Die Ergebnisse der Kohlekommission sind beides: klimapolitisch ungenügend und gesamtpolitisch verantwortungsvoll
Dass sich die Kohlekommission nach hartem Ringen auf einen fast einstimmig verabschiedeten Kompromiss verständigt hat, ist ein politischer Fortschritt im zähen Kampf des Kohlelandes Deutschland mit sich selbst. Der Kompromiss ist auch ein Signal zur Handlungsfähigkeit der liberalen Demokratie in den großen und schwierigen Fragen. Daran gab es im Vorfeld berechtigte Zweifel. Gleichzeitig hinterlassen die Ergebnisse einen bitteren Beigeschmack. Jedenfalls bei allen, die vor der Dynamik des Klimawandels und seinen Folgen nicht die Augen verschließen. Ein Kommentar von Gerd Rosenkranz, veröffentlicht von der Heinrich Böll Stiftung am 26.02.2019. – Mit freundlicher Genehmigung –
Der Weg der Kommission – politisch pragmatisch und sachlich unangemessen
Der bittere Beigeschmack rührt vor allem her von der klimaphysikalischen Unangemessenheit der Kommissionsvorschläge.
Zunächst ein Blick auf die Frage der Strukturentwicklung in den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen, mit der sich die Kommission, ungleich länger und tiefgründiger beschäftigt hat als mit dem Ausstiegsfahrplan selbst. So, wie die Kommission den Abschied von der Kohleverstromung vorzeichnet, werden die tatsächlichen, möglichen und die nur unterstellten Härten, die aus ihm in den Braunkohlerevieren, an den Kraftwerksstandorten, in den betroffenen Unternehmen und bei den Stromverbrauchern entstehen oder entstehen könnten mit vielen Milliarden Euro abgefedert. Man kann dies in manchen Details beklagen, etwa weil ein sehr teurer Ausstieg für andere Länder mit kohlebasiertem Energiesystem nur bedingt als Blaupause taugt und auch weil ein hohes Risiko besteht, dass die herbeigerechneten Kosten des Kompromisses in Gänze der Energiewende angelastet werden, was nicht zutrifft und doch schon geschieht.
Denn zum Teil handelt es sich bei den avisierten Mitteln für die Kohleregionen mitnichten um Kosten, sondern um nützliche Modernisierungsinvestitionen in den Standort Deutschland, zum Teil auch um Gelder, die dem Auftrag des Grundgesetzes dienen, in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Das nun anschwellende Mimimi über die angeblich uferlosen Kosten des Kompromisses stimmen im Übrigen gerade die am lautesten an, die bisher eher nicht mit realitätstauglichen Alternativen aufgefallen sind. Sie setzen sich dem Verdacht aus, lieber weitermachen zu wollen wie bisher.
Auf der anderen Seite verfehlt der im Kommissionsbericht nur vage vorgezeichnete Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung sein Ziel deutlich, wenn man die Emissionsgrenzen zugrunde legt, die das Klimaschutzabkommen von Paris für Deutschland nahelegt. Der Weg, den die Kommission vorschlägt ist so beides: politisch pragmatisch und sachlich unangemessen.
Greta hat recht – ein klimaphysikalisch unangemessenes Ergebnis
Die klimapolitische Zielverfehlung artikuliert in diesen Tagen in einer für alle Erwachsenen beschämenden Prägnanz ein 16-jähriges schwedisches Mädchen, Greta Thunberg. Sie wurde darüber binnen weniger Wochen zur Ikone der internationalen Klimaschutzbewegung. Die gegensätzlichen Emotionen, die Greta Thunberg auslöst, rühren erstens her von der unbezweifelbaren und vollkommenen Unschuld ihrer Generation an dem Schlamassel, auf das die Welt zusteuert und zweitens von der Tatsache, dass wir alle ahnen oder wissen: Sie hat schlicht Recht. Und sie spricht nicht nur für die ganz Jungen, sondern darüber hinaus für alle, die noch nach ihnen kommen. Ihre unverstellte Rigorosität und ihr Alter machen das Mädchen zu einer Hoffnungsträgerin – nicht nur für die eigene Generation.
