Kommentar von Claudia Kleinert – zuerst erschienen im DIW Wochenbericht 3/2018
Für das Klima in Deutschland war es eine turbulente Woche. Zuerst sickerte bei den Sondierungsgesprächen durch, man werde sich vom Klimaziel 2020 verabschieden. Nun haben sich die Parteien für eine etwas vage Formulierung entschieden. Die Lücke zum Klimaziel für 2020 solle soweit wie möglich geschlossen werden. Damit räumen sie indirekt ein, dass eine Reduzierung der Emissionen um 40 Prozent bis dahin nicht mehr zu erreichen ist. Was für ein Desaster und vor allem ein Armutszeugnis für die neue alte große Koalition, die viele Jahre Gelegenheit hatte, alles in die Wege zu leiten, um langfristig die Emissionen zu senken!
Es gab Zeit genug, den Kohleausstieg vorzubereiten, die Gebäudedämmung stärker zu fördern und die Verkehrswende einzuführen, indem der Elektromobilität vor dem Diesel der Vorzug gegeben wird.
Nun ist die Konsequenz dieser zögerlichen Politik, dass der Kohle-, Öl- und Dieselanteil viel zu hoch ist und die Emissionen steigen statt zu sinken. Wenn jetzt auch das Emissionsziel aufgeweicht wird, ist dies eine Bankrotterklärung und kontraproduktiv für Umwelt und Klima. Die Klimaziele wären durchaus noch zu erreichen, wenn man die alten und ineffizienten Kohlekraftwerke sofort vom Netz nehmen würde, die Weichen für den Kohleausstieg stellt und eine Verkehrswende einleitet. Man hat schon viel zu viel Zeit verloren und unliebsame Entscheidungen verschoben. Offensichtlich ist dies nun wieder der Fall. Aber zumindest haben die Koalitionsparteien vereinbart, bis Ende des Jahres einen Zeitplan für den Kohleausstieg vorzulegen Doch die Hinhaltetaktik hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Konsequenzen. Denn je länger man wartet, desto teurer wird die Energiewende: Wenn notwendige Investitionen in erneuerbare Energien, in Elektromobilität und Klimaschutztechnologien verschoben werden, gefährdet dies Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Auch wenn es zunächst paradox klingt: Die Arbeitsplätze in der Kohleindustrie werden durch die Verschiebung des Klimaziels ebenfalls aufs Spiel gesetzt. Der Strukturwandel muss klug und konsistent begleitet werden, um den Beschäftigten verlässliche Perspektiven zu bieten. Ein Hinhalten bedeutet Unsicherheit und führt irgendwann zu einem abrupten und schlecht vorbereiteten Wechsel, der ineffizient ist und die Arbeitsplätze gefährdet.
Schon heute zahlt der Stromkunde für die vermurkste Energiewende und dafür, dass versäumt wurde, den Kohleausstieg rechtzeitig und konsequent eingeleitet zu haben. Der Strom ist in erster Linie teuer, weil aufgrund der politischen Zögerlichkeit weiterhin zwei Systeme parallel existieren: Der hohe Kohleanteil führt zu massiven Stromangebotsüberschüssen, lässt die Strombörsenpreise fallen und erhöht so künstlich die EEG-Umlage. Zudem steigen die Netzkosten aufgrund von Netzengpässen und hohen Renditen für die Netzbetreiber.
Außerdem zahlt der Stromkunde noch „Abwrackprämien“ für alte Kohlekraftwerke, die sowieso früher oder später vom Netz gehen werden. Die Deckelung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ist zum jetzigen Zeitpunkt unsinnig, da diese immer billiger werden und die Kosten für Stromverbraucher immer geringer.
Statt die Erneuerbaren Energien weiter klein zu halten, sollten Anreize für den Zubau lastnaher und dezentraler Produktion samt optimiertem Lastmanagement und dezentraler Smart Grids und Speicher geschaffen werden. Zudem muss der Kohleausstieg heute eingeleitet und bis 2030 abgeschlossen sein. Energiesparmaßnahmen im Gebäudebereich sollten forciert und die nachhaltige Verkehrswende inklusive Elektromobilitätsquote eingeführt werden. Nur dann hätten unser Klima und Deutschland als Wirtschaftsstandort eine nachhaltige Chance.
[note Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin. – Der Beitrag gibt die Meinung der Autorin wieder.]
->Quelle: diw.de/publikationen/18-3-3.pdf