dena-Chef über mögliche schwarz-gelb-grüne Klimapolitik
Im Interview mit der Welt sieht der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Energie-Agentur, Andreas Kuhlmann, durchaus Chancen für eine schwarz-gelb-grüne Klimapolitik – wenn es denn zur Jamaika-Koalition kommen wird. Denn das gegenwärtige System von Abgaben und Umlagen sei innovationsfeindlich, viel zu kompliziert und setze die falschen Akzente. „Wenn wir den ökonomischen Rahmen nicht innovationsfreundlicher gestalten, machen wir Deutschland zu einem Energiewendemuseum“, so Kuhlmann.
Welt: Herr Kuhlmann, Union, FDP und Grüne haben sich in den energiepolitischen Debatten der Vergangenheit ja oft am jeweils gegenüberliegenden Ende positioniert. Ist es nicht hoffnungslos, da jetzt einen gemeinsamen Nenner finden zu wollen?
Das finde ich überhaupt nicht. Nach meiner Beobachtung herrscht bereits ein überparteilicher Konsens darüber, dass die Konzepte der Vergangenheit für die nächste Phase der Energiewende nicht mehr taugen. Die Energiewende steht vor ganz neuen Herausforderungen. Sie muss jetzt sektorenübergreifend gedacht und der ökonomische Rahmen neu ausgerichtet werden. Dieses Bewusstsein ist in allen Parteien vorhanden. Daraus erwachsen Chancen. Jamaika kann Energiewende besser machen.
Und doch scheinen sich die im Wahlkampf verbreiteten Parolen gegenseitig auszuschließen.
Die einen wollen mehr Marktwirtschaft, die anderen mehr Fokussierung auf Klimaschutz. Wieder andere wollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz weg haben und mehr Planungssicherheit für den Industriestandort Deutschland. Das alles ist aber nicht unvereinbar.
Aber wie?
Das gegenwärtige System von Abgaben und Umlagen ist innovationsfeindlich. Es ist viel zu kompliziert und setzt die falschen Akzente. Wenn es gelingt, Komplexität abzubauen und eine stärkere Konzentration auf den Abbau von CO2-Emissionen zu setzen, werden sich viele Dinge besser entwickeln. Die wichtigste Aufgabe einer kommenden Regierung ist es daher, einen neuen ökonomischen Ordnungsrahmen für eine wirklich integrierte Energiewende zu schaffen.
Sie haben gemeinsam mit einer Gruppe von Umweltökonomen einen nationalen Mindestpreis für CO2 vorgeschlagen. Großbritannien hat mit einem ähnlichen Konzept einige Erfolge im Klimaschutz erzielt. Bei uns fürchten aber viele Verbraucher und auch die Industrie, dass ein CO2-Mindestpreis ihre Energierechnung weiter erhöht. Sie fordern vielmehr eine Senkung oder Abschaffung der Stromsteuer, damit Ökostrom konkurrenzfähiger zu fossilen Energien wird.
Wer die Stromsteuer abschaffen will, muss wissen, dass dann mehr als sechs Milliarden Euro Stromsteueraufkommen im Bundeshaushalt fehlen. Es gibt zudem Forderungen, die Industrie-Ausnahmen aus der EEG-Umlage zu nehmen und dem Haushalt aufzubürden. Das wären weitere fünf Milliarden Euro, dann wären wir schon bei elf Milliarden. Irgendwo wird am Ende das Geld ja herkommen müssen. Und das kann man im Sinne des Klimaschutzes auch sinnvoll regeln. Eine stärkere Bepreisung der CO2-Emissionen bei gleichzeitiger Entlastung von anderen Umlagen und Steuern würde die Lenkungswirkung erheblich verbessern. Heute werden über das EEG jährlich rund 25 Milliarden Euro umverteilt, ohne dabei eine überzeugende Lenkungswirkung zu entfalten. Man kann es also besser machen, ohne unter dem Strich die Nettobelastung für die Verbraucher zu erhöhen.
Die Beharrungskräfte sind aber stark: Das EEG gilt als deutsche Erfolgsgeschichte und als eine inzwischen auch symbolisch stark aufgeladene Errungenschaft.
Auf internationalen Konferenzen erlebe ich oft, wie Deutschland für das EEG und die Einspeisevergütung gepriesen wird. Das hat aber mittlerweile etwas Museales. Heute werden überall auf der Welt Ausschreibungen eingeführt, mit gutem Erfolg. Und mittlerweile stehen ganz andere innovative Themen auf der Agenda, nicht nur in Deutschland. Wenn wir den ökonomischen Rahmen nicht innovationsfreundlicher gestalten, machen wir Deutschland zu einem Energiewendemuseum. Ich will aber das Haus der Zukunft in Deutschland haben. Dazu gehört übrigens auch, dass wir bei der Reduktion von CO2-Emissionen wieder vorankommen. Denn darum geht es am Ende ja eigentlich.
Das Ziel einer nationalen CO2-Bepreisung soll also in den Koalitionsvertrag?
