ESYS-Energie-Symposium – „die nächste Phase der Energiewende“
Es ist Sand im Getriebe des Energiewende-Motors: Die Treibhausgasemissionen stagnieren oder steigen, Deutschland nutzt immer noch sehr viel Kohle und Erdöl und verfehlt seine Klimaziele. Wie Hemmnisse entfernt werden können, damit die Energiewende richtig Fahrt aufnehmen kann, untersucht das Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) und unterbreitete in den vergangenen fünf Jahren Lösungsvorschläge – unter anderem, einen wirksamen, sektorübergreifenden CO2-Preis für alle Emissionen, mehr Erneuerbare Energien zur Wärmebereitstellung und im Verkehr einzusetzen und die deutsche Energiepolitik internationaler auszurichten. Der Sprung in die nächste Phase der Energiewende, anstehender Forschungsbedarf, neue Spielräume und Steuerungsmechanismen – waren Fragestellungen beim ESYS-Energiesymposium am 12.09.2018 in Berlin. Solarify dokumentiert die Beiträge in Ausschnitten.
Wilfried Kraus, BMBF: „Digitalisierungs-Ministerium hat keinen Sinn“
Wilfried Kraus vom BMBF bestätigte in seinem Grußwort, dass wir einen zweiten Anlauf in der Energiewende brauchen. „Wir geben im Augenblick sehr viel Geld für die Energiewende aus und erreichen wenig“. Genau betrachtet seien erst sechs Prozent erreicht. Im Verkehr gebe es keinen Ansatz, im Wärmesektor, der 50 Prozent ausmache, habe sich fast nichts verändert. Die Sektorenkopplung sei „sehr wichtig“.
Kraus nannte Fakten: 2050 seien 1000 TWh Strom nötig – aber: „Wir wissen heute nicht, wie wir das hinkriegen, jedenfalls nicht mit Erneuerbaren Energien. Wir stehen daher vor Riesen-Herausforderungen.“ Die Energiewende sei richtig, habe aber Riesenveränderungen zur Folge; in der Lausitz beispielsweise müsse man mit den Menschen reden. CO2-Verringerung sei ein richtiges Ziel, „aber nicht das einzige, die Energiewende muss bezahlbar und sozialverträglich sein“. Im Sektor Mobilität beispielsweise könne man über alles reden – aber es sei viel intelligenter, Verkehr zu vermeiden, müssten Städte nicht anders organisiert werden? Was geschehe mit den Riesen-Überkapazitäten beim Strom? Die Bundesnetzagentur nannte 1,2 Mrd Euro, welche die Verbrauchen hätten bezahlen müssen. Speichertechnik sei notwendig, dankenswerterweise habe man „das schon vor 7 Jahren angegangen, als das noch gar nicht auf der Tagesordnung stand.“ Die Mobilitätswende müsse kommen. E-Mobilität könne aber nicht alles abdecken, daher seien E-Fuels richtig und wichtig.
Als Agenda für die nächsten Jahre nannte Kraus im internationalen Bereich Afrika und die Kopernikus-Projekte – die „sollten auch von den anderen Ressorts stärker mitgetragen werden“. Als weiterer Bereich sei v.a. die Wärme stärker zu beachten: Kraus kündigte für die nächsten Monate ein Programm zur Wärme-Energiewende an. Zum Stichwort „digital“ sagte er: „Ein Digitalisierungsministerium hat keinen Sinn, Digitalisierung allein ist gar nichts; es geht um die Anwendungen. Die neue Mobilitätsplattform, eher technologisch verkehrsorientiert, halten wir nicht für ausreichend – daher wird im BMBF ein neues Referat zum Thema Verkehrswende eingerichtet, mit dem wir anders herangehen“
Keynote: Ottmar Edenhofer, MCC-Direktor und designierter PIK-Chef
Der MCC-Chef beklagte, dass die Emissionen steigen – jährlich um etwa 2%. Für das Klimaproblem seien kumulativen Emissionen wichtig, das, was in der Atmosphäre abgelagert werde. Wenn es so weiter gehe, würden wir 2037 die Zwei-Grad-Grenze überschreiten, 2069 über 3° landen. Wir müssten jährlich 2%, eher 4%, reduzieren. Der Energieträger Kohle habe ein „fulminantes Comeback hingelegt“, ihr Zeitalter sei keineswegs vorbei. Handlungsbedarf entstehe dabei weniger aus der Dynamik des Klimawandels, als vielmehr aus der Dynamik der Investitionszyklen.
