Kreislaufwirtschaft bleibt auf der Strecke – Politik ist gefordert
Kreislaufwirtschaft ist im Mainstream angekommen, allerorten hört man davon. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Weltweit sinkt der Anteil verwendeter Sekundärmaterialien, neue Produkte werden immer öfter aus neuen Rohstoffen gefertigt. Die Zahl der Diskussionen, Debatten und Artikel zur Kreislaufwirtschaft hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht. Man könnte meinen, Kreislaufwirtschaft sei ein Mega-Trend. Aber den Worten folgen keine Taten, wie der Circularity Gap Report feststellt. Petra Franke hat ihn sich für energiezukunft genau angeschaut.
Weltweiter Materialverbrauch extrem gestiegen
Entgegen der allgemeinen Vermutung ist die überwiegende Mehrheit der Materialien, die in den Wirtschaftskreislauf gelangen, Neuware. Laut dem Circularity Gap Report 2024 ist der Anteil der verwendeten Sekundärmaterialien gesunken – von 9,1 Prozent im Jahr 2018 auf 7,2 Prozent im Jahr 2023. Gleichzeitig steigt die Gesamtmenge der von der Weltwirtschaft verbrauchten Materialien: Allein in den letzten sechs Jahren hat die Menschheit mehr als eine halbe Billion Tonnen Materialien verbraucht – fast so viel wie im gesamten 20. Jahrhundert – Eine bittere Tatsache. Es ist an der Zeit, die Idee der Kreislaufwirtschaft in die Tat umzusetzen. Bereits heute sind sechs der neun wichtigsten planetaren Grenzen überschritten. Die lineare Take-Make-Waste-Wirtschaft ist die Ursache. Sie externalisiert die Kosten für Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch – deshalb können neue Produkte massenhaft und billig die Märkte überschwemmen.
Materieller Konsum steigert menschliches Wohlergehen nicht mehr
Der materielle Konsum hat im vergangenen Jahrhundert maßgeblich zur Steigerung des Lebensstandards beigetragen, aber inzwischen garantiert seine anhaltende Beschleunigung keine Zunahme des menschlichen Wohlergehens mehr. Gleichzeitig destabilisiert die ungleiche Verteilung von Reichtum und Ressourcen die Gesellschaft enorm und belastet die Lebenserhaltungssysteme der Erde. Die reicheren Nationen der Welt können den Fortschritt nicht länger als Ausrede für uneingeschränkten materiellen Konsum benutzen.
Regierungen und Industrie müssen sich von fatalen Entwicklungsmustern befreien, die sozial und ökologisch auf Ausbeutung beruhen, so der eindringliche Appell des Reports. Wege in eine Wirtschaft, die die Bedürfnisse innerhalt der planetaren Grenzen erfüllt, werden im Report vorgezeichnet.
Die Politik ist in der Pflicht. Gleiche Wettbewerbsbedingungen, Spielregeln und Anreize für nachhaltige und kreislauforientierte Praktiken, während gleichzeitig nicht nachhaltige Praktiken bestraft werden, ist ein Punkt auf der Liste. Hinzu kommen muss eine adäquate Finanzpolitik: mit öffentlichen Investitionen echte Preise schaffen und sicherstellen, dass zirkuläre Lösungen lineare Normen ersetzen. Zudem gilt es, Fachwissen und Fähigkeiten aufzubauen, nicht nur für technische Prozesse, sondern auch, um Zusammenhänge für einen gerechten Übergang zu verstehen und zu nutzen.
Menschwürdige Arbeit, die dem Planeten dient
Der Bericht konzentriert sich auf das Miteinander von Kreislaufwirtschaft, Wohlergehen und menschenwürdiger Arbeit. Arbeitsplätze fungieren als robuster Stellvertreter für das menschliche Wohlergehen, da sie viele Dimensionen der menschlichen Erfahrung ansprechen: sie erfüllen konkrete Bedürfnisse wie finanzielle Sicherheit und vermitteln Sinn und Erfüllung, ein Gefühl von Gemeinschaft und sozialer Mobilität.
Wenn sie richtig gemacht wird, kann die Kreislaufwirtschaft mehr tun, als nur Arbeitsplätze zu schaffen und die Grundbedürfnisse der Menschen zu zufrieden zu stellen – sie kann die Qualität und Sicherheit von Arbeitsplätzen erhöhen und Ungleichheiten verringern. Es gilt Praktiken zu etablieren, welche die Menschen aufrichten und die Schäden an den Ökosystemen reparieren. Gleichzeitig muss deren fortdauernde Zerstörung in Ländern mit höherem Einkommen abgebaut werden.
Ernährung, bebaute Umwelt, Industrieprodukte sind Schlüsselsysteme
Ein Schlüsselsystem und damit prioritäres Handlungsfeld für die Politik sollte die Ernährung sein. Im globalen Maßstab arbeitet die Hälfte der Menschen in der Nahrungsproduktion. Aber die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren, setzt enorme Mengen Treibhausgase frei und ist damit auch eine Ursache des Problems. Allein die Tierhaltung beansprucht mehr als ein Viertel der weltweiten Landflächen. Fast ein Viertel der Süßwasserressourcen geht mit verschwendeten Lebensmitteln verloren. Industrielle Landwirtschaft ist der größte Einzeltreiber für den Verlust der biologischen Vielfalt.