Wir haben das gegenwärtige Problem beschrieben und Leitplanken herausgearbeitet, die Grundlage einer Einigung sein könnten. Mit diesen Leitplanken und einem konkreten Zeitplan erscheint mir eine Lösung in den Koalitionsverhandlungen möglich. Schade wäre, wenn am Ende nicht wirklich zusammenhängende Einzelmaßnahmen in den Koalitionsvertrag geschrieben werden, die vielleicht symbolischen Wert haben, langfristig aber keinen systemischen Sinn ergeben.
Wie zum Beispiel ein festes Ausstiegsdatum für den Kohleausstieg?
Unsere Analysen zeigen, dass sich das Problem der Kohleemissionen von selbst erledigt, wenn es gelingt, mit der CO2-Bepreisung einen ebenso einfachen wie umfassenden ökonomischen Rahmen für die Energiewende zu setzen. Um ein Datum im Koalitionsvertrag müsste man sich dann eigentlich nicht mehr streiten. Ganz generell könnte man sich mit der Einführung eines CO2-Mindestpreises auch manch eine ordnungspolitische Debatte ersparen. Gleichwohl gibt es gute Gründe für einen politisch organisierten Ausstieg aus der Kohleverstromung. Zum Beispiel um mehr Verlässlichkeit für die Marktakteure zu schaffen und um die wirtschaftliche Entwicklung der Braunkohle-Regionen neu auszurichten. Die bisherigen Vorschläge halte ich allerdings noch für verbesserungsfähig.
Bislang setzt die Bundesregierung auf die Gründung einer Art Kohleausstiegskommission, die den Strukturwandel in den Braunkohle-Revieren orchestrieren soll.
Aber wie genau? Manche Ideen empfinde ich etwas arg konstruiert und den Menschen in den Regionen gegenüber auch zu paternalistisch. Einem Gremium Geld geben, das damit die richtigen Unternehmen sucht, das klingt eher nach Planwirtschaft. Ich hielte es für besser, eine europäische Modellregion zu schaffen, in der für Unternehmen mit Klimaschutzrelevanz – über alle Sektoren hinweg – steuerliche Vorteile und längerfristig wirkende attraktive Sonderbedingungen gelten. Daraus könnte eine Dynamik entstehen, die gut ist für die Energiewende und für die Menschen in diesen Regionen. Mein Eindruck ist, dass einige Landesregierungen auch bereits in diese Richtung denken.
Was sollte sonst noch in den Koalitionsvertrag?
In den Koalitionsvertrag gehört ein gemeinsames Verständnis über die Größe der Herausforderung, aber auch über die damit verbundenen Chancen – und mindestens eine grundlegende Maßnahme für jeden betroffenen Sektor. Im Gebäudebereich kann das eine ambitionierte steuerliche Abschreibung für Sanierungen sein. Wünschenswert wäre eine Aussage zur grundsätzlichen Ausrichtung der Klimapolitik und über die gangbaren Entwicklungspfade bei der CO2-Minderung.
Das hatte doch eigentlich die letzte Bundesregierung mit ihrem Klimaschutzplan 2050 leisten wollen.
Der Klimaschutzplan 2050 ist wichtig, weil er die Akteure aller Sektoren aufgeweckt und ein Bewusstsein für den umfassenden Ansatz von Klimaschutz geschaffen hat. Das Verfahren, nach dem dieser Plan zustande gekommen ist, war allerdings suboptimal, einige wichtige Ergebnisse sind daher fragwürdig. In unserer Leitstudie, an der rund 50 Wirtschaftsakteure ihre Marktexpertise eingebracht haben, kommen wir heute zu teilweise deutlich anderen Ergebnissen. Wir wissen jetzt, dass ein Pfad, der die durchgängige Elektrifizierung der Sektoren als Ultima Ratio annimmt, erheblich teurer ist als einer, der auf einen technologieoffenen Energiemix setzt, in dem also auch klimaneutrale synthetische Kraftstoffe eine große Rolle spielen. Das liegt unter anderem an den unterschiedlichem Bedarf an Netzausbau und gesicherter Leistung. Auf dem Weg bis 2050 macht das nach unseren bisherigen Erkenntnissen mehrere Hundert Milliarden Euro aus. Das führt auch zu abweichenden CO2-Zielvorgaben für die einzelnen Sektoren. Hier sollte neu justiert werden, aber zügig. Denn das Zwischenziel für 2030 ist auch nur noch 12 Jahre entfernt. Unsere Leitstudie ist auch ein Angebot, hier schnell voranzukommen.
Ihre Leitstudie macht auch deutlich, dass die Energiewende noch deutlich an Intensität zulegen muss, wenn wir auch nur das Minimalziel des Pariser Klimavertrages, eine 80-prozentige CO2-Minderung, bis 2050 erreichen wollen.
Ja klar, die Herausforderung ist gewaltig. Das darf man nicht leugnen. Ich bleibe aber Optimist. Wir werden den Boom neuer Technologien und Industrien erleben. Daraus kann eine wirtschaftliche und wissenschaftliche Dynamik erwachsen, die fasziniert und Deutschland voranbringen kann.
Zuerst erschienen auf Welt.de am 25. Oktober 2017
->Quelle: dena.de/jamaika-kann-die-energiewende-besser-machen