Wir hingen von den kumulativen CO2-Emissionen ab – die fossilen Energieträger würden nicht knapp; folglich zwinge uns nicht Knappheit „auf den Pfad der Tugend, sondern die Klimapolitik“. 70% der fossilen E-träger müssten im Boden bleiben, wenn wir um die Jahrhundertwende null Emissionen erreichen wollten (was mir müssten) – „irgendwann müssen negative Emissionen dazukommen (weil wir nicht alle Emissionen vermeiden können)“. Den Stromsektor müssten wir dekarbonisieren, der Strom sei deshalb wichtig, weil wir zum Beispiel den Verkehrssektor elektrifizieren müssten. Das gehe nur mit CO2-freiem Strom.
Die Kohle zehre das zur Verfügung stehende CO2-Budget mit ihren zu erwartenden Emissionen weitgehend auf. Also müssten fossile Ressourcen im Boden bleiben: 89 Prozent der Kohle, 35 des Öls, und 32 des Erdgases (ohne CCS). Der Handlungsdruck in diese Richtung komme aus den Investitionszyklen, die über Jahrzehnte gingen. „Die Kohlefrage muss dabei im Zentrum stehen“, so Edenhofer. Daher müsse man über CCS, Direct Air-Capture, Biomasse plus CO2, CCU, PtG (im Prinzip eine gute Idee) nachdenken. Das Problem dabei sei die Ökonomie: dafür sei ein CO2-Preis von 500 €/t notwendig, könne aber dank Technologiefortschritts deutlich sinken. PtG konkurriere in vielen Anwendungen mit der Direktelektrifizierung (Power to Heat) – die sei oft günstiger. „Der CO2-Preis ist nicht Allheilmittel, aber ohne ihn scheitern Klimapolitik und Energiewende“. Das Problem sei auch nicht mit dem Ordnungsrecht wie bei FCKW und Katalysatoren zu lösen. Der CO2-Preis habe drei Effekte:
- er mache die Erneuerbaren rentabler,
- er bestrafe die Fossilen,
- und er erzeuge Einnahmen.
Dabei brauche es dynamische Kosteneffizienz und einen Mindestpreis, sonst habe alles nur vorübergehende Wirkung. Ein CO2-Preis von 30 € wäre bereits hilfreich, könnte die Abholzung des Hambacher Forsts überflüssig machen.
Alternativen beim Einsatz von Kohlenstoffabscheidung sieht Edenhofer bei CCS (mit relativ günstiger CO2-Vermeidung und Potenzial für netto negative Emissionen auf Systemebene) und ECU (Keine geologische CO2-Speicherung, chemische Speicherung) aber auch Nachteile. Bei CCS: Wenn mit Biomasse – Nutzung erschöpflicher geologischer Ressourcen und Akzeptanzprobleme – bei CCU blieben substantielle Restemissionen, und es sei hoher Energieaufwand für CO2-Abscheidung und Produktion synthetischer Kraftstoffe erforderlich. Es müssten Wege zu einem integrierten Kohlenstoffmanagement gefunden werden.