Die bebaute Umwelt ist ein ebenso wichtiges Schlüsselsystem. Wohnungen, Geschäftsgebäude und Infrastruktur für Mobilität sind unverzichtbar, aber ihr Ausbau verschärft die Probleme. Für die Herstellung von Baustoffen wurde inzwischen ein Viertel der globalen Landflächen genutzt. Etwa 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen können dem Gebäudesektor zugeordnet werden. Zudem verbrauchen Bau und Abriss ein Drittel des gesamten Materialverbrauchs.
Im dritten Schlüsselsystem, der Fertigung von Industriegütern wie Fahrzeugen, Textilien, Geräten und Ausrüstungen, sind viele Menschen beschäftigt, aber die Produktionsprozesse laufen häufig mit fossilen Brennstoffen. Die material- und energieintensiven Prozesse sind mit Entwaldung verbunden, verändern die Landnutzung und schwächen die Süßwasser-Ressourcen. Zudem entstehen erhebliche Mengen an umweltschädlichen Abfällen.
Drei Ländergruppen und ihre spezifischen Aufgaben
Um globales Wohlergehen innerhalb der planetaren Grenzen zu erreichen, appellieren die Autoren, in Ländern mit niedrigerem Einkommen einer Entwicklung auf Basis der Kreislaufwirtschaft Vorrang einzuräumen, in Wachstumsländern zirkuläre industrielle Prozesse zu fördern und in Ländern mit höherem Einkommen das Konsumverhalten zu ändern.
Länder mit hohem Einkommen – Shift-Länder, darunter die USA, Japan, Großbritannien und Kanada, verbrauchen weit mehr Ressourcen als es ihrem Anteil an der Weltbevölkerung entspricht. Im Durchschnitt ist der Pro-Kopf-Material-Fußabdruck der Shift-Länder mit 22,6 Tonnen 4,6-mal so hoch wie in Ländern mit niedrigem Einkommen (Build-Länder). Zudem verursachen Shift-Länder 43 Prozent der weltweitern Emissionen. Die Mission dieses Länderprofils muss es sein, den Materialverbrauch zu reduzieren und ihren schädlichen Umwelteinfluss zu verringern, der letztlich zu Lasten aller geht.
Wachstumsländer – darunter China, Indonesien, Brasilien, Mexiko, Vietnam, Myanmar und Ägypten – sollen die Lebensqualität ihrer Bevölkerung auf eine Weise weiter verbessern, die viel sensibler für die planetaren Grenzen ist. Weltweit verursachen sie 51 Prozent des materiellen Fußabdrucks und beherbergen rund 37 Prozent der Weltbevölkerung. Ihr durchschnittlicher Pro-Kopf-Material-Fußabdruck beträgt 17 Tonnen pro Jahr. Wachstumsländer verursachen 41 Prozent der globalen Emissionen – fast so viel wie die Shift-Länder –, ihr Anteil an der Weltbevölkerung ist jedoch doppelt so hoch wie der der Shift-Länder.
Die gestiegenen Einkommen führen in den Wachstumsländern (Grow-Länder) zu einem Ernährungswandel. Mehr Fleisch und Milchprodukte sowie verarbeitete Lebensmittel kommen auf die Teller. In diesen Ländern gilt es, den Materialverbrauch zu stabilisieren und den Wandel ökologisch zu gestalten – und eben nicht die Fehler der Shift-Länder zu wiederholen.
Ärmere Länder hingegen müssen ihren Materialverbrauch erhöhen, um die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zufrieden zu stellen, in Schulen, Krankenhäuser Straßen zu investieren. Build-Länder wie Bangladesch, Äthiopien, Nigeria, Pakistan, die Philippinen und einige kleine Inselstaaten verursachen lediglich 18,5 Prozent des globalen materiellen Fußabdrucks, obwohl hier fast die Hälfte (46 Prozent) der Weltbevölkerung lebt. Ihr materieller Fußabdruck pro Kopf beträgt nur 5 Tonnen pro Jahr – weniger als das geschätzte nachhaltige Niveau von 8 Tonnen pro Person und Jahr. Ihr Anteil an den globalen Emissionen ist relativ gering, er liegt bei nur 17 Prozent.
Politik ist gefordert
Die anstehende Transformation gelingt nur mit radikaler Zusammenarbeit zwischen Ländern, Industrien und Regionen: Politiker, Wirtschaftsführer, Finanzinstitutionen können die Zielmarken verschieben und Ressourcen in den Mittelpunkt stellen. Sie können zusammenarbeiten, um Finanz- und Handelsregeln zu reformieren. Es bedarf ganzheitlicher Indikatoren, Bruttoinlandsprodukt und andere traditionelle Kennzahlen haben ausgedient. Die Maximierung der Wirtschaftsleistung muss auf die Maximierung des menschlichen Wohlergehens verlagert werden.
Zirkuläre Lösungen gilt es zu fördern, ein fairer Zugang zu technologischen Innovationen der Kreislaufwirtschaft muss möglich sein. Schuldenerlass und Schuldenerleichterungen für Build- und Grow-Länder ermöglichen Investitionen in den Übergang zur Kreislaufwirtschaft. Preise sollten alle Kosten widerspiegeln, auch Umwelt- und Gesundheitsfolgen. Anreize für übermäßigen Materialverbrauch müssen gestoppt werden.
Ein gerechter Wandel gelingt, wenn alle globalen Player den Menschen in den Mittelpunt stellen. Unabhängig davon, in welchem Winkel der Welt oder in welcher Wertschöpfungskette – Menschen sollen überall die Möglichkeit haben, ein würdevolles Leben zu führen. – Petra Franke –
->Quelle und Report 2024: