Bis 2030: 43,5 Milliarden in Fernwärme investieren 

VKU-Studie zu Wärmenetzen

Um die Klimaschutzziele zu erreichen, haben Fernwärmeversorger Rekordinvestitionen zu stemmen. Bis 2030 müssen insgesamt 43,5 Milliarden Euro in den Aus- und Umbau der Fernwärme investiert werden. Das geht aus der am 22.07.2024 veröffentlichten Neuauflage eines Gutachtens der Prognos AG hervor. Beauftragt wurde die Aktualisierung des Gutachtens „Perspektive der Fernwärme – Aus- und Umbau städtischer Fernwärme als Beitrag einer sozial-ökologischen Wärmepolitik“ (von 2020) vom AGFW | Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK und dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU).

Fernwärmeleitung Berlin-Ruhleben – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Im Vergleich zur ursprünglichen Studie erhöht sich der Investitionsbedarf bis 2030 um 10,6 Milliarden Euro (im Jahr 2020 ging das Gutachten noch von 32,9 Milliarden Euro aus). Aufgrund des verzögerten Inkrafttretens der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) im Herbst 2022 müssen diese Investitionen nunmehr in den bis 2030 verbleibenden sieben Jahren getätigt werden. Der jährliche Förderbedarf beträgt damit etwa 3,4 Milliarden Euro.

Die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) ist inhaltlich gut, aber nicht auskömmlich finanziert. Die bisherige „Bundesförderung für Effiziente Wärmenetze“ ist bis Ende 2028 befristet und insgesamt mit 3,5 Milliarden Euro ausgestattet. Das reicht bei weitem nicht aus, damit die Wärmenetze ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele leisten.

„Das Gutachten verdeutlicht das hohe Investitionsvolumen, das die Branche in den kommenden Jahrzehnten stemmen muss“, sagt AGFW-Geschäftsführer Werner Lutsch die Ergebnisse ein. „Ein passender Förderrahmen ist eine zentrale Voraussetzung. Die BEW muss daher mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) verlängert werden. Genau das haben die Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) im Zuge des Fernwärme-Gipfels im Juni 2023 mit den Verbänden der Energie- und Fernwärmewirtschaft auch vereinbart“, so Lutsch weiter.

In Hinblick auf den Gesetzentwurf zum Bundeshaushalt die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds halten es die Verbände daher für erforderlich, die konkrete finanzielle Ausstattung der KTF-finanzierten Förderprogramme möglichst zeitnah nachzureichen. Äußerst kritisch ist, dass die Zukunft des Klima- und Transformationsfonds und damit auch der KTF-finanzierten Förderprogramme über 2025 hinaus im Unklaren bleibt.

Klimaneutraler Energiemix und ein massiver Ausbau der Fernwärme

Bis zum Jahr 2045 werden 3,6 Millionen Wohngebäude, das entspricht 14 Millionen Wohneinheiten, mit Fernwärme versorgt. Der Erzeugungs- und Brennstoffmix in der Fernwärme wird bis dahin sukzessiv auf Klimaneutralität umgestellt. Dafür steht ein breiter Technologiemix aus erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme zur Verfügung, der standortspezifisch erschlossen werden muss. „Welche Potenziale vor Ort zu Verfügung stehen, wird im Kontext der Wärmeplanung identifiziert“, so VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing: „Bundesweit werden bis Juni 2026 beziehungsweise Juni 2028 die Wärmepläne erstellt. Wir sehen, dass die Fernwärme in den Plänen vielerorts eine Schlüsselrolle einnimmt. Die bloße Aufstellung der Pläne reicht aber nicht – sie müssen auch umgesetzt werden. Viele Stadtwerke unterstützen ihre Kommunen dabei und fordern von der Politik zurecht verlässliche Rahmenbedingungen ein. Dazu gehört eben auch eine verlässliche Förderung durch das BEW: Wir brauchen 3,4 Milliarden Euro pro Jahr bis Mitte der 2030er Jahre.“

Zusätzlich zum Betrachtungszeitraum bis 2030 zeigt das Gutachten einen vollständigen Transformationspfad der Fernwärme hin zur Klimaneutralität 2045 auf, inklusive Investitionskosten und erforderlichen Fördermitteln.