US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Lord Nicholas Stern haben als Vorsitzende der „High-Level Commission on Carbon Prices“ während der Berliner G20-Konferenz im Mai 2017 ein Papier vorgelegt, das von der Politik mehr Einsatz und ein Preismodell für CO2 fordert, mit echten Anreizen, um in Erneuerbare Energien zu investieren. Dafür benannten sie erstmals konkret, wie hoch der Preis für Kohlendioxid sein müsste, damit die globalen COP21-Klimaschutzziele erreicht werden könnten.
Die sogenannte Stiglitz-Stern-Kommission habe im einzelnen folgende Ergebnisse gehabt:
- Basierend auf der Analyse von drei Ansätzen: technische Roadmaps, nationale Roadmaps, globale Modelle
- Benötigter CO2-Preis zur Umsetzung des Paris-Abkommens: 40-80 $/t CO2 bis 2020 und 50-100 $/t CO2 bis 2030
- Dabei wird angenommen, dass die Bepreisung komplementiert wird durch Aktivitäten und Politiken wie Effizienzstandards, R&D, Stadtentwicklung, gutes Investitionsklima.
- Betonung der Relevanz der Einnahmeseite. Verwendung z.B. zur Reduktion von anderen Steuern, Investitionen in saubere Infrastruktur.
Trotz alledem werde immer noch “eine Tonne CO2 durchschnittlich mit mehr als 150 US$ subventioniert” – so Edenhofer. Hauptproblem: Dem ETS fehlt die dynamische Kosteneffizienz. Der CO2-Preis steige zwar gegenwärtig und die Händler erwarten Knappheit, aber die ETS-Reform könnte nur vorübergehend wirken. Daher forderte Edenhofer einen Mindestpreis.
Zweites aktuelles Problem: Die unterschiedlich Hürde Kapitalbeschaffungskosten: In Griechenland 13,5% im Gegensatz zu Deutschland mit 5,6%.
Edenhofer fasste zusammen: Werde der Klimawandel nicht gebremst, verursache das hohe ökonomische Kosten; die Kosten für das Bremsen seien geringer. Die zu schwachen Selbstverpflichtungen der Staaten nach COP21 (INDCs) und die Renaissance der Kohle seien mit der 2° C-Grenze unvereinbar. Die notwendige Verringerung der CO2-Emissionen könnte durch eine Bepreisung effizient reguliert werden. Die CCX-Optionen (CCS, CCU, etc.) seien ökonomisch nur bei hohen CO2-Preisen machbar. Die Beschaffung des notwendigen Kapitals für die Emissionsminderung sieht Edenhofer als gemeinsame Herausforderung für Klimapolitik und Finanzsystem an.
Diskussionen und Impulse – viel Kritik an der Politik
Dirk-Uwe Sauer
Der ESYS-Sprecher und Professor am Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe (ISEA) der RWTH Aachen stellte fest, man sei „durch die Vorurteile durch“, erste Lösungen lägen vor. Vieles fehle noch, der ordnungspolitische Rahmen etwa. Über das Viereck aus Kosten, Versorgungssicherheit, Akzeptanz und Ökologie (das meine nicht nur CO2) „streiten wir uns immer noch, aber wir streiten uns, wie es sich für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehört: Miteinander, auf Basis von Fakten und Zahlen und mit der Offenheit, die Argumente der Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen oder aus anderen Disziplinen anzuhören und abzuwägen und das sogar über Stunden, Tage oder Wochen hinweg.“. Gute Technologie alleine reiche aber nicht- denn: „Wir sind zum Erfolg der Energiewende verdammt. Auch wenn die Kohle nach wie vor auf dem Vormarsch ist“. Sauer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass über Jahre mehr Geld in Erneuerbare als in Kohle investiert worden sei, gleichzeitig zögen sich große Investoren aus der Kohle zurück. „Mal sehen was schneller ist“, fragte er , „der Strompreis an der Börse oder die Kohlekommission und ihr ordnungspolitischer Rahmen“. Der ESYS-Sprecher konstatierte aber auch: „Im Moment arbeiten wir noch auf Verschleiß. Aber der Veränderungsdruck wächst. Die EVU warten auf neue Geschäftsmodelle“. Sektorkopplung sei dafür wichtig. Und: Der Übergang müsse von der Bevölkerung aufgenommen werden. Wie könne man die Akzeptanz befördern? An einigen Stellen müssten aber schlicht und einfach auch Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel beim Schwerlastverkehr: Hier müsse entschieden werden, etwa zwischen E-Fuels, Oberleitungen und E-Mobilität. Ausdrücklich dankte Sauer Robert Schlögl als dem geistigem Vater von ESYS, aber auch dem BMBF als Geldgeber.
