Bergkristallabbau in den Schweizer Alpen seit 10.000 Jahren
In den vergangenen Jahrzehnten mehrten sich laut einem Artikel in Scientific Reports die Hinweise auf die vorgeschichtliche Verwendung von Bergkristall in Gebirgsregionen, einschließlich handwerklicher Spezialisierung und Austausch über große Entfernungen hinweg. Dennoch gibt es nur wenige bekannte Fundorte, an denen das Mineral in nachhaltigen Mengen abgebaut wurde. Eine davon befindet sich in der Nähe der Fiescheralp im Oberwallis (Schweiz) und stammt aus dem frühen Mesolithikum (Mittelsteinzeit 9.500 bis 5.500 vor Chr.) und einer letzten Phase des Neolithikums (Jungsteinzeit 5.500 bis 2.200 v.Chr.).
Die Forscher Thomas Hess (Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Uni Tübingen), Josef Mullis und Leander Franz (beide Departement Umweltwissenschaften der Uni Basel) stellen die erste petrographische Charakterisierung einer prähistorischen Bergkristallmine in den Schweizer Alpen vor, die eine Kombination verschiedener Methoden umfasst. Ihr Open-Access-Artikel vom 29.12.2023 in Scientific Reports liefert eine detaillierte Beschreibung der Flüssigkeitseinschlüsse in den Quarzkristallen und einen Überblick über die damit verbundene Mineralparagenese (Vergesellschaftung verschiedener Mineralien an einem Bildungsort). Dies gibt interessante neue Einblicke in die Entstehung der untersuchten Felsspalten und ermöglicht den Vergleich von Bergkristallartefakten aus anderen archäologischen Fundstellen mit dieser speziellen Quelle. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für weitere Untersuchungen zur Verbreitung und Verteilung des Rohstoffs in der Vergangenheit.
Topographische und geologische Situation
Die archäologische Fundstelle Fiesch-Eggishorn liegt im Oberwallis bei der Fiescheralp auf einer Höhe von 2575 Metern. Das Gelände bildet mehrere kleine Plateaus an einem Hang; dieser führt zu einem engen Durchgang , der das Gebiet mit dem Tal des berühmten Aletschgletschers verbindet. Eine steile Bergkette, die von Südwesten nach Nordosten verläuft, schützt das Gebiet vor Wind. Die hiesige Flora ist im Allgemeinen von Alpweiden geprägt, während die höheren Zonen am Hang spärlicher bewachsen sind. Im Norden erhebt sich das Eggishorn bis zu einer Höhe von 2927 m über dem Meeresspiegel. Unterhalb der Anlage, die heute in unmittelbarer Nähe eines Wanderweges liegt, befindet sich ein kleiner künstlicher See.
Das Gebiet ist Teil einer migmatitischen Kontaktzone innerhalb des Aar-Massivs (das tektonisch zum Helvetischen System gehört), die parallel zu der oben beschriebenen Felswand verläuft. Sie ist einerseits durch magmatische Gesteine wie Granit und andererseits durch metamorphe Gesteine wie Gneis und Amphibolit gekennzeichnet. Dies wird auch daran deutlich, dass ein nahe gelegener Blockgletscher beide Materialien enthält. Während die jüngeren metamorphen Gesteine im Zuge der alpinen Orogenese im Tertiär entstanden sind, ist das kristalline Grundgebirge wesentlich älter und stammt hauptsächlich aus dem Paläozoikum (variszische Orogenese, vor ~ 300 Mio. Jahren). Darüber hinaus wurden Aufschlüsse von Gesteinen dokumentiert, die vorvariszischen Ursprungs sind. Die permokarbonischen Gesteine im Rhonetal bestehen hauptsächlich aus Verrucano, die Trias des Helvetischen Systems aus Evaporiten, Sandsteinen und Phylliten. Die Kreidefelsen weiter südlich gehören bereits zum penninischen System (Westalpen) und bestehen aus Kalksteinen und Schiefer.
