Wissing und der Holzhammer – Expertenrat fordert Sofortprogramm

Drohung mit Sonntagsfahrverboten – verstößt Minister gegen Klimagesetz?

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat (in einem Brief an die Vorsitzenden der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP) mit drastischen Maßnahmen für den Fall gedroht, dass sich die Ampel-Koalitionspartner nicht umgehend in seinem Sinn auf die Reform des Klimaschutzgesetzes einigen. Nur mit Fahrverboten am Wochenende, so Wissing, könnten die Emissionen des Verkehrssektors gesetzeskonform verringert werden. Kritiker nannten Wissings Vorgehen eine „Holzhammer-Methode“. Um die Klima-Sektorziele für den Verkehr im Jahr 2024 zu erreichen, müssen laut Umweltbundesamt rund 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden. Das sei ad hoc nur mit dem Verzicht auf das Auto und den Lkw zu erreichen, argumentierte Wissing.

Leere Autobahn – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft – 1973 wurde als Reaktion auf die Ölkrise  in der Bundesrepublik Deutschland an vier Sonntagen ein allgemeines Sonntagsfahrverbot auch für den Pkw-Verkehr eingeführt. Autofrei waren der 25. November sowie der 2., 9. und 16. Dezember. Ziel war das Einsparen von Öl, das durch eine Reduzierung der Förderung seitens der OPEC knapp geworden war. Ein weiterer Grund für die Maßnahme war, der Bevölkerung den Ernst der Situation nahe zu bringen. Die Auswirkungen des Verbotes waren eher symbolischer Natur, denn die Menge des eingesparten Brennstoffs war nur gering. (wikipedia)

„Was der Bundesverkehrsminister hier macht, ist eher die Methode Holzhammer“. (Torben Ostermann auf tagesschau.de)

Wissings Strategie: Er will die Grünen unter Druck setzen, damit sie sich nicht mehr weigern, der Abschaffung der verbindlichen Sektorziele im Klimaschutzgesetz zuzustimmen. Komme die nicht, muss Wissing ein Sofortprogramm vorlegen, weil der Verkehrssektor sein Klimaziel im vergangenen Jahr weit verfehlt hat. Daher behauptet er, infolge dessen seien Fahrverbote unvermeidlich. An denen seien aber die Grünen schuld. Ob die Strategie am Ende aufgeht, darf bezweifelt werden. Denn Wissing lenkt mit seinem Schreiben zugleich die Aufmerksamkeit darauf, wie wenig er bisher beim Klimaschutz erreicht hat – und welche effektiven Maßnahmen er verweigert. Denn im Verkehr sind als einzigem Sektor die Emissionen im Vergleich zum Jahr 2021 nicht gesunken, sondern gestiegen.

Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) hat am 15.04.2024 seinen Prüfbericht zu den Emissionsdaten 2023 vorgelegt. Das Ergebnis wird Wissing nicht freuen: Der Verkehrssektor verfehlt deutlich die Grenzwerte. Der Expertenrat bestätigt zwar den starken Rückgang der Emissionen 2023 gegenüber dem Vorjahr um rund 10?% von 750 auf 674 Mt?CO2-Äq – der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990. Allerdings verfehlte der Verkehrssektor sein Ziel um 12,8?Mt?CO2-Äq. „Die erneute Verfehlung des Jahresziels ist im Ergebnis unserer Prüfung beim Verkehr eindeutig“, stellt der Vorsitzende des Expertenrates, Hans-Martin Henning, fest. und bekräftigte „die Notwendigkeit eines Sofortprogramms“.

Die Drohung Wissings stößt vielfach auf Unverständnis. Der Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland wirft Wissing vor, von eigenen Versäumnissen ablenken zu wollen. Wissing selbst steht unter Druck. Im von ihm verantworteten Verkehrssektor geht es mit dem Klimaschutz nicht voran, es wird nach wie vor zu viel CO2 ausgestoßen. Gesetzte Klimaschutzziele werden seit Jahren verfehlt. Deshalb drängt der Bundesverkehrsminister darauf, das Klimaschutzgesetz so zu ändern, dass der Verkehrsbereich weniger strenge Vorgaben erfüllen muss. Sabine Yacoub, Landesvorsitzende des BUND Rheinland-Pfalz, wirft Wissing vor, „eine Drohkulisse aufzubauen“, um die Gesetzesänderung durchzusetzen. Die rheinland-pfälzische Klimaschutz- und Mobilitätsministerin Katrin Eder von den Grünen plädiert dafür, mildere Mittel zu prüfen, statt Fahrverbote ins Spiel zu bringen. Der Vorstoß von Wissing schüre Ängste und bringe den Klimaschutz in Misskredit. 