Im Wortlaut: Zusammenfassung des Gutachtens

Fernwärme ist einer der zentralen Schlüssel zum Erreichen des klimaneutralen Gebäudebe-standes und für die urbane Wärmewende. Dies zeigen unter anderem die „Big 5“ Energiesystemstudien aus dem Jahr 2021 und nachfolgende Gutachten wie die aktuellen Langfristszenarien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK 2024) eindrücklich. Allen Gutachten gemein ist, dass der Fernwärme neben einer erhöhten Energieeffizienz und dem Einsatz von erneuerbaren Energien in der Objektversorgung eine Schlüsselrolle zukommt. Dies beinhaltet einen deutlichen Ausbau der Fernwärmenutzung im Gebäudesektor und die gleichzeitige Dekarbonisierung der Fernwärmeerzeugung. Hierfür sind umfangreiche Investitionen in technische Maßnahmen notwendig, deren Umsetzung entschlossene politische Weichenstellungen benötigt.
Bereits 2020 wurde das Gutachten „Perspektive der Fernwärme – Maßnahmenprogramm 2030: Aus- und Umbau städtischer Fernwärme als Beitrag einer sozial-ökologischen Wärmepolitik“ erstmals veröffentlicht. Damit wurde gezeigt, wie hoch das Potenzial der Fernwärme im Wärmemarkt ist und mit welchen Optionen Fernwärme zukünftig klimaneutral produziert werden kann. Neben den bis zum Jahr 2030 notwendigen Investitionen und dem möglichen Förderbedarf wurden regulatorische Rahmenbedingungen skizziert, die diesen Prozess unterstützen.

In den etwas mehr als drei Jahren nach Veröffentlichung dieses Gutachtens im November 2020 sind viele, teils einschneidende, politische und gesellschaftliche Veränderungen geschehen. Diese haben unter anderem starke Veränderungen für Energie- und Klimaschutzpolitik mit sich gebracht. Um die Effekte dieser umfangreichen Veränderungen abbilden zu können, haben AGFW und VKU die Prognos AG mit einer Aktualisierung und Erweiterung des Gutachtens aus dem Jahr 2020 beauftragt. Die Zielsetzungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
? Aktualisierung des Zielbildes für die Fernwärme an den aktuellen Stand der Wissenschaft und an aktuelle Rahmenbedingungen.
? Aktualisierung der notwendigen Investitionen und des Förderbedarfs bis 2030.
? Erstmalige Berechnung der notwendigen Investitionen und des Förderbedarfs bis 2045.

Die Berechnungen dieses Gutachtens quantifizieren folglich den Investitionsbedarf in den Ausbau der Fernwärmenetze und in die Anlagen zu Nutzung erneuerbarer Energien und unvermeidbarer Abwärme in der Fernwärme und liefern eine Abschätzung des Fördermittelbedarfs bis zum Jahr 2045. Für das Jahr 2030 werden Zwischenwerte ausgewiesen, da viele klimapolitische Zielsetzun-gen auf dieses Jahr fokussieren.

Die Zahl der an die Fernwärme angeschlossenen Wohngebäude steigt bis 2045 von aktuell etwa 1,3 Mio. um 177% auf 3,6 Mio. Wohngebäude 2045 an. Dies ist gleichbedeutend mit etwa 14 Mio. Wohneinheiten, die 2045 mit Fernwärme versorgt werden und entspricht dem in der Erklärung zum Fernwärmegipfel vom 12. Juni 2023 angestrebten Zielwert. Die Nachfrage nach Fernwärme steigt hierdurch von aktuell knapp 110 TWh um gut 51% auf 166 TWh im Jahr 2045 an. Da im Szenario die energetische Sanierung großer Teile des Gebäudebestandes unterstellt wird, steigt die Fernwärmenachfrage nicht im selben Maße wie die Zahl der angeschlossenen Ge-bäude.

Für die Bereitstellung von Fernwärme aus erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme steht ein breiter Technologie-Mix zur Verfügung. Das Potenzial der einzelnen Technologien kann sich von Stadt zu Stadt stark unterscheiden. Dies gilt besonders für unvermeidbare Abwärme aus industriellen oder gewerblichen Prozessen, thermischer Abfallbehandlung, Geothermie und Freiflächen-Solarthermie. Daher wird auch künftig eine große Bandbreite an Erzeugungstechnologien in den Fernwärmenetzen mit entsprechend unterschiedlichen Wärmegestehungskosten zu finden sein.

Im entwickelten Szenario werden Großwärmepumpen bis zum Jahr 2045 zum wichtigsten Wärmeerzeuger in Wärmenetzen. Sie decken 69 TWh Wärmeerzeugung ab (Abbildung 1). Danach folgen Wasserstoff mit 33 TWh und unvermeidbare Abwärme aus industriellen und gewerblichen Quellen mit 24 TWh. Auch die Geothermie verzeichnet nach 2030 ein weiteres Wachstum und trägt in 2045 mit 18 TWh zur Fernwärmeerzeugung bei. Die Wärmeauskopplung aus der thermischen Abfallbehandlung bleibt mit ca. 21 TWh auf einem konstanten Niveau.

