Fast doppelt so viel Energie wie normale Windräder
Im brandenburgischen Schipkau wird nicht nur das größte Windrad der Welt gebaut, sondern gleichzeitig das erste Höhenwindrad überhaupt. Bleibt die Frage: Wenn die Energieausbeute mit zunehmender Höhe wächst, warum hat man Windräder schon längst nicht einfach höher gebaut? Die Antwort ist einfach: Bisher hat sich noch niemand getraut. Die beventum GmbH, eine Tocher der Bundesanstalt für Springinovationen in Leipzig, hat inzwischen drei vielversprechende Konzepte validiert – und will nun nach eigenen Angaben den Versuch wagen, das weltweit erste Höhenwindrad zu bauen.
Ausgangspunkt für die Gründung der beventum im Dezember 2020 waren die jahrzehntelangen Arbeiten an einer Höhenwindanlage von Horst Bendix, einem Ur-Leipziger, der viele Jahre lang Technik- und Forschungschef beim Leipziger Schwermaschinenbauer Kirow gewesen war, zudem auch Hochschul-Professor und Berater in Ingenieurdingen, enthusiastischer Maschinenbauer und Erfinder. Mit insgesamt 60 Neu- und Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Fördertechnik und des Schwermaschinenbaus war er in internationalen Wettbewerben erfolgreich – und lancierte mit seiner Einreichung sein Herzensprojekt bei der SPRIND.
„Horst Bendix starb mit mehr als 90 Jahren – kurz bevor sein großer Traum Wirklichkeit zu werden begann. Je höher ein Windrad ist, desto effizienter kann es laufen. Aber die durchschnittliche Nabenhöhe der kleinen Windkraftanlagen an Land ist nur 90 bis 130 m. Dort ist der Wind verwirbelt und schwächer. Warum bauen wir so niedrige Windräder? Das fragte sich auch Horst Bendix. Er hatte in der DDR Braunkohlebagger konstruiert. Er kannte sich mit Metall-Riesen also aus. Und nachdem er in den Ruhestand gegangen war, entwarf er sein Höhenwindrand. Im Jahr 2016 meldete der damals schon weit über 80-jährige Horst Bendix ein Patent an. Nummer: DE102016014799B4. Es wurde ihm gewährt. Bendix versuchte, eine Firma zu finden, die mutig genug war, seine Idee umzusetzen. Aber er bekam eine Absage nach der anderen. Bisher musste niemand so hoch bauen. Es gab genug freie Flächen für die kleineren Anlagen. Außerdem sind so hohe Windräder teurer. Und: Bendix’ Konstruktion war etwas komplett Neues. Das Modell sieht eher wie ein Strommast aus. Die Gitterstruktur hält starken Windböen besser stand und verbraucht weniger Rohstoffe als herkömmliche Bauweisen. Es gibt nur ein klitzekleines, 300 Meter großes Problem: Kein Kran der Welt reicht bis auf diese Höhe! Was tun? Das Höhenwindrad soll ausfahrbar werden wie ein Teleskop. Die Gitterstruktur ermöglicht es, einen Turm im Turm zu bauen. An den kleineren Turm können die Arbeiter die Windturbine hängen und ihn dann bis zur Maximalhöhe ausfahren. Bendix kassierte also Absagen, bis er auf die Bundesagentur für Springinovationen (Sprind) in Leipzig traf. Die setzt seine Ideen jetzt zusammen mit der Firma Gicon um. Erste Messungen ergaben, dass der Windertrag 60–70 % höher ist als auf herkömmlichen Höhen. Windparks könnten eine 2. Etage bekommen und an einem bestehenden Standort viel mehr Windenergie ernten als bisher. Neue Windräder in bereits bestehenden Parks zu bauen, erleichtert auch Behörden die Genehmigung. Und gerade für die windschwachen Südländer Baden-Württemberg und Bayern könnten Höhenwindräder eine gute Option sein, mehr Windenergie zu ernten. Das Motto: nicht viele Standorte, dafür aber leistungsfähigere“ (linkedin.com/horst-bendix).