Diskussion Fischedick, Henning, Maubach, Pittel, Renn, Sauer
Klaus-Dieter Maubach, Aufsichsrat beim Erneuerbare-Energien-Investor encavis, unterstrich die Investorenperspektive als sehr wichtig: 250 Mrd. Euro seien von 1990 bis Ende 2016 in 100 GW Erneuerbare investiert worden; dieser Pfad müsse sich (nur für Wind und Solar) weitere 25 Jahre lang fortsetzen. Das EEG sei eine echte Neuerung gewesen. „Wir sehen einen substanziellen Effekt durch Risikomarkt. Wenn ich in einen Wettbewerb investieren muss, wenn Zinsen und Risiken steigen, gehen die Kapitalkosten nach oben. Wir brauchen einen PPA-Markt, langfristige Stromlieferungsverträge erleichtern Investitionen.“ Wenn aber NGOs bereits erteilte Baugenehmigungen beklagten, stiegen die Risiken weiter.
Karen Pittel vom ifo-Institut sah einen CO2-Preis von 30 bis 70 Euro (steigend) für richtig an. Die 130 Euro in Schweden werfen wettbewerbsmäßige Probleme auf – daher gebe es dort auch riesige Ausnahmetatbestände. Bereiche, wo Kapital fliehen könnte, würden fast nicht erfasst. Sogenanntes fuel switching (Energieträger-Wechsel) sei nur bei einem höheren CO2-Preis möglich, der die Kohle unrentabel mache. Schadenschätzungen als Grundlage für den CO2-Preis reichten von 10 bis 1.000 Euro, seien daher nur schwer heranzuziehen.
Ortwin Renn vom IASS (Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung) befürchtete. die Energiewende könnte zusammenbrechen, wenn sie keine Akzeptanz genieße. Er nannte vier Punkte:
- Es braucht ein gutes Narrativ zur Begründung ihrer Notwendigkeit.
- Zweitens wollen Menschen eine positive Kosten-Nutzenbilanz, das müsse nicht nur ökonomisch sein, mehr als 50 % zweifeln an gerechter Lastenverteilung durch Energiewende.
- Drittens müsse die Entscheidungssouveränität erhalten bleiben. Smart Grid muss kontrollierbar bleiben.
- Menschen müssen sich mit dem identifizieren können, was in ihrer Umgebung geschieht. Menschen müssen an Investitionen teilhaben können, das macht emotional viel aus und muss immer im Auge behalten werden.
Impuls Fischedick
Manfred Fischedick (Vizepräsident Wuppertal Institut) formulierte in einem Impuls drei Thesen:
- Die Umsetzung der Energiewende ist trotz des Handlungsdrucks kein Selbstgänger – Handlungsdruck trifft auf wenig transformationsaffine Gesellschaften, hohe Komplexität sowie ein hohes Maß an Unsicherheiten und Dynamik, damit droht die Gefahr der Komplexitätsfalle für Entscheidungsträger, die mit einem hohen Maß an Unsicherheit und Dynamik zu kämpfen haben.