Denn es stimmt ja: 2038 ist ein indiskutabel spätes Datum für den deutschen Kohleausstieg. Wenn alle Länder der Welt den von der deutschen Kohlekommission vorgezeichneten Weg zu ihrer Richtschnur machen, dann steht das Leben auf der Erde, wie wir es kennen, zur Disposition. Dennoch fällt die Reaktion der Klimaschutz-Community insgesamt verhalten aus und das liegt nur vordergründig daran, dass die Vertreter des Deutschen Naturschutzrings (DNR), des BUND und von Greenpeace allesamt dem Kompromiss zugestimmt haben. Es ist auch nicht die im Kern berechtigte Furcht vor einer weiter zunehmenden Infragestellung der wissenschaftlichen Evidenz des Klimawandels durch den Rechtspopulismus. Man kann hoffen, dass die Realität des Klimawandels diese dumpfe Form der Ignoranz und Realitätsverweigerung schnell als solche entlarvt und zu einem vorübergehenden Phänomen macht.
Der Kohleatlas liefert Daten und Fakten zur weltweiten Nutzung von Kohle. Der Kohleatlas deckt die wahren Kosten der Kohle auf und regt zum kritischen Nachdenken über unser Energie- und Wirtschaftssystem an. Die gute Nachricht: Es geht auch dezentral, ökologisch und sozial gerechter.
Kai Niebert, Präsident des DNR und Kommissionsmitglied, hat die Kompromissbereitschaft der Umweltverbände so auf den Punkt gebracht: „Schlechter Klimaschutz ist besser als gar kein Klimaschutz.“ Dahinter steht auch die Einschätzung, dass ein schlechtes Ergebnis in der aktuellen politischen Lage besser ist als gar kein Ergebnis. Denn ein komplettes Scheitern der Kommission hätte dem dumpfen Furor der Populisten gegen die liberale Demokratie zweifellos neue Nahrung gegeben. Deren Anlässe, das demokratische „System“ zu denunzieren, sind weitgehend beliebig. Seit 2015 waren es die durch Krieg, Vertreibung und Klimawandel ausgelösten Migrationsbewegungen, nun rücken ökologische Fragen, die Klimakrise oder die Luftbelastung in unseren Städten in den Fokus. In der Politik geht es deshalb in diesen Zeiten immer auch darum, das Richtige zu tun, ohne in die von den Rechtspopulisten aufgestellten Fallen zu laufen.
Die Kommission hat Recht – die höhere Weisheit der Schlussabstimmung
In diesem Sinne war es das Verdienst der Kohlekommission, dass sie in prekären Zeiten an bewährten Verfahrensweisen der demokratischen Entscheidungsfindung angeknüpft hat, in deren Zentrum die Fähigkeit zum Kompromiss steht. Das Scheitern der Kommission besteht in der Unangemessenheit ihrer Ergebnisse, die mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung kaum und mit den völkerrechtlich verbindlichen Beschlüssen von Paris nicht im mindesten in Einklang zu bringen sind.
Insofern muss man Hannelore Wodtke, der Vertreterin der von den Braunkohlegruben der Lausitz betroffenen Bürger, dafür dankbar sein, dass sie – als einzige – den in der Kommission am Ende ausgehandelten Kompromiss abgelehnt hat. Mit Ihrem Votum brachte sie die Zumutung auf den Punkt, die darin bestand für etwas die Hand heben zu sollen, von dem alle Kundigen wissen, dass es sachlich unangemessen ist – das aber gleichzeitig die Tür offen lässt für bessere Entscheidungen in der Zukunft. Die Dialektik des Vorgangs besteht darin, dass man auch der Kommission dafür danken muss, dass sie sich dem Votum von Hannelore Wodtke nicht angeschlossen hat.
Es ist deshalb unangemessen und gefährlich, die Einigung in der Kohlekommission als fragwürdigen Erfolg eines irgendwie anrüchigen Korporatismus der alten Bundesrepublik zu denunzieren, wie es vereinzelt geschieht. Denn hinter der zähneknirschenden Akzeptanz dieses in der Sache unangemessenen Votums auch durch die Kommissionsmitglieder aus der Umweltbewegung steht ja die viel größere Sorge vor einer irreversiblen Entwicklung, an deren Ende die radikale Ignoranz siegt, die nicht nur die Realität des menschengemachten Klimawandels bestreitet, sondern die liberale Demokratie insgesamt in Frage stellt. Auf gut Deutsch: Die Kommission hatte auch die anstehenden Wahlen des Jahres 2019 im Blick und tat gut daran. Sie votierte sachlich unzureichend aber gleichzeitig politisch verantwortungsvoll.
