GERMANWATCH-Blog-Beitrag von Manfred Treber
„Die These: Die Schiene muss bei der Umsetzung der Ziele des Paris Klimaabkommens im Verkehr in Deutschland endlich eine Schlüsselrolle bekommen. Was Angebot bei und Nachfrage nach Schienenpersonenverkehr angeht, bewegt sich Deutschland lediglich im europäischen Mittelfeld. Andere Industriestaaten zeigen, was bereits jetzt möglich ist.
So etwas nennt man Politikversagen. Nicht nur seit der aktuellen Dieselkrise hinsichtlich Luftschadstoffen, sondern auch was die Klimapolitik angeht. Seit 1990 hat der Verkehrssektor in Deutschland praktisch nicht dazu beigetragen, die Treibhausgasemissionen zu senken. Obwohl schon damals das Ziel war, die deutschen Emissionen bis zum Jahr 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent zu senken.
Das soll nun anders werden. Mitte November 2016 hat das Bundeskabinett den Klimaschutzplan 2050 verabschiedet, welcher auch Sektorziele für das Jahr 2030 enthält. Einige davon haben es in sich.
Im Verkehrssektor etwa sollen die Emissionen bis zum Jahr 2030 (gegen 1990) um ambitionierte 42 bis 40 Prozent zurückgehen. Um das schaffen zu können, braucht unser verkehrstechnisch fehlentwickeltes Autoland nichts weiter als einen Paradigmenwechsel. Und den muss die nächste Bundesregierung sofort einleiten.
Deutsche Nichtregierungsorganisationen haben bereits mit dem Konzeptpapier „Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland – Weichenstellungen bis 2050“ Vorarbeit geleistet. Das Konzept zeigt, wie ambitionierte Reduktionsziele im Verkehr praktisch umgesetzt werden können.
Wichtigstes, wenngleich wenig überraschendes Ergebnis: Der motorisierte Individualverkehr muss die Emissionen drastisch senken, was nur durch einen Bedeutungsrückgang wirtschaftlich machbar ist (von 900 Mrd. Personenkilometern (Pkm) im Jahr 2010 auf 370 Mrd. Pkm vierzig Jahre später).
Der Schienenverkehr muss dagegen von 100 Mrd. Pkm auf 174 Mrd. Pkm bis 2050 wachsen. Der Fahrradverkehr müsste von 2010 bis 2050 von 33 auf 100 Mrd. Pkm verdreifacht werden (vgl. „Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland – Weichenstellungen bis 2050“ Abb. 5.1 auf Seite 47).
Ein Blick über die Grenzen hilft, ein Gefühl für das Machbare zu bekommen. So zeigt die Schweiz bereits jetzt, wie ein hoher Schienenanteil im Personenverkehr erreicht werden kann. Hier ist der Anteil des schienengestützten Verkehrs doppelt so hoch wie in Deutschland – und damit schon nahe an dem, was Deutschland bis 2050 erreichen müsste.
Und dazu kommt: In der Schweiz ist die Schiene – im Gegensatz zu Deutschland – schon heute bei praktisch 100-prozentiger Elektromobilisierung. Doch um dem Beispiel Schweiz folgen zu können, müssen in Deutschland verschiedene Weichen neu gestellt werden.
I. Schienenpersonennahverkehr
Auch die Verkehrsleistung der Regionalzüge muss langfristig etwa verdoppelt werden. Dazu müssten zum Beispiel
- der Zugverkehr auf bestehenden Strecken intensiviert werden (beispielsweise ist die Taktung der RE-Züge, die auf Berlin zulaufen, verbesserbar),
- weitere Haltepunkte eingerichtet werden, wo es die Besiedlung anbietet,
- ehemalige Schienenstrecken reaktiviert und
- Schienenstrecken neu gebaut werden.
Alle diese Maßnahmen erfordern Investitionsmittel und Ressourcen für den Betrieb – beides ist in der heutigen Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV, über die sogenannten Regionalisierungsmittel aus dem Bundeshaushalt) noch nicht vorgesehen, denn die Entscheidung über die Regionalisierungsmittel fiel vor der Einigung zum Paris-Abkommen.
Da die Trassenkosten fast die Hälfte der Kosten des SPNV ausmachen, sollte überprüft werden, inwiefern mittelfristig die Trassenbepreisung auch dort stärker an den Grenzkosten (also an den Kosten, die durch die zusätzliche Nutzung auftreten) als volkswirtschaftlichem Optimum orientiert sein sollte. Heute werden die viel höheren Durchschnittskosten (also die Gesamtkosten umgerechnet auf Zug-km) als Maßstab genommen. Ziel ist dabei, dass der Bund den fehlenden Teil trägt und damit einen größeren Teil der Infrastrukturkosten der regionalen Schiene übernimmt (bei der Straße macht er dies auf dem größten Teil des Netzes ohnehin), um den klimaverträglichen Verkehrsträger Schiene zu fördern und um damit die Klimaziele besser zu erreichen.
II. Schienenpersonenfernverkehr
Bisher ist der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen in formaler Hinsicht eigenwirtschaftlich: Der Betreiber (derzeit fast nur Deutsche Bahn AG) entscheidet aufgrund der Wirtschaftlichkeit, welche Züge angeboten werden. Sie verfolgt dabei keine politischen Ziele, also auch keine Klimaziele. Dies ist ein Defizit, das zu beheben ist, um eine bessere Flächenerschließung mit zusätzlichen Fernzügen zu erhalten.