- Für die Energiewende gibt es keine Blaupause. Die Umsetzung erfordert ein verbessertes Ziel-, System– und Transformationsverständnis: die Energiewende verläuft in Phasen. Dabei können die Durchführung von Szenarioanalysen (Aufzeigen von Handlungskorridoren, Umgang mit Unsicherheiten …) und Einsetzen von Reallaboren helfen, notwendiges Orientierungswissen bereitzustellen. Fischedick verwies in diesem Zusammenhang auf die ESYS-Stellungnahme „Mit Energieszenarien gut beraten“ (siehe: solarify.eu/mit-energieszenarien-gut-beraten)- die mache Vorschläge für Entscheidungsträger, wie sie mit der hohen Dynamik, den vielen Unsicherheiten, dem multidimensionalen Optimierungsproblem, Wechselwirkungen mit Umfeld (Megatrends) Entscheidungen im politischen Mehrebenensystem treffen können.
- Die Umsetzung der Energiewende erstreckt sich über einen langen Handlungszeitraum – Entscheidungsträger stehen vor dem Dilemma, entweder schnell zu handeln (mit der Gefahr, suboptimale Entscheidungen zu treffen und Flexibilität einzubüßen) oder (aktiv/passiv) zu warten mit dem Problem, kurzfristig keine Erfolge vorweisen zu können (Entscheidungstheorie).
Stichworte aus der Diskussion
- Maubach auf die Frage „wie lange warten?“: Zuverlässigkeit im Netzausbau nötig, Abstandsregeln beim Wind behindern Windausbau weil Ländersache, wünscht sich Zuverlässigkeit für Investoren. Die Energiewirtschaft gebe es nicht mehr, Innovationsfähigkeit müsse steigen.
- Fischedick mahnt Fortschritte bei Direct Air Capture an, noch zu teuer, noch zu wenig verbreitet.
- Renn: Solange die Menschen den Eindruck haben, die Lasten sind ungleich verteilt, und das sind immerhin zwei Drittel, fehlt Akzeptanz. Dazu komme oft ein Marginalitätsgefühl, der Einzelne könne wenig ausrichten.
Impuls Hans-Martin Henning (ISE)
Hans-Martin Henning (Direktor ISE) wies darauf hin, dass die Endenergienutzung in Deutschland nach wie vor zum weitaus überwiegenden Teil auf fossilen Energieträgern beruht.
Im integrierten deutschen Energiesystem werde der Strombedarf bis 2050 steigen, und nicht, wie ursprünglich allgemein erwartet (Effizienz!), sinken – wobei sich bei der Stromerzeugung die Verteilung in volatile Erneuerbare und flexible Kraftwerke mehr als umkehrt:
Auf einer Folie stellte der ISE-Direktor die zunehmende Bedeutung (und Relevanz) der Sektorkopplung in Bezug auf die Stromverwendung dar – 2050 werde die Sektorkopplung etwa die Hälfte ausmachen:
Sorgenkind Verkehr: Nikutta, Lenz, Rodriguez
Sorgenkind der Energiewende bleibt der Verkehr, denn dessen Emissionen sind gestiegen. Die Digitalisierung könnte zu einem Treiber für klimafreundliche Mobilität werden, beispielsweise wenn mehr Elektrofahrzeuge über die Straßen rollen, deren Batterien gleichzeitig als Stromspeicher dienen. Im Experteninterview zeichnete Sigrid Evelyn Nikutta von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) ein lebendiges Bild der digitalen Mobilität der Zukunft: Straßenbahnen, Züge und Busse fahren elektrisch, der öffentliche Nahverkehr werde zur Mobilitätsplattform und digital mit Sharing-Angeboten verknüpft. So entstehe ein attraktiver ÖPNV, der Städte lebenswerter und die Luft sauberer mache. Wie Mobilität neu gedacht und intelligent gesteuert werden kann, diskutierte die BVG-Chefin mit Barbara Lenz vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR) und Rada Rodriguez von Schneider Electric GmbH. Die Mobilität müsse so gestaltet werden, dass die Emissionen im Verkehr spürbar sinken – Elektrofahrzeuge müssten ausschließlich mit grünem Strom fahren. Um Schwankungen auszugleichen und Strom effizient speichern zu können, benötige man dezentrale, digital verknüpfte Verteilnetze.
