Der Vorwurf: Die EU-Klimaziele für 2030 liefern nicht den notwendigen Beitrag zur Abwendung gefährlicher Klimawandelfolgen und verletzen deshalb die Grundrechte der Kläger
Am 24.05.2018 haben zehn Familien aus fünf EU-Staaten, Kenia und Fidschi sowie eine Jugendorganisation aus Schweden Klage gegen die Europäische Union eingereicht. Sie werfen der EU vor, dass die Klimaziele bis 2030 unzureichend seien und damit ihre Grundrechte verletzten. Es klagen ausschließlich Familien, die direkt von Folgen des Klimawandels bedroht sind. Eine solche Klage ist auf EU-Ebene bisher einzigartig. Wie die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch mitteilt, wollen die Familien insbesondere erreichen, dass die EU den unzureichenden Reduktionspfad für die Emissionen sowie die Klima- und Energieziele für 2030 verbessert und die dafür notwendigen Maßnahmen verabschiedet.
Unter den Klägern ist auch die dreiköpfige deutsche Familie Recktenwald von der ostfriesischen Insel Langeoog, deren Heimat durch den steigenden Meeresspiegel bedroht ist. „Bei der Klage geht es nicht nur um uns und die aktuelle Situation, sondern um die Zukunft aller“, sagt Maike Recktenwald. „Was bei uns auf der Insel und in Norddeutschland passiert, ist ein globales Problem. Wir nehmen den Klimawandel besonders wahr, weil wir in und mit der Natur leben.“
Die Klage vor dem Gericht der Europäischen Union richtet sich gegen den Europäischen Rat und das Parlament. Konkret gegen drei jüngst beschlossene Klima-Verordnungen und -Richtlinien der EU (ETS, Effort Sharing, LULUCF), die zur Implementierung des 2030-Ziels erlassen wurden. Durch die schwachen Klimaziele – Verringerung der Emissionen um 40 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 – werden die Grundrechte der Klägerfamilien verletzt. Auf diese können sich auch Menschen außerhalb der EU berufen, wenn sie durch Rechtsakte der EU betroffen sind.
Insbesondere geht es um die Grundrechte auf Leben und Gesundheit, auf das Wohl der Kinder sowie auf Eigentum und Berufsfreiheit. Die Kläger sind besonders bedroht von Klimawandelfolgen wie Wassermangel, Überschwemmungen, Rückzug von Eis und Schnee, Meeresspiegelanstieg sowie der Zunahme von Stürmen und Hitzewellen.
Vertreten werden die Familien durch den Juraprofessor Gerd Winter (Bremen), die in Hamburg ansässige Umweltanwältin Dr. Roda Verheyen sowie den Londoner Rechtsanwalt Hugo Leith. Die Klage zielt auf eine Verbesserung der Klimapolitik der EU, weil diese den Rahmen für die Klimapolitik aller Mitgliedsstaaten setzt. Die Staaten der EU sind für rund zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, die EU ist damit der drittgrößte Emittent hinter China und den USA.
„Die Gerichte der Union sind aufgerufen, deutlich zu machen, dass Klimaschutz nicht nur politische, sondern auch rechtliche Verpflichtung ist“, erklärt Winter. „Grundrechte der EU waren bisher vor allem Vehikel des wirtschaftlichen Wachstums. Sie garantieren aber auch, dass ein Klima erhalten bleibt, welches Leben, Arbeit und Eigentumsgebrauch ermöglicht.“
Unterstützt werden die Kläger von mehreren Nichtregierungsorganisationen – darunter Climate Action Network Europe (CAN-E), Protect the Planet und Germanwatch – sowie von einem Institut für Klimawissenschaften.
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch: „Mit der Physik lässt sich nicht verhandeln. 40 Prozent Emissionsminderung bis 2030 in der EU ist für viele Menschen deutlich zu wenig, um ihre Lebensgrundlagen zu schützen. Die klagenden Familien fügen sich nicht einfach in eine Opferrolle, sondern verlangen von der EU den Schutz ihrer Rechte. Diese Klage will den Grundrechten, für die die EU steht, zur Durchsetzung verhelfen. Daher unterstützen wir diesen Schritt.“
Markus Gohr, Geschäftsführer der Organisation Protect the Planet, ergänzt: „Protect the Planet unterstützt die Klage mit finanziellen und ideellen Mitteln, um Menschen eine Stimme zu geben, deren Lebensgrundlagen durch den Klimawandel auf dem Spiel stehen. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der wir auf eine unbeherrschbare Situation zusteuern, ist es beschämend, wie unentschlossen und langsam die Politik agiert. Da wird verzögert, verharmlost, verhindert und sich aus der Verantwortung gestohlen. Doch es ist keine Frage politischer Räson, sondern eine Überlebensfrage, vor der wir die Augen nicht verschließen dürfen. Insofern hoffen wir, dass die Kläger auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung auch politischen Handlungsdruck erzeugen können.“
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