Bis 2030 sind für den angestrebten Ausbau der Fernwärmenetze, der Wärmespeicher und neuen Erzeugungsanlagen Investitionen von 43,5 Mrd. Euro bzw. jährlich etwa 6,2 Mrd. Euro notwendig. Knapp 60 % der Investitionen entfallen auf den Ausbau bzw. die Erweiterung von Wärmenetzen. Die restlichen 40 % sind Investitionen in Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Wärme und der Nutzbarmachung von unvermeidbarer Abwärme sowie deren Einbindung in die Wärmenetze. Bis 2045 sind weitere Investitionen in Höhe von gut 74 Mrd. Euro notwendig. Dies entspricht etwa 5 Mrd. Euro jährlich. Der jährliche Bedarf an Investitionskostenzuschüssen und Betriebskostenförderungen liegt bei rund 3,4 Mrd. Euro bis 2030. Nach 2030 steigt der Bedarf geringfügig auf 3,5 Mrd. Euro jährlich.

Im Vergleich zum vorhergehenden Gutachten von 2020 mussten der Fernwärmeverbrauch und damit auch der entsprechende Ausbaubedarf an erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme für die Jahre 2030 und 2045 etwas nach unten korrigiert werden. Maßgeblich hierfür ist, dass der Ausbau der Fernwärme in den vergangenen Jahren noch nicht die notwendige Dynamik erreichen konnte, um das vormals angestrebte Ambitionsniveau zu erreichen. Diese verlorenen Jahre wirken sich stärker auf den Fernwärmeverbrauch und Zubau erneuerbarer Energie aus als andere Faktoren, wie bspw. der ambitionierte Anschluss von 100.000 Gebäuden jährlich oder der ambitioniertere Anteil erneuerbarer Energie und Abwärme bis 2030.
Der Investitions- und Fördermittelbedarf hat sich im Vergleich zum letzten Gutachten erhöht. Die wesentliche Ursache liegt in den starken Kostensteigerungen der letzten Jahre, die sowohl den Ausbau der Wärmenetze als auch die Dekarbonisierung betreffen.

Die Diskussionen über die Finanzausstattung der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) führen zu Unsicherheiten bei den Fernwärmunternehmen und bremsen die dringend erforderlichen Investitionen in die Fernwärme aus. Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und die Zwischenziele bis 2030 zu erreichen, ist es daher dringend erforderlich, die notwendige Fördermittelausstattung von jährlich 3,5 Mrd. Euro zu sichern und frühzeitig eine Nachfolgelösung für die bis September 2028 begrenzte BEW zu schaffen. Denkbar wäre etwa, dass die Fördermittel zukünftig nicht mehr aus dem Haushalt, sondern aus geeigneten Umlagen oder Abgaben auf Energie stammen. Die Beispiele des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zeigen, dass diese Art der Finanzierung eine hohe Verlässlichkeit und Investitions-sicherheit schafft. Neben der Finanzierung gibt es weitere Hindernisse für den Ausbau und die Dekarbonisierung der Fernwärme, die bereits im Gutachten von 2020 ausführlich diskutiert wurden und größtenteils bis heute relevant sind. Dazu gehören Hemmnisse wie § 556c BGB und die darauf basierende Wärmelieferverordnung (WärmeLV) sowie die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und die Bereitstellung von Flächen.

Hintergrund politisches Ziel: Bis 2030 soll der Anteil der aus erneuerbaren Energien und unvermeidbaren Abwärme erzeugten Fernwärme auf 50 Prozent erhöht werden. Außerdem sollen mittelfristig jährlich mindestens 100.000 Gebäude neu an die Fernwärme angeschlossen werden. Diese Zahlen müssen erreicht werden, um die Klimaziele einzuhalten. Bis 2030 sollen die Emissionen bundesweit im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent reduziert werden.

Der Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU) vertritt über 1.550 Stadtwerke und kommunalwirtschaftliche Unternehmen in den Bereichen Energie, Wasser/Abwasser, Abfallwirtschaft sowie Telekommunikation. Mit über 300.000 Beschäftigten wurden 2021 Umsatzerlöse von 141 Milliarden Euro erwirtschaftet und mehr als 17 Milliarden Euro investiert. Im Endkundensegment haben die VKU-Mitgliedsunternehmen signifikante Marktanteile in zentralen Ver- und Entsorgungsbereichen: Strom 66 Prozent, Gas 60 Prozent, Wärme 88 Prozent, Trinkwasser 89 Prozent, Abwasser 45 Prozent. Die kommunale Abfallwirtschaft entsorgt jeden Tag 31.500 Tonnen Abfall und hat seit 1990 rund 78 Prozent ihrer CO2-Emissionen eingespart – damit ist sie der Hidden Champion des Klimaschutzes. Immer mehr Mitgliedsunternehmen engagieren sich im Breitbandausbau: 206 Unternehmen investieren pro Jahr über 822 Millionen Euro. Künftig wollen 80 Prozent der kommunalen Unternehmen den Mobilfunkunternehmen Anschlüsse für Antennen an ihr Glasfasernetz anbieten.

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