Neue Aussichten für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik – Zahrnt: „Es geht um Wachstum oder Klimaschutz“
Die globale Umwelt- und Klimakrise erfordert einen gesellschaftlichen Wandel. Immer stärker wird dabei die Forderung, auch das Thema Wirtschaftswachstum neu zu denken. Zu häufig werde ambitionierte Umweltpolitik aus Gründen eines Wachstumsvorbehalts nicht umgesetzt, so die Kritik. Auf der gemeinsam von Forschern des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und des Wuppertal Institut für Umwelt, Klima, Energie im Auftrag des Umweltbundesamtes ausgerichteten Tagung „Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit“ diskutierten am 05.11.2018 in Berlin fast 200 Akteure aus verschiedenen Politikressorts, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft darüber, wie unsere Gesellschaft widerstandsfähiger werden kann – gegen die Folgen von Konflikten und Krisen, aber auch gegen Schwankungen von Märkten. Wenn eine Volkswirtschaft unabhängiger vom Wachstum würde, eröffnete dies nicht nur der Umweltpolitik, sondern vielen weiteren Politikfeldern neue Handlungsmöglichkeiten, so das Fazit.
Fokus auf Lebensqualität statt Wachstum
„Es ist Zeit, dass sich weltweit in den Industrieländern der politische Fokus wandelt – weg von ‚Wachstum um jeden Preis‘ hin zur Frage, wie die Lebensqualität erhalten und verbessert werden kann“, so Volkswirt Ulrich Petschow vom IÖW. Im Eröffnungsvortrag „Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen“ stellte Petschow den neuen Ansatz einer „vorsorgeorientierten Postwachstumsposition“ vor.
Großes Interesse aus verschiedenen Bundesministerien
„Das große Interesse von Vertretern verschiedener Bundesministerien wie Wirtschaft, Finanzen, Arbeit und Umwelt zeigt, dass es an der Zeit ist, neue Wege zu gehen und den politischen Stillstand zur Wachstumsfrage zu überwinden“, sagte Petschow weiter.
Nils aus dem Moore vom RWI ergänzte: „Um gesellschaftliches Wohlergehen künftig dauerhaft innerhalb der planetaren Grenzen verwirklichen zu können, sollten Potenziale für mehr Wachstumsunabhängigkeit in allen Politikbereichen gesucht, identifiziert und realisiert werden – von der Gesundheitsversorgung über Renten- und Arbeitsmarkt- bis hin zur Regionalpolitik.“
Mit „No-Regret-Strategien“ vom Reden ins Tun kommen
„Die Konferenz stellte die gemeinsam von neoklassischen und postwachstumsorientierten Forschern getragenen Forschungsergebnisse ins Zentrum, die zeigen, dass wachstumsunabhängige Strategien ‚No-Regret-Lösungen‘ sind. Wie die Zukunft sich auch entwickelt, diese Lösungen sind vorteilhaft“, so Kora Kristof, Leiterin der Abteilung „Nachhaltigkeitsstrategien, Ressourcenschonung, Instrumente“ im Umweltbundesamt (UBA): „Zentrale Fragen für eine Wachstumsunabhängigkeit sind zum Beispiel: Welche Lösungen für Ressourcenschonung und Klimaschutz, aber auch die Arbeitswelt, den demographischen Wandel und die Digitalisierung gibt es? Wie genau können wachstumsunabhängige, zukunftssichere, nachhaltige Steuer-, Renten- und Gesundheitssysteme aussehen? Wir müssen jetzt vom Reden ins Tun kommen und diese Lösungen gemeinsam mit Forschung, Gesellschaft und Politik entwickeln.“
Angelika Zahrnt (BUND) kritisierte in einer Diskussionsrunde die Wachstumsgläubigkeit, die auch diesem Projekt innewohne, dass nämlich die mögliche Verbindung von Wachstum und 1,5-Grad-Grenze stets wie ein Mantra verkündet werde: “Wir müssen langsam aus der Phase der theoretischen Diskussion heraus und die großen Fragen beantworten: Es geht um Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz!”
Folgt: Publikation „Vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“