Im Allgemeinen ist das Gebiet stark von Gletscherprozessen beeinflusst, und das Sediment besteht aus abwechselnden Schichten aus feinkörnigem Ton und gröberem Sand, die mehrere Schmelzvorgänge und Eisvorstöße repräsentieren. Das umgebende Grundgestein besteht hauptsächlich aus Biotitgneis. Der fast ganzjährig schnee- und eisbedeckte Standort bietet eine großartige Aussicht auf das Rhonetal und mehrere Gipfel der penninischen (Walliser) und lepontinischen Alpen (zwischen Gotthard-, Splügen-, Lukmanier- und San Bernardino-Pass). Zu sehen sind unter anderem der Eingang zum Binntal, das für seine reichen und vielfältigen Mineralienvorkommen bekannt ist, der Simplonpass, der die Schweiz mit Norditalien verbindet, und der Durchgang zur mesolithischen Freilandfundstelle Alpe Veglia. Je nach Sicht ist sogar das berühmte Matterhorn weiter im Südwesten zu erkennen. In unmittelbarer Nähe der Fundstelle wurden mehrere große Felsblöcke, die als Lagerplätze gedient haben könnten, und Quarzklüfte dokumentiert. Beim Bau einer Seilbahn, die zum Gipfel des Eggishorns führt, wurde eine grosse Quarzkristallgruppe mit einem Gewicht von mehreren Kilo entdeckt.
In den 1990er Jahren entdeckte die Amateurarchäologin Gertrud de Vries (1922-2011) in der Nähe einer Baustelle im Skigebiet oberhalb der Fiescheralp mehrere merkwürdige Objekte aus Bergkristall. De Vries, die eine Ferienwohnung im Wallis besass, war als Freiwillige für den Kanton Basel tätig. Nach ihrem Tod wurden die Funde in das Archiv des kantonalen archäologischen Dienstes gebracht. Im Jahr 2011 wurde das Material dem Hauptautor übergeben, der im darauffolgenden Sommer Untersuchungen in der Gegend durchführte und die Fundstelle lokalisieren und als prähistorische Bergkristallmine identifizieren konnte. Im Rahmen regelmäßiger Begehungen in den folgenden Jahren und einer Feldkampagne im Jahr 2019 wurde der archäologische Kontext rekonstruiert. Außerdem wurde die lithische Assemblage systematisch analysiert und die Funde gezeichnet und fotografisch dokumentiert. Typologisch-technologische Analysen erlaubten die Bestimmung der dargestellten Zeiträume und ermöglichten die Verknüpfung des Ortes mit anderen archäologischen Fundstellen in der Umgebung.
Zwischen 2021 und 2022 wurde eine geochemische Charakterisierung des Rohmaterials an der Fakultät für Umweltwissenschaften der Universität Basel durchgeführt. Es handelt sich um die erste detaillierte Beschreibung einer prähistorischen Bergkristall-Beschaffungsstelle, die verschiedene petrologische Methoden umfasst. Die Untersuchung von Flüssigkeitseinschlüssen im Rahmen der archäologischen Forschung hat bereits interessante Ergebnisse im Kanton Graubünden, in Südostfrankreich und Nordwestitalien sowie in den Tiroler Alpen erbracht. Andere Projekte betrafen die Anwendung der Raman-Spektroskopie für die Analyse prähistorischer Bergkristalle in der Tschechischen Republik und Polen.
Bis heute gibt es in Europa nur zwei weitere Bergkristallminen, die bis in das Mesolithikum zurückreichen. Eine davon ist die Fundstelle Riepenkar in den Tiroler Alpen auf einer Höhe von 2800 m über dem Meeresspiegel. Die archäologischen Befunde weisen große Ähnlichkeiten mit Fiesch-Eggishorn auf. Neben einer frühmesolithischen Besiedlung wurde der Aufschluss auch in einer jüngeren Phase des Neolithikums genutzt. Eine weitere Bergkristallfundstelle wurde in Fuorcla da Strem in der Nähe eines Gletschers an der Grenze zwischen den Kantonen Uri und Graubünden in der Ostschweiz entdeckt. Eine Radiokarbon-Datierung legt das Alter der Funde auf das 6. Jahrtausend v. Chr. fest.
->Quelle und Originalpublikation: Thomas Hess, Josef Mullis & Leander Franz – The first petrographic characterisation of a prehistoric rock crystal mine in the Swiss Alps; in: Scientific Reports; open access, nature.com/articles/s41598-023-48914-8