Landwirtschaft: Bessere Tierhaltung dient auch Klima und Verbrauchern
Es gebe bisher kein Leitbild für eine nachhaltige Landwirtschaft in Deutschland. Selbst Biobauern wirtschafteten kaum klimafreundlicher als die agrarindustriellen Kollegen. Wer bis 2050 eine klima- und ressourcenneutrale Landwirtschaft haben wolle, müsse darum an die Tierhaltung ran. Die sozial-ökologische Transformation der Agrarwirtschaft gehe nur mit weniger Tieren und mit mehr Qualität, schreibt Franz-Theo Gottwald am 25.09.2017 für die Böll-Stiftung.
„Die vornehmlich konventionelle Landwirtschaft wird heute in Deutschland von etwa 280.000 Familienunternehmen betrieben; sie setzt dazu synthetische Düngemittel, chemischen Pflanzenschutz und energieintensive Maschinen ein. Daneben gibt es knapp 25.000 Biobetriebe, rund neun Prozent der Gesamtbetriebszahl. Dieser ökologische Landbau stellt zwar eine in vielerlei Hinsicht umweltschonendere Alternative dar. Aber das Minderungspotential an Treibhausgasen hängt vor allem vom Standort eines Betriebs und seinen Produktionsbedingungen ab. Öko-Landwirtschaft ist darum ähnlich energieintensiv wie die konventionelle Landwirtschaft. Alleine rettet sie das Klima nicht.
Bio ist besser, aber es reicht nicht aus. In Deutschland gibt es einen besonderen Ansatzpunkt für die ökologisch-soziale Transformation der Landwirtschaft: die Tierhaltung.
Seit mehr als fünf Jahrzehnten wird die Produktion von Erzeugnissen tierischen Ursprungs nahezu jährlich gesteigert. Voraussetzungen für diese Wachstumsgeschichte ist eine Intensivierung der Erzeugung mit veränderter Tiergenetik, die auf jährliche Hochleistung abzielt (und nicht auf Lebensleistung), sowie die konzentrierte Haltung der Tiere in industriellen Stallanlagen, höchste Automatisierung sowie Futtermittelmischungen oder Futterergänzungen, die für raschen Fleischansatz, schnelle Gewichtszunahme, reichliche Milch- und Eierleistung sorgen. Auch tierethisch ist diese Entwicklung ein Desaster. Das lässt sich nur ändern, wenn in Zukunft weniger Tiere gehalten werden.
Eine Landwirtschaftswende braucht darum zunächst eine Ernährungswende, die den Konsum von Produkten tierischen Ursprungs senkt in Richtung einer mediterranen Diät mit nur 16 bis 20 Prozent tierischer Erzeugnisse am Tag. Ernährungsexperten empfehlen das seit Jahren: mehr Qualität, weniger Quantität.
Bio allein reicht nicht
Aber angesichts der hoch vernetzten Tierwirtschaft und der Abhängigkeit vieler anderer Wirtschaftszweige von diesem höchst produktiven, effizienten, „Welt-Spitzen-System-Tier“ (O-Ton Deutscher Bauernverband) kann eine erfolgversprechende Agrarwende-Politik nicht allein auf kleine Bio-Vorzeigeprojekte zur Umstellung auf tiergemäßere Haltung verweisen – etwa auf das Neuland-Programm für Qualitätsfleisch. Es reicht auch nicht, auf die Standards ökologischer Tierhaltung zu zeigen, da diese selber noch viel Entwicklungspotential haben – etwa bei den eigenen Zuchtbemühungen der Biolandwirte, die fast durchweg immer noch auf Tiere aus konventioneller Zucht zurückgreifen.
Eine AgrarWENDEpolitik muss auch die konventionellen Betriebe erreichen – und sich dabei auf das Nutztier konzentrieren. Und sie muss dabei auch die Rahmenbedingungen für die beteiligten Unternehmen ändern und alle einbeziehen, die heute preisgünstig und wettbewerbsfähig mit Erzeugnissen tierischen Ursprungs wirtschaften müssen – von den Unternehmen, die Stallanlagen herstellen, bis zur Gastronomie. Wenn sie das nicht tut, bleibt der politische Widerstand der „Konventionellen“ zu hoch und der Erfolg beschränkt sich weiter auf die Bionische.
Neue Rassen, bessere Haltung
Konventionelle und ökologische Betriebe brauchen dafür neue Zuchtziele für die Nutztiere: Robustheit, Gesundheit, Genügsamkeit, Langlebigkeit, Stressresistenz, gute Muttereigenschaften, gute Fleischqualität, lange Nutzungsdauer bei einer mittleren Leistung. Ein Hemmnis ist dabei die Zentralisierung und Monopolisierung des Marktes für Zuchtgut, die für die Artenvielfalt der Tiere verheerend ist.
Ein zweiter Treiber der Veränderung muss von der Haltung ausgehen. Die herrschenden Probleme sind: Platzmangel, zu hohe Besatzdichten, kontrollierte, reizarme Umgebung, Langeweile, homogene Gruppen, keine Möglichkeit zur Ausübung arteigener, notwendiger Verhaltensweisen. Bei der Nutztierhaltung muss es in Zukunft tiergerechter zugehen; dabei könnte beispielsweise ein Stallbau-TÜV helfen. Und zertifizierte Systeme, die nachweislich das Tierwohl fördern und Gesundheits- und Verhaltensprobleme lösen sowie Managementpraktiken unterstützen, die das Zähneabkneifen, Schnabel- und Schwanzkürzen überflüssig machen.
Schließlich wäre es hilfreich, die Endprodukte auf der Grundlage tier- und umweltschutzrelevanter Merkmale zur Förderung eines nachhaltigen Konsums zu kennzeichnen.
Keine Frage: Fleisch wird teurer
Statt Preisführerschaft, auf die die deutsche Landwirtschaft auch als Exporteur Stolz ist, könnte eine umfassende Neuausrichtung auf Qualitätsführerschaft und klimagerechte Produktion zu einem neuen Leitbild führen, ohne dass die Landwirte und die von ihr abhängige Wirtschaft am langen Ende weniger verdienen. Keine Frage: Fleisch wird dann teurer. Aber nur so kann eine sozial-ökologische Transformation der Agrarwirtschaft gelingen.
[note Ausführlich: Die vollständige Analyse von Prof. Franz-Theo Gottwald zum Stand und den Herausforderungen einer ökologischen Transformation der Landwirtschaft lesen Sie in „Wirtschaft im Zukunftscheck“. Das Buch erschien im Ökom-Verlag und ist für 19,95 € im Buchshop zu bestellen.]
->Quelle: Böll-Stiftung 2017/09/25/Bessere-Tierhaltung-dient-auch-Klima-und-Verbrauchern