Aufgabenträger des Fernverkehrs ist der Bund. Allerdings hat es der Bund seit der großen Bahnreform (Dezember 1993) – d. h. seit nunmehr 24 Jahren – versäumt, ein Schienenpersonenfernverkehrsgesetz zu erlassen. Dies ist entgegen der Vorgabe in Artikel 87e Absatz 4 Grundgesetz.
Der Bundesrat ist mit dieser Situation unzufrieden: Anders als im Regionalverkehr stagniert seit der Bahnreform im Fernverkehr die Zahl der Züge, seit 1996 fand in Deutschland vielmehr ein kontinuierlicher Abbau des Fernverkehrsangebotes auf der Schiene statt. In den Augen des Bundesrates wurden die Ziele der Bahnreform im Fernverkehr bislang nicht erreicht. So legte er im Februar 2017 einen Gesetzesentwurf (vgl. Bundesrat Drucksache 745/16 (Beschluss) vom 10.02.17) dazu vor. Ziel ist dabei, dass im Bereich des öffentlichen SPFV mehr Züge verkehren und dass mindestens ein Grundangebot im Takt vorliegt. Mit dem Fernverkehr sollen flächendeckend auch kleinere Städte angebunden werden, insbesondere mit allen Oberzentren eingebunden in einem Integralen Taktfahrplan.
Der Bundesverkehrsminister soll nun in Abstimmung mit dem Bundesrat einen SPFV-Plan vorlegen. Für die genannten Verbesserungen ist Zusatzmittelbedarf in Höhe von bis zu 0,5 Mrd. Euro pro Jahr zu erwarten (wenig im Vergleich zu den 8,2 Mrd. Euro/a für den Regionalverkehr), für die der Aufgabenträger aufkommt.
III. Schienenverkehr in Städten
Auch der Anteil des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) muss im 2050-Konzept der Umweltverbände verdoppelt werden, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will. Die Empirie zeigt, dass die Attraktivität des ÖPNV dort höher ist, wo es eine Schienenverbindung gibt.
Für die Städte bedeutet das, dass insbesondere der Ausbau der „leichten Schiene“, also zum Beispiel von Straßen-/Stadtbahnen, ausgeweitet werden müsste. Neue attraktive Tramsysteme sind, angestoßen von Entwicklungen in Frankreich, mittlerweile zum weltweiten Trend – und teilweise Standard – geworden, wie neu eingeweihte Bahnen in Nordafrika (z.B. Sidi Bel Abbès, Algerien) oder China (etwa Wuhan) mit innovativen Technologien zeigen. Da sollte sich Deutschland nicht abhängen lassen.
Die Bundesregierung könnte diesen Prozess unterstützen, indem sie eine Studie in Auftrag gibt, welche die Verteilung von Mitteln aus einem neuen Mobilitätsfonds klärt, und zwar
- in welchen Städten, die bisher noch schienenfrei sind (etwa Aachen oder Münster; aber auch Großstädte wie Hamburg, die im Schienenverkehr nur noch Schnellbahnen besitzen), Tramsysteme zum Erfüllen der Paris-Ziele eingeführt werden könnten.
- wo in Städten mit existierenden Straßen-/ Stadtbahnsystemen zur Flächenerschließung neue Linien einzuführen sind (etwa in weiten Teilen Westberlins).
Deutschland braucht dringend eine Politik, die es insbesondere auch für kleinere Städte wieder interessant und zur Regel macht, mit Tramsystemen die Mobilität zu stärken. In Frankreich hat diese Politik schon erste Erfolge zu verzeichnen.
Ein solcher Stadtumbau würde die Städte nicht nur fit machen für die Umsetzung der Ziele des Pariser Klimaabkommens. Er kann auch die Lebensqualität der Stadtbewohner deutlich verbessern. Doch der Bund muss für die nötigen Investitionsmittel mit aufkommen und eine zusätzliche Finanzierung auflegen.
Ein Blick in den Fünften Monitoring-Bericht des europäischen Bahnregulatoren-Dachverbandes IRG-Rail zeigt, dass die Bedeutung der deutschen Eisenbahnen im Personenverkehr für das Jahr 2015 pro Einwohner im europäischen Vergleich im Mittelfeld liegt.
Exkurs: Erfolgreiche Eisenbahnen in Europa – Personenverkehr
Dies gilt für die persönliche Nachfrage nach Schienenverkehr (1134 Personen-km/Jahr – Spitzenreiter Schweiz hat 2429) wie auch für die spezifische Personenzugleistung (10 Zug-km pro Einwohner und Jahr gegen 23 in der Schweiz). Auch Österreich und Frankreich bzw. Schweden und Dänemark liegen bei diesen Kenngrößen deutlich besser als Deutschland.
Die Kenngrößen in der Schweiz als deutlich Klassenbestem in Europa (weltweit wird er von Japan übertroffen) liegen mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland, womit die Schweiz bereits heute schon einen höheren Anteil des Schienenpersonenverkehrs hat wie im Verkehrskonzept der Umweltverbände für Deutschland für 2050 vorgesehen.
Klimaverträglicher Personenverkehr auf der Schiene in großem Umfang ist also nicht nur theoretisch machbar, sondern findet heute bereits statt.“
->Quelle: GERMANWATCH Blog – Manfred Treber-8/2017