsident Jan Wörner: Sekundärrohstoffe und der Aufbau einer umfassenden Kreislaufwirtschaft müssen eine immer größere Rolle spielen.
Bereits in seinem Grußwort zeichnete acatech Präsident Jan Wörner ein klares Bild davon, wie wichtig es ist, sich dem Thema ganzheitlich zu nähern: „Die Rohstoffversorgung ist ein Schlüsselthema, wenn es um die Zukunft der Innovations- und Wirtschaftsstandorte Deutschland und Europa geht. Kritische Abhängigkeiten können wir überwinden, indem wir Alternativen schaffen und gleichzeitig neben den Primärrohstoffen verstärkt auf Sekundärrohstoffe als Materiallager der Zukunft, aber auch auf Reduktionsstrategien setzen. Es gilt, lineare Wertschöpfungsketten durch flexible Wertschöpfungsnetze mit vielen alternativen Verbindungen und Routen zu ersetzen. Digitalisierung ist ein wesentliches Instrument für den Aufbau einer intelligenten, umfassenden Kreislaufwirtschaft. So können wir es schaffen, Wirtschaftswachstum und Wohlstandssicherung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.“
Die Konferenz startete mit einem Themenblock Primär- und Sekundärrohstoffe, über den vier Vortragende einen umfassenden Überblick gaben:
- Jens Gutzmer (Direktor des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie Freiberg) befasste sich eingehend mit den Herausforderungen bei der Primärrohstoffverfügbarkeit am Beispiel von Kupfer. Sein Appell: Ein tiefgehendes gesellschaftliches Verständnis für Rohstoffbedarf und Rohstoffherkunft muss bereits umfassend in die Schulbildung einbezogen werden.
- Vera S. Rotter (Professorin für Kreislaufwirtschaft und Recyclingtechnologie an der TU Berlin) setzte die Betrachtungen mit dem Fokus auf Sekundärrohstoffe fort. 16% des deutschen Rohstoffverbrauchs werden aktuell durch Sekundärrohstoffe gedeckt. Hier bietet die Circular Economy und die gesteigerte Nutzung von Sekundärrohstoffen noch sehr hohes Potenzial, das es auszuschöpfen gilt.
- Holger Lösch (stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI) machte die Auswirkungen einer Circular Economy auf Wertschöpfungsmodelle, Arbeitsplätze und Klimaziele zum Gegenstand seiner Ausführungen. Er forderte ein umfassendes Bekenntnis zu Innovationen auf allen Ebenen. Die Umsetzung einer Circular Economy ist eine große Herausforderung und erfordert einen systemischen Ansatz.
- Volker Molthan (Sprecher Bundesarbeitskreis „Abfall & Rohstoffe“ Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V.) schloss den ersten Vortragsteil mit einer Analyse gesellschaftlicher Anforderungen. Der Ausbau der Kreislaufwirtschaft erfordere mehr als nur Recycling. Es gelte vielmehr, in die Postwachstumswirtschaft einzutreten und auch den Vermeidungsaspekt stärker zu betonen. Unter dem Leitsatz „Besser leben, statt mehr haben“ ließe sich nach seinen Worten der Ressourceneinsatz effektiv senken.
Die anschließende Podiumsdiskussion moderierte der Sprecher des acatech Themennetzwerks Energie und Ressourcen, Hans-Joachim Kümpel (Präsident a.D. der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe). Die Debatte zeigte Schnittstellen und interessante Ansatzpunkte zu den vier einzelnen Impulsen.
„Uns wurde angesichts des steigenden Bedarfs sehr deutlich, dass mittelfristig sowohl die Gewinnung von Primärrohstoffen als auch der Aufbau einer umfassenden Circular Economy sehr bedeutsam sind. Nachhaltigkeit in der Rohstoffversorgung wird heißen, zum einen ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Nachhaltigkeitsziele zu integrieren – von der Mine über die Nutzungsphase bis zum Recycling. Es verpflichtet uns aber zum anderen auch, für Transparenz und Gewicht der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Diskurs zu sorgen“, so Hans-Joachim Kümpel.
Kreislauffähige Werkstoffsysteme für praxisorientierte Lösungsstrategien
Im zweiten Teil wurde der Bereich der kreislauffähigen Werkstoffsysteme mit Fokus auf metallische Rohstoffe vertieft.
- Maximilian Blume (Business Developer bei tozero GmbH) erläuterte das Potenzial von Batterie-Recycling sowie die diesbezüglichen Prozesse aus Sicht eines Start ups. Lithium-Ionen-Batterie-Recycling ist technologisch langfristig ein Weg in eine europäische Ressourcenunabhängigkeit für Batteriematerialien.
- Oliver Gutfleisch (Professor für Funktionswerkstoffe an der TU Darmstadt) lenkte im Anschluss den Fokus auf Permanentmagnete. Ob in Festplatten, Elektromotoren oder auch Windkraftanlagen – Permanentmagnete werden in vielen Geräten und Maschinen quer durch alle Branchen verbaut. Besonders leistungsstark und begehrt sind Magnete, in denen Seltene Erden wie Neodym legiert werden. An diesem Beispiel verdeutlichte er die Potenziale im Recycling, deren Quote aktuell bei nur 1% liegt.
- In die Produktgestaltung führte schließlich der Beitrag von Ursula Tischner (Professorin für Circular Design an der Wilhelm Büchner Hochschule). Sie lenkte den Blick auf die Bedeutung von nachhaltig designten Produkten. Es gilt deren Zerleg- bzw. Demontierbarkeit und Reparierbarkeit sowie Wiederverwendung und- verwertung von Beginn an bereits bei der Produktgestaltung mitzudenken. Dabei ging sie explizit darauf ein, welche Rolle dem gesamten Lebenszyklus bei der Betrachtung der Produktentwicklung beizumessen ist.
- Alexandra Pehlken (Gruppenleiterin/Manager of R&D Group Sustainable Manufacturing Systems, OFFIS) übernahm den Schlussimpuls des Themenblocks. Sie zeigte die Rolle der Digitalisierung im Rohstoffkreislauf u.a. auch dem Austausch von Informationen über die Produktion zwischen verschiedenen Akteuren auf. Zudem verwies sie auf die Bedeutung von Bildung und geeignete Methoden, bereits in der Schule eine frühe Sensibilität und Akzeptanz durch geeignete Aufbereitung der Thematik herbeizuführen.
Themeninseln bringen die Teilnehmenden ins Gespräch
In den direkten Dialog mit den Vortragenden konnten die Gäste dann in den Themeninseln treten. In den moderierten Gesprächsrunden wurden Herausforderungen und mögliche Lösungsansätzen identifiziert sowie Forderungen an Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert. In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden dann dem gesamten Publikum die Ergebnisse vorgestellt. „Die Themenkonferenz hat gezeigt, dass uns viele Hebel zur Verfügung stehen, um Rohstoffe, Materialien und zukunftsweisende Hochleistungswerkstoffe kreislauffähig zu machen. Unsere Aufgabe wird sein, die uns umfänglich zur Verfügung stehende wissenschaftliche und technologische Expertise integriert und zuversichtlich zu nutzen und konsequent umzusetzen. Deutschland und die EU brauchen einen systemischen Ansatz, der die Kette vom Rohstoff über Materialien, Werkstoffe, Produkte bis hin zur Wiederverwertung umfasst“, so das Fazit von Frank Mücklich, Direktor Material Engineering Center Saarland an der Universität des Saarlandes und Sprecher des acatech Themennetzwerks „Materialwissenschaft und Werkstofftechnik“.