Grün-liberale Diskussion
Die grüne energiewirtschaftliche Sprecherin Ingrid Nestle griff im Streitgespräch mit dem klimapolitischen Sprecher der FDP, Lukas Köhler, die Politik ganz allgemein an: Es geschehe viel zu wenig im Bereich Klimaschutz. Deutschland verfehle seine Klimaziele. Köhler kritisierte ebenfalls die Untätigkeit der Bundesregierung. Vor allem aber die weltweite Uneinigkeit in der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen werde sich bei den anstehenden Gipfeln zeigen. Nestle: der 80-Milliarden schwere Energiemarkt sende die komplett falschen Signale aus. Klimaschutz marktwirtschaftlich zu machen passe doch eigentlich gut in die Gedankenwelt der FDP. Nestle sprach sich für einen einheitlichen Preis auf alle CO2-Emissionen als Steuer oder Abgabe aus. Köhler wandte sich gegen eine CO2-Steuer und verlangte, dass im Rahmen des ETS ein CO2-Preis für alle Sektoren, vor allem Wärme und Verkehr gelten müsse. Nestle zeigte sich pragmatisch und verwies auf die extrem unterschiedlichen Vermeidungskosten. Köhler stimmte mit seiner Parlamentskollegin darin überein, dass die Kohle ein Auslaufenergieträger sei; sie erledige sich über den steigenden CO2-Preis gerade von selbst.
Ministerialen-Diskussion: Klimaschutzgesetz, Mobilitätsplattform, deutsch-französische Zusammenarbeit
Frank Heidrich vom BMWi trug seine Ansicht vor, dass der Gebäudesektor mit einem CO2-Preis zur Emissionsminderung beitragen könnte: Der könne die Gebäudeeffizienz ankurbeln und Erneuerbare Energien konkurrenzfähig machen. Berthold Goeke (BMU) verwies u.a. auf das für 2019 angekündigte Bundesklimaschutzgesetz und die Nationale Plattform „Zukunft der Mobilität“, die im September ihre Arbeit aufnehmen soll. Auch die internationale Zusammenarbeit werde ausgebaut: So hätten die Umweltstaatssekretäre aus Deutschland und Frankreich jüngst eine interministerielle Arbeitsgruppe gestartet, um gemeinsam Lösungen für den Klimaschutz zu entwickeln.
Diskussion Bals, Bieberbach, Reisch, Schwencke, Umbach
Florian Bieberbach, Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchner Stadtwerke (ganz re.), berichtete von den Erfolgen seines kommunalen Unternehmens auf dem Weg zu 100 Prozent Erneuerbaren Energieträgern. Vor zehn Jahren hätten die SWM beschlossen, ganz auf Erneuerbare umzusteigen. Damals sei man bei etwa 7 % gewesen – heute bereits über 50. Dabei kam ihm die Preisentwicklung entgegen: Die Münchner Energiewende wird aufgrund der gefallenen Preise für Wind- und Solarenergie wesentlich billiger als ursprünglich kalkuliert. Allerdings hielt auch Bieberbach der Politik vor, sie habe sich zu sehr ins Klein-Klein verstrickt.
Impuls Bals
Christoph Bals von Germanwatch nannte den Kohleausstieg für die nächste Zukunft unausweichlich. Man habe die Wahl zwischen einem ambitionierten Ausstieg und und einem linearen:
Bals forderte einen CO2-Preis für alle Bereiche. Er sei das Schlüsselinstrument für die Transformation des deutschen Energiesystems, denn er reize Investitionen in emissionsarme Technologien an, treibe die Sektorenkopplung entscheidend voran, stelle Wettbewerbsfähigkeit und Transformation sicher – er müsse allerdings aufkommensneutral und sozialverträglich ausgestaltet sein:
Für die Sektorkopplung müssten aus heute einzelnen Planungsvorgängen in jedem Sektor integrierte Entscheidungen mit neuen Geschäftsmodellen werden. Operative Lösungen müssten sektorenspezifisch für den Strom- und Flexibilitätsmarkt ebenso wie für die Gestaltung von Steuern und Abgaben gefunden werden – aber auch sektorenübergreifend für Strommarkt und sektorenübergreifender Flexibilitätsmarkt samt Datenaustausch, im Level playing field für Steuern und Abgaben, sowie für den CO2-Preis und den Flexibilitätsmarkt als Schutz- und Transformationsmotor für die Schwerindustrie.
