Karl Heinz Remmers bloggt
Stellen wir uns einmal vor, was passieren würde, wenn die Bundesregierung den Beschluss fasste, das Festnetz für Telefon und Daten abzuschaffen: Dessen Betrieb ist zu aufwändig und die Deutschen haben schon lange keine Lust mehr, ständig Kabel zu ziehen oder von Straßenbaustellen belästigt zu werden. Die Technik ermöglicht 100mal größere Datenmengen, und es gibt keinen Grund mehr, am Festnetz festzuhalten. So wird zum 01.01.2030 das Aus für alle Kabelverbindungen kommen und die Industrie muss die Umstellung in Zeit schaffen.
Weil damit viel Geld zu verdienen ist, werden die neuen Frequenzen ausgeschrieben. Die KfW bietet für die notwendige Infrastruktur zinsverbilligte Darlehen und Haftungsfreistellungen. Schon in der ersten Runde der Ausschreibungen kommen 100 Mrd. Euro für wenige Frequenzen zusammen. Kapitalgeber stehen Schlange, auch Telekom und Co können hunderte von Mrd. Euro in Kapitalerhöhungen einsammeln. Zehntausende neue Arbeitsplätze entstehen, die bisher in den Festnetzbereichen arbeitenden Menschen werden abgeworben. Und wie wir es aus der realen Welt schon kennen, wird die Hardware an die Kunden verschenkt, verbunden mit Zweijahres-Datenverträgen. Eine positive Stimmung verbreitet sich mit dem technologischen Durchbruch im ganzen Land.
Das liest sich schön, und Vergleichbares findet gerade mit dem technologischen Durchbruch der dezentralen, erneuerbaren Energieversorgung statt. Diese offeriert sogar wesentlich mehr Arbeitsplätze als jemals zuvor und macht Deutschland unabhängig von Energieimporten aus teils sehr fragwürdigen Ländern.
Und wegen des Durchbruchs sauberen Stroms in den Sektoren Verkehr (Elektromobilität) und Wärme (Heizen mit Strom) entsteht ein 2-3mal größerer Absatzmarkt. Schon sehr bald werden sich die Anbieter von Benzin und Diesel neue Jobs suchen müssen – sie werden allerdings dringend gebraucht, denn die Erzeugung des erneuerbaren Stroms benötigt ungleich mehr Menschen als die alte fossile/nukleare Versorgung.
Ein bereits gigantischer Strommarkt wird sich um den Faktor 2-3 vergrößern – wie geil ist das denn? Investoren stehen in solchen Märkten Schlange und gute Vertriebsleute entwickeln serienweise Produkte mit denen sie die Kunden gewinnen und binden können. „Ladesäule geschenkt mit Zweijahresstromvertrag!“; „Wärmepumpe geschenkt mit Zweijahresstromvertrag“; „Auto inkl. Allem“- so müssten doch im Grunde die Slogans lauten.
Und was ist die Realität in Deutschland?
Hildegard Müller, Vorstand von Innogy, beschwert sich darüber, dass sie nicht genug Kapital anziehen kann für den Um- und Ausbau. Nachdem sie im Vortrag vorher alle Chancen nur als Bedrohung dargestellt hatte. Viele Stadtwerke fürchten um ihre Existenz obwohl sie gar kein Benzin verkaufen und direkt am Kunden sind. Weil die Energiewende böse ist oder die Regierung gemein oder Elon Musk so ein Spinner und die Chinesen alles kaputt dumpen. So geht es munter durch die Strombranche: Alles ist schwer, kompliziert und teuer. Und selbst große Spieler sehen die Marktgröße nicht, was aber angesichts der alten Doktrin „Strom ist dreckig, böse und muss eingespart werden“ ja auch nicht verwundert. Dass diese Doktrin dem Umbau auf Erneuerbare Erzeugung und eben der technischen Revolution im Verkehr und auch in der Wärme zum Opfer fällt, kommt offenkundig bei vielen nicht an.
Und ja: Strom ist zunehmend sauber und schon gar nicht böse. Seine Erzeugung wird aber weiterhin Geld kosten. Und so ist auch in Zukunft effizienter Umgang geboten, aus der Effizienz muss aber kein Götze gemacht werden, denn sie kommt an vielen Stellen einfach und ohne Verzicht. Und so kann ich – z.B. weil es der Denkmalschutz einfach nicht mitmacht – auch in einem nicht gedämmten Haus mit einer Wärmepumpe verdammt gut leben – mit warmem Hintern und bei Licht ohne eine Umweltschwein zu sein. Die alten Dogmen fallen wie Dominosteine zusammen: Wind und Solar sind die billigsten neuen Erzeugungsformen, Batterien werden schnell billiger, ebenso Elektroautos. Wärmepumpentrockner von Siemens gibt es für knapp über 300 Euro, sie kosten nicht mehr über 1.000 Euro wie noch vor zehn Jahren. Warum heulen die also all in der Stromwirtschaft? Angst vor mehr Umsatz?
Strom ist ein brutaler Wachstumsmarkt mit allen Facetten – von Hardware ohne Ende (Ladesäulen, Batterien, Solarzellen, Windräder, Leitungen, neue Trafos, neue Rechenzentren, usw.) über den dann folgenden Betrieb des Ganzen, in voller Breite und langfristig – total klasse, ein langfristiges Konjunkturprogramm zudem. Plus CO2 und Giftreduktion, durch die gefallenen Erzeugungspreise fast immer günstiger.
Und wenn es schon die Branche nicht versteht, wie soll dann die Politik die großen Chancen nutzbar machen? Sprechen wir darüber und machen wir es endlich besser! Ein Thema u.a. beim 18. Forum Neue Energiewelt am 16./17.11 in Berlin.