Potenziale und Grenzen – Anhörung im Wirtschafts- und Energie-Ausschuss
„Den einen sind sie Grundbaustein und Garant für eine erfolgreiche Energiewende, den anderen Sinnbild für den Verlust von Lebensqualität: Windräder polarisieren“, formulierte der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag am 25.06.2018 im Bericht über eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss, die auf einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Erhöhung der Ausbaumengen für Windenergie an Land und Solarenergie (19/2108) zurückging. Sie habe insofern die öffentliche, fachliche und politische Stimmungslage widergespiegelt. Neun geladene Sachverständige von der Bürgerinitiative bis zum Wasserkraftexperten standen den Abgeordneten Rede und Antwort.
Rainer Ebeling (Bürgerinitiative „keine neuen Windräder für Crussow“) erklärte, die Akzeptanz für Windräder in seinem Dorf und in der Uckermark sei gleich Null. „Die Dörfer sind umzingelt.“ Er klagte darüber, dass die Windkraft privilegiert werde und selbst gesundheitliche Aspekte keine Rolle spielten. Diskussionen mit Bürgern verliefen nicht auf Augenhöhe, Beteiligungsverfahren fänden nur zum Schein statt. Dem pflichtete Jens Funk von der Bürgerinitiative „Freie Friedländer Wiese e.V.“ bei. Es werde am Bürger vorbeiagiert; Formulierungen seien oft unverständlich. Funk wies zudem auf die negativen Folgen massiver Anlagen für den Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern hin.
Adolf Schweer, technischer Geschäftsführer des Betreibers Mitnetz Strom, sah Bürgerproteste nicht als entscheidenden Knackpunkt der Energiewende – auch wenn er einräume, dass die Akzeptanz sinke. Wichtig sei, das Problem der Langzeit-Speicher anzugehen. Denn während Kurzzeitspeicher nach Ansicht von Schweer massiv zunehmen dürften, mangele es an finanzierbaren Lösungen für die Langzeit. Außerdem mahnte Schweer Investitionen in intelligente Netztechnik und in die Sektorkopplung an, also in Möglichkeiten, mehr Strom aus Erneuerbaren Energien zum Heizen und Fahren zu nutzen.
Michael Ritzau, Geschäftsführer des Büros für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, plädierte dafür, an den Zielen festzuhalten. Indes müssten sowohl weitere Maßnahmen zu Netzausbau und -optimierung sowie Flexibilisierung ergriffen werden – sowohl im technischen als auch rechtlichen Bereich. Das Stromsystem leide unter zahlreichen Steuern und Umlagen und müsse dringend reformiert werden, so Ritzau.
Flexibilität stieß auch bei Sebastian Bolay vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK) auf offene Ohren. Seiner Ansicht nach sollten möglichst nicht einzelne Aspekte wie die Ausbaupfade für Onshore-Wind oder Photovoltaik herausgegriffen, sondern die Auswirkungen umfassend betrachtet werden. Außerdem sollte das System so flexibel gehandhabt werden, dass etwa die Industrie dann viel verbrauchen kann, wenn viel Wind weht. Kosten sollten nach Ansicht des DIHK-Experten teilweise anders verteilt und vom Bundeshaushalt gestemmt werden. Bolay erinnerte daran, dass eine zukunftsgewandte, von digitalen Prozessen getriebene Industrie mehr Strom brauchen werde. Das verdeutliche die anstehenden Herausforderungen.
Besonders viele Fragen richteten die Abgeordneten an Harald Schwarz von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Der Professor im Fachgebiet Energieverteilung und Hochspannungstechnik stellte im Lauf der zweistündigen Anhörung immer wieder auch die Kostenfrage: Wer ausschließlich auf Energie aus Wind und Sonne setze, müsse entweder konventionelle Kraftwerke zur Sicherheit in der Hinterhand haben oder massiv in Speichertechnologie investieren – doch wer werde dafür bezahlen? „Dann müssen Sie sagen, wie viel Strom kosten darf“, sagte Schwarz den Abgeordneten.
Der Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V., Peter Röttgen, mahnte vor allem Verlässlichkeit für Unternehmen an. Sonderausschreibungen seien der richtige Weg und sollten verstetigt werden. Behörden müssten besser ausgestattet werden, um administrative Hemmnisse zu mildern, so Röttgen. Er brachte die Wasserwirtschaft als Träger der Energiewende ins Spiel; ihr Potenzial werde massiv unterschätzt. Anschließend erinnerte Horst Seide vom Fachverband Biogas e.V. an die Möglichkeiten der Bionenergiebranche. Auch deren Energienutzung könne ausgebaut werden – wenn Regelungen flexibilisiert und gesetzliche Schranken geöffnet würden, so Seide.
Schließlich bilanzierte Eva Hauser vom Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme, die im Gesetzentwurf der Grünen vorgesehenen Sonderausschreibungen seien allein noch nicht ausreichend, um die Energie- und Klimaschutzziele des Koalitionsvertrags umzusetzen. Es sei wichtig für die Volkswirtschaft, auf dem Feld Vorreiter zu bleiben, erklärte Hauser. Sie erinnerte daran, Verkehr und Wärme stärker in die Diskussion einzubinden und Fortschritte in diesen Bereichen zu forcieren. (hib 449/2018 PEZ)
->Quelle: bundestag.de/hib=mod454590