Was wäre die Alternative gewesen? Hätte sich das deutsche politische System – vor dem Hintergrund einer existenziellen Frage wie dem Klimawandel – erneut als handlungsunfähig erwiesen, hätte dies dem Marsch in die politische Selbstaufgabe einen enormen Schub gegeben. Um es bis zum Ende zu denken: Schon beim nächsten Mal hätte die radikale Ignoranz möglicherweise mit am Tisch gesessen. So ist es glücklicherweise nicht gekommen.
Nun lautet das Signal, das vom Industrie- und Kohleland Deutschland in die Welt gesendet wird: Nach dem beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie kommt der Einstieg in den Ausstieg aus der Kohle. Wie es nach dem Einstieg in den Ausstieg im Einzelnen weitergeht, ist zwar nicht entschieden. Dass es weitergeht aber schon. Das ist ein Erfolg, aber natürlich auch eine gigantische Herausforderung, die ein Land, das seine Entwicklung zur viertgrößten Wirtschaftsnation der Welt über mehr als ein Jahrhundert vor allem auf Kohle und zeitweise auch auf Atomenergie gegründet hat, nicht mit links erledigt.
Ein Kompromiss ist kein Konsens
Die öffentliche Diskussion, die unmittelbar und wenig überraschend nach der langen Nacht im Bundeswirtschaftsministerium Fahrt aufnahm, zeigt den Unterschied zwischen einem Konsens und einem Kompromiss. Nach einem Konsens herrscht vor allem erschöpfte Ruhe, vorausgesetzt alle wesentlichen Interessen waren an der Konsensbildung beteiligt. So war es nach Fukushima, als aus dem bis dahin erbittert umkämpften rot-grünen Atomausstieg der Jahrtausendwende, der ein Kompromiss unter Ausschluss der damaligen Opposition aus Union und FDP gewesen war, ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens wurde. Es gab nach Fukushima niemanden mehr, der in Deutschland aus einer Pro-Atomkrafthaltung Honig saugen konnte oder wollte, weder politisch noch ökonomisch.
Soweit ist es bei der Kohle noch nicht. Weil ein Kompromiss ein Kompromiss ist und kein Konsens, beginnt mit dem Moment der Abstimmung der Kampf um die Deutungshoheit. Partikularinteressen werden solange lautstark vorgetragen, bis der Kompromiss in seinen wesentlichen Inhalten gefestigt, in diesem Fall gesetzlich oder durch weitere Verhandlungen fixiert ist. So ist es auch diesmal. Denn für den Bericht der Kohlekommission gilt beides: Weder waren alle wesentlichen Interessen eingebunden, insbesondere nicht die parlamentarische und Teile der außerparlamentarischen Opposition, die Kirchen, die entwicklungspolitischen Initiativen oder die Jugend. Noch ist die Umsetzung des Kompromisses politisch und faktisch auch nur annähernd abgeschlossen. Sie beginnt gerade erst, stolpernd, wie bei der derzeitigen Regierung üblich.
Der erzielte Kompromiss der Kommission sichert im besten (und wahrscheinlichsten) Fall den Einstieg in den Kohleausstieg. Er stellt sicher, dass sich immerhin die Energiewirtschaft den Klimaschutzzielen der Bundesregierung für 2030 und 2050 annähert, wenn auch nicht denen von Paris. Und er bietet den betroffenen Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt mehr Planungssicherheit als eine weiter andauernde Hängepartie. Zwar steht der exakte Ausstiegspfad nach 2022 noch nicht fest – zweifellos ein Defizit, das von dieser oder der nächsten Bundesregierung behoben werden muss –, doch der Ausstieg in seiner Substanz wird nach den anstehenden Entscheidungen der Bundesregierung (und des Parlaments) nicht wieder in Frage gestellt werden.