In der Kohlekommission wollen – so Bals – zwei Drittel einen Erfolg, „das sollten wir nutzen“. Der politische Germanwatch-Geschäftsführer betonte zudem die Chancen, die es derzeit für ein Klimaschutzgesetz als solches gebe. Dazu müssten aber alle aus den Gräben heraus. „Wir können der Politik nicht Kakophonie vorwerfen, wenn wir selbst einen misstönenden Chor anstimmen“. Verschüttete Potenziale zu heben sei außerdem wichtig.
Lucia Reisch, Professorin für Verbraucherverhalten und -politik an der Copenhagen Business School, nannte ihre Geburtstadt Stuttgart als Beispiel, wie Bürgerbeteiligung schiefgehen könne und nannte in Bezug auf den Netzausbau Erdkabel als Ausweg, auch wenn sie teurer seien (und, wie jüngst gezeigt, evtl. reparaturanfälliger). „Man muss die Energiewende als Gemeinschaftswerk den Menschen besser erklären. Die Kosten für den Netzausbau betragen mit 10 Mrd. Euro heruntergerechnet gerade mal 6 Euro pro Durchschnittshaushalt.“
Impuls Schwencke
Tilman Schwencke, Leiter „Strategie und Politik“ beim BDEW, nannte in einem weiteren Impuls drei Phasen der Energiewende:
- Erste Phase: im Bereich Strom viel Erneuerbare Energien aufbauen
- Phase zwei, schon merklich schwieriger: Rückgang der Kohleverstromung, bei Wärme und Verkehr CO2-Rückgang, das wird spürbarer werden, dafür Mut und Akzeptanzmeldungen nötig
- Phase drei wird aus Weiterentwicklung bestehen, dabei das Verhalten der Menschen verändern
Was ist zu tun? Weiterhin Ausbau von Erneuerbaren Energien, von Netzen, Elektro-Mobilität, von Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz in Gebäuden, sowie der Energiespeicherung. Wie erreiche man das? Nicht mit Mikromanagement – wir haben viel zu viel davon. Nötig seien nach Meinung Schwenckes: CO2-Bepreisung, Technologieförderung und Innovation. Die erforderlichen Entscheidungen müssen von der Politik getroffen werden, die Vorlagen dafür liegen vor.
Wesentliche Maßnahmen:
- ganzheitlich agieren,
- Stromsteuer senken zur Sektorkopplung;
- endlich steuerliche Absetzbarkeit energetischer Gebäudesanierung einführen,
- vernünftiger Kohleausstieg,
- EEG-KWKG.
Schwencke: „Wir brauchen mehr Tempo, 2030 steht vor der Tür.“ Er sah die Wirtschaft längst bereit, weiterzugehen als die Politik. Bei der Energiewende zeigte er sich optimistisch, auch für die Kohlekommission, teilte die Meinung von Bals. Zur Akzeptanz: Man könne Windparks heute so gestalten, dass sie akzeptanzfördernd seien.