Das Mehr an Wind in der Höhe senkt die Stromgestehungskosten im Vergleich zu herkömmlichen Windgeneratoren in vergleichbaren Windzonen, sodass sich der höhere Aufwand für den Bau mehr als lohnt. Die Vision ist es, diese Höhenwindräder, die etwa doppelt sohoch sind wie bisherige Windräder, als zweite Ebene in die bestehenden Windparks zu integrieren. Zusätzlich können und sollen Höhenwindräder zur innovativsten, wirtschaftlichsten und schnellsten Lösung der Neuausrichtung der ehemaligen Braunkohlereviere werden. Sowohl die laufenden Reviere in Sachsen und Nordrhein-Westfalen als auch die ehemaligen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg können so ganz realistisch zu windenergiebasierten Innovations- und Produktionsregionen werden und bekunden teilweise selbst schon gegenüber der beventum Interesse daran. Außerdem wird für die Produktion von „Grünem Wasserstoff“, wie von der Bundesregierung geplant, der Bedarf an regionalem und nachhaltigem Strom stark steigen.
Doch die beventum will nicht nur hoch hinaus, sie hat weitere wegweisende Ziele: Sie möchte nicht weniger, als das Standortproblem für Windenergieanlagen an Land zu lösen. Als zweiten Schwerpunkt entwickeln die MitarbeiterInnen deshalb Anlagen mittlerer Höhe, die unkompliziert auf ohnehin schon genutzten Flächen, wie in Gewerbegebieten, gebaut werden können. Auch hier wird das herkömmliche Windrad einmal komplett neu gedacht. Bei rund 70.000 Gewerbegebieten allein in Deutschland ergibt sich grob geschätzt eine installierbare Leistung in der Größenordnung von mehreren Kraftwerken, die direkt bei VerbraucherInnen zur Eigenversorgung eingespeist werden könnten.
Ein weiterer Baustein der Windenergiewende sind kleine Anlagen für Ein- und Mehrfamilienhäuser: radikal neu konzipiert mit untenliegendem Antrieb, drehbarem Turm, ausgelegt als Langsamläufer mit sechs bis zwölf Rotorblättern – und damit viel leiser als bisherige drei bis fünf Meter hohe Anlagen. Einfach und mit wenig Aufwand montierbar, erschließt das Mini-Windrad bisher ungenutzte Dachflächen und optimiert für SelbstversorgerInnen die Energiegewinnung.
Allein die Nabenhöhe des neuen Höhenwindrads wird 300 Meter betragen. Die Rotorblätter kommen noch hinzu, sodass eine Gesamthöhe von 360 bis 380 Metern entsteht. Doch ehe es so weit ist, müssen noch viele Messungen vorgenommen werden. An der Stelle, an der die monströse Windkraftanlage stehen soll, befindet sich daher derzeit ein ebenfalls 300 Meter hoher Messturm (Sprind.org). Am 20.12.2022 fiel der offizielle Startschuss für den weltweit höchsten Windmessmast auf der Hochfläche Klettwitz. Die beventum hat dafür der GICON®-Großmann Ingenieur Consult GmbH den Zuschlag für das Windmessprogramm erteilt. Diese führt nun eine Messkampagne für eine Beurteilung der Höhenwindpotentiale durch, gleichzeitig soll eine zukünftige Verkürzung der Mastmessdauern für dieses Höhenniveau erreicht werden. Der Windmessmast hat im Rahmen einer feierlichen Einweihung am 04.05.2023 seinen offiziellen Forschungsbetrieb aufgenommen.
Der beventum – so die Internetseite – liegt vor allem daran, die Errichtung so unkompliziert und regional wie möglich zu gestalten – damit möglichst viele Unternehmen ihre Windräder bauen können und die Versorgung mit Windenergie deutschland-, europa- und bestenfalls weltweit endlich Fahrt aufnimmt. Als SPRIND-Tochter möchte die beventum die Energie aus Windkraft hierzulande verdoppeln und dafür beschreitet sie neue, mutige Wege und riskiert dabei auch zu scheitern – doch nicht ohne dabei Staub aufzuwirbeln und ihrem Namen folgend für „bene vento“ zu sorgen, den guten Wind.
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