Das ist wichtig, weil so eine neue Dynamik entstehen kann, insbesondere in den Teilen der Wirtschaft, die Klimaschutz bisher vor allem als Bedrohung ihrer Geschäftsinteressen wahrgenommen haben. Es ist absehbar, dass nunmehr alle vorne dabei sein wollen, die beobachten und akzeptieren, dass die Transformation des Energiesystems keine deutsche Marotte, sondern ein globaler Megatrend ist. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Der Nachwuchs setzt elementare Zukunftsperspektiven auf die Tagesordnung
Das gilt im Übrigen nicht nur für die Wirtschaft, sondern mehr noch für die Politik. Natürlich darf und wird auch die Klimaschutzbewegung nicht in ihrem Engagement nachlassen, allein schon deshalb nicht, weil der von der Kommission für Deutschland vorgeschlagene Ausstiegspfad die internationalen Klimaziele, zu denen sich die Bundesregierung in Paris verpflichtet hat, absehbar klar verfehlt. Insofern liegen diejenigen falsch, die die Zustimmung der Vertreter der Umweltverbände zu dem vereinbarten Kompromiss umgehend als Stillhaltezusage missverstehen wollen. Das Ansinnen einer „Friedensfrist bis 2038“ ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls handelt es sich um eine Aufforderung zum Bruch internationaler Klimaschutzvereinbarungen durch Deutschland.
Trotzdem steht die Klimaschutzbewegung, die aus vielerlei Gründen bisher nie die politische Wucht der früheren Anti-Atomkraft-Bewegung erreichen konnte, vor einer Zäsur. Sie muss auf Erweiterung aus sein, um gesellschaftlich dominant zu werden. Die Chancen dazu stehen besser denn je. Erstens: Die klimapolitische Jugendbewegung, zu deren Ikone Greta Thunberg wurde, stellt die Generationenverantwortung der Politik erfolgreicher in den Mittelpunkt als es alle Appelle der Erwachsenengeneration bisher vermocht haben. Jugendliche fordern das Engagement ihrer Eltern. Sie sollen der Verantwortung für ihre Kinder nachkommen, nicht nur, wenn es um die Mathe-Nachhilfe geht, sondern auch, wenn elementare Zukunftsperspektiven des Nachwuchses auf der Tagesordnung stehen. Das ist großartig, weil es das in dieser Form noch nicht gab. Zweitens wachsen die Chancen für eine Klimabewegung aus der Mitte der Gesellschaft, weil der Klimawandel nun auch in unseren Breitengraden für jedermann und jedefrau spürbar den Alltag berührt. Die eigentlich banale Einsicht, dass niemand mit den Gesetzen der Physik verhandeln kann, wird zum Allgemeingut.
Die Kraft des immer mehr Faktischen
Der Kohlekompromiss ist vermutlich einer jener Durchbrüche, die erst im Rückblick als solche wahrgenommen werden. Er kam zustande, weil auf der einen Seite die Vertreter des Klimaschutzes in der Kommission am Ende mit großer Mehrheit auf die langfristige Dynamik eines gemeinsamen Beschlusses setzten und dem propagandistischen Reiz einer im Ergebnis symbolischen Verweigerung ohne Folgewirkungen widerstanden. Und er kam auf der anderen Seite zustande, weil die Energiewende-Skeptiker in der Kommission fürchten mussten, dass ihre Möglichkeiten, die Transformation aufzuhalten, mit jedem weiteren Jahr der Blockade schrumpfen würden.
- Erstens, weil die Mitte der Gesellschaft den Kohleausstieg mit jedem neuen Extremwetterereignis, wie zuletzt dem Trocken- und Hitzesommer 2018, vehementer einfordert.
- Zweitens, weil die vormaligen Volksparteien mit jedem weiteren Nachweis ihrer klimapolitischen Handlungsunfähigkeit stärker Gefahr laufen, zwischen der völkisch-nationalen Ignoranz und einer ökologisch gestimmten Mitte zerrieben zu werden.
- Und drittens, weil auch immer mehr Verantwortliche in der Wirtschaft die Energiewende als weltweites Phänomen wahrnehmen, bei dem Dabeisein fast alles ist.
Am Ende war das Spiel auf Zeit für niemanden am Tisch mehr eine erfolgversprechende Option. Aber: Es läuft die Nachspielzeit. Bitte konzentriert die Uhr runterlaufen lassen.
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