MDR-Faktencheck
„Nicht jede Behauptung von Spitzenpolitikern ist wahr. Immer häufiger werden gezielt ‚alternative Fakten‘ in Umlauf gebracht,“ so der Rundfunksender MDR AKTUELL, der daher „mindestens zwei Mal pro Woche im Faktencheck Behauptungen und Fakten“ überprüfen will. Am 19.02.2019 nahm sich MDR-Redakteur Ralf Geißler der umstrittenen Frage nach dem infolge des Kohleausstiegs angeblich steigenden Strompreis an. Die Antwort fällt divers aus – jedenfalls kein klares „Ja“.
Derzeit bezahlen die Deutschen für eine Kilowattstunde Strom rund 30 Cent. Zwei Organisationen haben rechnen lassen, wie viel es 2030 sein könnte. Die Denkfabrik Agora Energiewende kam zu einem Ergebnis, das viele beruhigen dürfte. Direktor Patrick Graichen: „Strom kostet dann genauso viel wie heute“. Graichen rechnet damit, dass sich der Handelspreis für Strom kaum verändern wird. Steigen dagegen dürften die Kosten für den Netzausbau. Doch dafür würden die staatlich garantierten Preise für Erneuerbare Energien sinken, so Graichen. „Wir haben ja viele Anlagen aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz der ersten Jahre im System, die noch eine sehr hohe Vergütung bekommen haben. Deswegen sinkt die EEG-Umlage tendenziell, wenn diese Altanlagen rausfallen aus der EEG-Förderung.“ Das werde im Laufe der 2020er-Jahre kommen, sodass man da einen sinkenden Effekt hat.
Ganz anders sehe die Prognose des Bundesverbands der Deutschen Industrie aus. BDI-Vize-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch erklärte, man müsse davon ausgehen, „dass per saldo die Strompreise in den nächsten Jahren schlichtweg steigen werden“. Lösch halte den Netzausbau für schwer kalkulierbar. Und er fürchte, dass der reine Handelspreis für Strom steigen werde. Denn bei einem Kohleausstieg dürfte die Nachfrage nach Gas wachsen – und damit der Preis für Gasstrom hochgehen, der wichtig wird, wenn weder Wind weht noch Sonne scheine. Lösch: „Je nachdem, wie sich verschiedene Parameter entwickeln, erwarten wir Anstiege von 0,4 bis 1,4 Cent pro Kilowattstunde.“ Für Verbraucher sind das Lösch zufolge in der Summe erhebliche Zahlen. Noch mehr aber für Unternehmen, die sehr viel Strom abnehmen. Der Industrieverband rechnet laut MDR damit, dass über die Jahre Milliarden an Mehrkosten anfallen. Auf die Kilowattstunde heruntergerechnet klingt es dann aber doch nicht so dramatisch. Für den Verbraucher kämen im ungünstigen Fall vielleicht 35 Cent je Kilowattstunde Strom heraus.
Seitdem der Kompromiss der Kohlekommission vorliegt, warnt vor allem die Industrie vor stark steigenden Strompreisen durch den Kohleausstieg. Das Bundesumweltministerium wiederum verweist auf eine Studie, die einen gegenteiligen Effekt prognostiziert. Ebenso Greenpeace Energy einer Medienmitteilung zufolge: Wenn ein ehrgeiziger Ausbau von Windkraft und Solaranlagen über die bisherige EEG-Planung hinaus den geplanten Kohleausstieg begleitet, kann dies den Strompreis und die europäischen CO2-Emissionen deutlich senken (siehe solarify.eu/ee-ausbau-senkt-strompreis-und-co2-emissionen).
Eine Prognose von 40 oder gar 50 Cent, wie sie Woidke befürchtet, geben laut MDR „beide Berechnungen nicht her“. „Also ich kenne niemanden, der 50 Cent die Kilowattstunde seriös prognostizieren würde. Das gibt kein Gutachten der Welt her. Das ist tatsächlich nicht valide“, sagt Graichen dazu.
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