Eberhard Umbach vom acatech-Präsidium forderte, alle, besonders die Politik, müssten den Handlungsbedarf ernstnehmen. Allerdings zeigte er sich zunächst pessimistisch: Viele gute Ideen scheiterten an der Umsetzung, auch weil die Rahmenbedingungen nicht da seien – wieder ein Defizit der Politik: „Nach wie vor ist das Problem der Überbrückung von Dunkelflauten beispielsweise ungelöst“. Wenn ein Minister sage, er wolle nicht mit CO2-Steuer und Ähnlichem behelligt werden, dann seien vier Jahre verschenkt. Am Ende bezeichnete sich Umbach dann aber doch als „hoffnungsvoll“.
Bieberbach nannte den Minister: Peter Altmaier. Die steigenden CO2-Preise seien allerdings für sich dann ein Veränderungsanreiz, wenn alle Bereiche einbezogen würden. Gas und Erdöl seien steuerlich zu niedrig, Strom dagegen viel zu teuer belegt. Es gebe keine Veränderung ohne Verlierer, „die aber schreien viel lauter als alle anderen, davor haben Politiker Angst“. Reisch wünschte sich mehr vom Nach-Fukushima-Schwung, als mehr erklärt wurde und die Zuspruchwerte sehr hoch lagen.
Bieberbach wies schließlich darauf hin, dass es bei der Sektorkopplung um zwei komplett verschiedene Ziele gehe:
- einmal, darum, mehr Erneuerbare Energien einsetzen (dazu sei also mehr Ökostrom nötig)
- zum zweiten, wie man mehr Flexibilität in den Strommarkt hineinbringen könne – dazu müsse man die Flexibilisierungspotenziale aus anderen Sektoren nutzen. Das größte Potenzial liege nicht im Verkehr, sondern im Wärmemarkt mit beispielsweise Kopplung von Strom-Wärme-Kälte oder Power-to-Gas.
Schlussrunde mit Pittel, Sauer und Umbach
Karen Pittel wies darauf hin, dass ein systemischer Ansatz wichtig sei, der dürfe aber nicht immer nur Sektorkopplung genannt werden – sondern man müsse in diesem Zusammenhang auch Gesellschaft, Technologie, Wirtschaft und Politik zusammendenken. Es könne zwar keinen Masterplan für die Energiewende geben, aber es müsse gleichzeitig nachjustiert werden. Die CO2-Bepreisung sei ein Weg, egal ob ETS oder Steuer. Man müsse prüfen, welches Mikromanagement man abschaffen könne. Schließlich forderte sie eine grundsätzliche Reform des Steuer- und Abgabensystems im Bereich Energie.
Eberhard Umbach sah die Übereinstimmung sehr hoch, man sei insgesamt auf gutem Weg – die Unterschiede lägen aber im Detail. Den Weg, der 30 Jahre gelte, gebe es sowieso nicht. Wir müssen beschleunigen, gleichzeitig auf Dinge gefasst sein, die uns erst unterwegs begegnen würden, Strukturprobleme anpacken und lösen. Die Politik solle endlich den Rahmen schaffen, Sozialverträglichkeit sicherstellen und die Menschen mitnehmen.
Dirk-Uwe Sauer wies darauf hin, dass die Politik ja bereits Vorgaben mache, etwa den Ausstoß von Flotten betreffend, allerdings müssten die noch besser nachprüfbar sein (Abgasskandal!). Sauer verbreitete Optimismus: Anstelle mit großen Zahlen um sich zu werfen, müsste man dieselben herunter rechnen, dann kämen kleine, akzeptable Zahlen heraus. Der Elektromobilitäts-Sektor werde als einer von wenigen Sektoren neue Arbeitsplätze zubauen. Dabei müsse man die Effizienz beachten, synthetische Kraftstoffe müssten weiterentwickelt werden.
->Quelle:
- Gerhard Hofmann (eigene Aufzeichnungen und Präsentationen der Referenten)
- energiesysteme-zukunft.de/energiesymposium2018
- Videos: youtube.com/UC1na9SRhrPRGi-JW3NWAXNA
- energiesysteme-zukunft.de/esys-energiesymposium/
- siehe auch: solarify.eu/wir-sind-zum-erfolg-verdammt