Umweltverbände gehen vor Gericht, um EU-Grenzwerte gegen die deutsche Kohlelobby zu verteidigen
Lobbyisten der Kohleindustrie und die deutschen Eigentümer von einigen der schmutzigsten Kohlekraftwerke und Tagebaue Europas reichen Klage gegen die Entscheidung der Europäischen Kommission ein, die Grenzwerte für gesundheitsgefährdende Luftschadstoffe zu verschärfen. Umweltverbände einschließlich des Europäischen Umweltbüros (European Environmental Bureau – EEB) haben sich deshalb am 28.02.2018 darum beworben, vor Gericht zu intervenieren und die EU-Regeln zu verteidigen.
Mit Rückendeckung der deutschen Braunkohleindustrie wird die Entscheidung angefochten, die Grenzwerte für Stickoxid- und Quecksilberemissionen aus europäischen Braunkohlekraftwerken zu verschärfen.
Die Verschmutzung durch die europäischen Kohlkraftwerke führen jährlich zu etwa 20.000 vorzeitigen Todesfällen, 458.000 Asthma-Anfällen bei Kindern und Kosten von mehr als 50 Milliarden Euro für das Gesundheitssystem. Trotzdem wird von der Kohleindustrie behauptet, dass die Maßnahmen die „Anlagenbetreiber in unverhältnismäßiger Weise belasten“.[1][2]
Der Generalsekretär des EEB, Jeremy Wates, kommentierte:
„Luftverschmutzung durch Verbrennung von Kohle kennt keine Grenzen. Die Emissionen eines Landes sind ein riesiges Problem für die Menschen und die Umwelt in ganz Europa. Es ist grundlegend notwendig und unausweichlich, dass Europa sich von der Kohle verabschiedet und je früher wir dies tun, desto besser für unsere Gesundheit, unser Klima und unsere Umwelt.
Die letztes Jahr eingeführten, verschärften Grenzwerte sind ein moderater Schritt in die richtige Richtung und verlangen nur, dass die Kraftwerksbetreiber die Verschmutzung durch bereits langjährig erprobte und getestete Technologien weiter reduzieren. Der Widerstand der Industrie ist ein verzweifelter Versuch, sich ihre Lizenz zum Verschmutzen der Umwelt für die nächsten Jahrzehnte zu sichern. Wir haben uns daher um eine Beteiligung vor Gericht beworben, damit das nicht gelingen wird.“ –
Das EEB ist Europas größtes Netzwerk aus Umweltverbänden mit circa 140 Mitgliedern aus mehr als 30 Ländern.]
Die verschärften EU Richtlinien wurden nach der notwendigen Zustimmung der Mitgliedsstaaten im April letzten Jahres offiziell durch die Kommission beschlossen. Damals wurden sie als wichtiger Erfolg für sauberere Luft begrüßt, der gleichzeitig das Ende von Europas schmutzigsten Kraftwerken beschleunigen könnte.[3]
Während die Kohleindustrie nur die beschlossenen Grenzwerte für Stickoxid- und Quecksilber-Emissionen durch Braunkohlkraftwerke anfechtet, beinhalte ihr Antrag vor Gericht gleichzeitig auch die Forderung, die gesamte Entscheidung aufzuheben. Da die neuen Emissionsstandards etwa 2.900 große Verbrennungsanlagen für verschiedenste Brennstoffe beträfen, gefährde dieser juristische Streitfall der Kohleindustrie auch alle anderen notwendigen Anpassungen der Umweltstandards für eine ganze Reihe weiterer Industrien, kritisiert die EEB.
[note Luftverschmutzung stand zuletzt zunehmend im Fokus der politischen Aufmerksamkeit, nachdem der Europäische Gerichtshof Polen verurteilt hat, weil es nicht schnell genug handelt, um die Konzentration von gesundheitsgefährdenden Luftschadstoffen zu reduzieren. Derzeit droht die Kommission neun weitere, europäische Ländern zu verklagen, die allesamt Kohle verbrennen.
Gesetzliche Grenzwerte zur Luftverschmutzung werden momentan von 130 Städten in 23 der 28 EU-Mitgliedsstaaten nicht eingehalten. Gerichtsverfahren in Deutschland und Großbritannien beschäftigen sich mit den Maßnahmen, welche Regierungen zur Verfügung stehen, um das Problem anzugehen. Während die Verstöße in den Innenstädten meistens mit alten Dieselfahrzeugen und privaten Öfen in Verbindung stehen, sind die großen Kohlkraftwerke für eine Grundbelastung der Luft in ganz Europa verantwortlich.
Umweltjuristen von ClientEarth planen ebenfalls, sich für ihre Beteiligung am kommenden Gerichtsverfahren zu bewerben.
Anmerkung
[1] Data on the health impacts of coal pollution in Europe from Europe Beyond Coal.
[2] Case T-739/17, Euracoal and Others v Commission (Application published in the Official Journal of the EU, 8 January 2018).
[3] New rules hasten end for Europe’s dirtiest power plants (EEB Press Release, 31 July 2017) and Cleaner air the winner after Germany fails to block new EU rules (EEB Press Release, 28 April 2017)
[4] Polish air quality ruling is warning to ‘toxic bloc’ governments (EEB Press Release, 22 February 2018)
[5] UK Government loses third air pollution case as judge rules air pollution plans ‘unlawful’ (ClientEath Press Release, 21 February 2018) and Deutsche Umwelthilfe erwirkt Grundsatzurteil für die „Saubere Luft“ in unseren Städten – Dieselkonzerne müssen alle Betrugsdiesel technisch nachrüsten (Deutsche Umwelthilfe Press Release, 27 February 2018).
Weitere Informationen (auf Englisch):
Which measures are being challenged?
The case concerns the binding Best Available Technique (BAT) Conclusions of an environmental standards document called the LCP BREF. Read our LCP BREF Q&A. The LCP BREF and its BAT Conclusions are part of the EU’s Industrial Emissions Directive.
Who are Euracoal and Others?
Euracoal is an industry lobbying group that describes itself as “the voice of coal in Europe”. The German brown coal industry is represented by the following Applicants:
- Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG) – operating the lignite power plants Jänschwalde, Schwarze Pumpe, Boxberg and Lippendorf (Unit R) and four lignite mines;
- The German lobby association of the lignite industry (DEBRIV) ‘Deutscher Braunkohlen-Industrie-Verein e.V’;
- MIBRAG the ‘Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH’, owning two major lignite mines and operating smaller lignite power plants (Deuben and Wählitz);
- ‘Eins energie in Sachsen GmbH & Co. KG’, which operates one lignite-fired power plant in Germany (Chemnitz Heizkraftwerk).
Where can I find more information about the new EU limits?
The EEB published a report: ‘Lifting Europe’s Dark Cloud: How cutting coal saves lives’ in 2016. This report showed how the health impacts of coal power would be slashed if stricter limits were imposed. The report was published in German in April 2017 under the title: Die dunkle Wolke über Europa lichten.
How is this case related to Poland’s objection to the new rules?
Poland has also challenged the decision to adopt the new standards in a separate case (Case T-699/17). Like the Euracoal case, Poland’s case – which is supported by Bulgaria – also centres on claims of procedural errors ahead of the adoption of the new measures. It is possible that the court will decide to consider the two cases together.