Andere Maßnahmen möglich

Mit den Fahrverboten schlägt Verkehrsminister Wissing eine einzige große Maßnahme zur Reduzierung der CO2-Emissionen im Verkehr vor. Doch möglich wäre genauso ein Bündel von Maßnahmen. Dazu gehört etwa ein von vielen Seiten vorgeschlagenes Tempolimit. Mit 120 kmh auf Bundesautobahnen könnten die Treibhausgasemissionen jährlich nach Angaben des Umweltbundesamts um 4,2 Prozent oder rund 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verringert werden. Wenn zusätzlich Tempo 80 auf Landstraßen gelten würde, wäre demnach eine Minderung bis zu acht Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr möglich.

Einer Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) von 2023 zufolge können durch ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen jährlich rund 6,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. „Ein Tempolimit auf Autobahnen bringt mehr CO2-Einsparung als bisher gedacht“, erklärte UBA-Präsident Dirk Messner.

Luftverkehr im Inland beschränken

Wissing droht mit den Fahrverboten vor allem dem Individualverkehr:  „Es sind die Bürgerinnen und Bürger mit Verzicht auf Mobilität, die diese Einschränkungen hinnehmen müssen“, sagte er im Deutschlandfunk. Dabei gäbe es auch andere Verkehrsbereiche, in denen man große Mengen an CO2-Emissionen einsparen könnte. Eine Möglichkeit wäre etwa, das Fahrverbot für Lkw an Sonn- und Feiertagen auszuweiten. Und auch der Luftverkehr trägt zu den Emissionen im Verkehrssektor bei – eine Maßnahme wäre beispielsweise die Beschränkung von Inlandsflügen.

Wissing verstößt aktiv gegen Klimaschutzgesetz

Die Deutsche Umwelthilfe DUH hat schwere Vorwürfe gegen Wissing erhoben: Der räume indirekt ein, „dass das Klimaschutzgesetz wirkt und er als Bundesminister seit zweieinhalb Jahren aktiv dagegen verstößt“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die  DUH hatte die Bundesregierung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wegen unzureichender Maßnahmen zur Einhaltung des Klimaschutz-Sofortprogramms im Verkehrssektor verklagt. Das Urteil soll am 16.05.2024 fallen. „Wissing hat zugegeben, dass die Klage, die vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt wird, ihn zwingt, endlich Recht und Gesetz einzuhalten“, sagte Resch, der mit einem Urteil gegen die Bundesregierung rechnet. Resch erwartet, dass die Aussagen in Wissings Brief Einfluss auf das laufende Gerichtsverfahren haben werden.

Greenpeace-Mobilitätsexperte Benjamin Stephan sieht den ERK-Bericht als neuerliche Aufforderung an den Verkehrsminister, Klimaschutz im Straßenverkehr nicht länger zu blockieren: „Der Expertenrat kontert Volker Wissings billig inszenierte Fahrverbots-Debatte mit dringend nötigem Realismus. Auch das geltende Klimaschutzgesetz bietet Möglichkeiten, Klimaschutz mit milderen Maßnahmen wie einem Tempolimit voranzubringen. Ganz gleich wie der politische Streit über ein künftiges Klimaschutzgesetz ausgeht, der Verkehrsminister kann nicht länger jede Maßnahme ablehnen, die auf der Straße CO2 einspart. Andernfalls wird Deutschland wegen des Problemfalls Verkehr seine langfristigen Klimaziele verfehlen. Strukturelle Veränderungen im Verkehr, etwa durch eine klar auf die Bahn ausgerichtete Infrastruktur oder eine ökologische Kfz-Besteuerung, werden erst nach und nach wirken. Der Verkehrsminister muss sie heute anschieben, auch um sich an die von Deutschland mitbeschlossenen europäischen Regeln zu halten. Sonst drohen Deutschland morgen milliardenschwere EU-Strafen und übermorgen tatsächlich empfindliche Einschränkungen.“

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