Wer sagt: „Ich habe Benzin im Blut“, drückt Leidenschaft für Autos oder Motorsport aus. Zu sagen, man habe Chemie im Blut, ist kein Sprichwort, obwohl es in Deutschland bereits Landkreise gibt, deren Bewohner keine Blutspende mehr machen können, da die Chemiekonzentration im Blut zu hoch ist.
Laut einer internationalen Recherche-Kooperation verhindern Vertreter der Chemie-Industrie die Regulierung dieser Stoffe mit irreführenden Behauptungen.
Die sogenannten Ewigkeitschemikalien – per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) – reichern sich zunehmend in der Umwelt an. Diese Stoffe sind extrem langlebig und kommen in diversen Produkten wie Kochtöpfen, Outdoor-Kleidung oder medizinischen Geräten vor. Studien zeigen, dass einige PFAS-Stoffe Krebs, Leber- und Hormonstörungen auslösen können. Besonders problematisch sind dabei die Herstellung und Entsorgung, da hier die Schadstoffe in die Umwelt gelangen.
Laut Recherche-Ergebnissen blockiere die Chemielobby die Regulierung. Eine internationale Kooperation von über 40 Journalistinnen und Journalisten (das Forever-Lobbying-Project) hat aufgedeckt, wie die Chemieindustrie gegen die geplante EU-Beschränkung von PFAS vorgeht. Laut den Recherchen setzen Industrievertreter systematisch falsche und irreführende Argumente ein, um Regulierungen zu verhindern. Forscher und Journalisten sprechen von der größten Lobbykampagne in der Geschichte der EU: Tausende Briefe mit fast 70.000 Seiten gingen bei der EU-Chemikalienagentur ECHA ein, die laut den Journalisten oft auf dieselben zwei fragwürdigen Publikationen verweisen sollen.
Ein zentrales Argument lautet, die Untergruppe der PFAS sei unbedenklich, was angeblich von der OECD bestätigt wurde. Doch auf Anfrage der Journalisten antwortete die OECD, sie habe „keine Bewertung von Fluorpolymeren durchgeführt“. Auf der Website der Organisation heißt es zudem: „Es besteht keine Einigkeit darüber, dass Fluorpolymere wenig besorgniserregend sind.“
Trotzdem hat das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck laut Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zentrale Argumente der Industrie übernommen. Noch im Januar 2023 haben Deutschland und vier weitere Länder vorgeschlagen, die gesamte PFAS-Gruppe zu beschränken. Umso fragwürdiger ist es, warum nun das Bundeswirtschaftsministerium im Januar 2024 ankündigte, Fluorpolymere von der Beschränkung ausnehmen zu wollen. Auf Presseanfragen der Recherche-Gruppe verweise das Ministerium erneut auf die angebliche Unbedenklichkeit dieser Stoffe und berufe sich dabei auf die OECD, die diese Einschätzung jedoch dementiert.
Die Entscheidung über die PFAS-Beschränkung wird sich nach Einschätzung von Experten weiter verzögern. In Brüssel arbeiten derzeit verschiedene Ausschüsse daran, mögliche Ausnahmen für bestimmte Produkte und Industriezweige zu prüfen.
Die Recherchen des Forever Lobbying Project stützen sich auf mehr als 14.000 Dokumente, die in der „Industry Documents Library“ der University of California und der Datenbank „Toxic Docs“ der Columbia University öffentlich zugänglich sind.
Quellen:
PFAS in Deutschland:
- tagesschau.de/investigativ/pfas-chemikalien-deutschland
- bund.net/bund-tests-weisen-pfas-im-blut-nach/
- br.de/nachrichten/bayern/umweltgift