Rohstoff CO2
Ausgerechnet CO2 könnte der chemischen Industrie helfen, ihre Klimabilanz zu verbessern. Mit Energie aus Erneuerbaren Quellen könnte es sich in Komponenten für Kunststoffe und andere Produkte einbauen lassen – wenn sich dafür geeignete Ken und Produktionsverfahren finden. Danach suchen Forscher um Walter Leitner am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr und Professor für Technische Chemie an der RWTH Aachen. Ein Text von Peter Hergersberg, Redaktionsleiter von MaxPlanckForschung.
Ein Gespräch mit Walter Leitner kann den Blick auf die Welt verändern. Gut möglich, dass man um sich herum dann vor allem eins sieht: Kohlenstoff. Klar, als Element des Lebens bildet er das chemische Rückgrat aller Organismen, ist wesentlicher Bestandteil aller Nahrungsmittel und aller Materialien, die uns die Natur liefert: Holz, Stärke oder Baumwolle. Aber auch Kunststoffe, die Farben unserer Kleidung, Medikamente und Treibstoffe – überall Kohlenstoff. Auch wenn wir diese Produkte für künstlich halten, ohne die Leistung der Natur gäbe es sie nicht.
„Durch die Photosynthese haben Pflanzen vor Jahrmillionen den Kohlenstoff gebunden, den wir heute in Form von Kohle, Erdöl und Erdgas als Energieträger und Rohstoff für die Chemieproduktion nutzen“, sagt Leitner. Doch wenn wir Menschen die Erde in ihrer heutigen Form erhalten wollen, dürfen wir nicht länger auf diese fossile Form des Wirtschaftens setzen. Denn alle kohlenstoffhaltigen Rohstoffe enden über kurz oder lang als CO2, ein Großteil davon in der Atmosphäre, wo es den Klimawandel anheizt. Um ihn einzudämmen, vollziehen viele Volkswirtschaften bereits eine Wende. So wird Strom in Deutschland und weltweit heute zu immer größeren Teilen aus regenerativen Quellen, vor allem aus Windkraft und Photovoltaik, gewonnen. Die Energieversorgung könnte so allmählich von fossilen Ressourcen unabhängig werden, und mehr noch: Sie könnte unabhängig vom Kohlenstoff werden.
„In der chemischen Wertschöpfung werden wir Kohlenstoff aber immer brauchen“, sagt der Chemiker. Er will deshalb dazu beitragen, die Chemieproduktion wenigstens unabhängig von fossilen Kohlenstoffquellen zu machen. Und er setzt dabei ausgerechnet auf CO2 – das Abfallprodukt, das die fossilen Rohstoffe am meisten in Verruf bringt. Walter Leitner und seine Mitarbeiter wollen vor allem Erdöl, da wo es sinnvoll ist, durch CO2 ersetzen und so den Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft mit CO2 ermöglichen.
Den CO2-Fußabdruck der Chemieindustrie reduzieren
„Prinzipiell könnten wir CO2 sogar aus der Atmosphäre zurückgewinnen. Aber selbst in einem nicht-fossilen Energiesystem steht uns CO2 in großen Mengen aus vielen Industrieprozessen zur Verfügung. Wenn wir diese Rohstoffquellen erschließen könnten, würden wir den CO2-Fußabdruck der chemischen Industrie erheblich reduzieren“, sagt der Max- Planck-Forscher.
Das klimaschädliche CO2 zum Rohstoff zu machen, klingt wie eine elegante Lösung, um die Chemieindustrie und das Klima zu versöhnen, ist aber knifflig. Denn CO2 ist chemisch sehr träge, um nicht zu sagen völlig apathisch. Chemisch gesprochen: Der Kohlenstoff trennt sich extrem ungern vom Sauerstoff. Nicht von ungefähr wird CO2 in Feuerlöschern abgefüllt, um Brände zu bekämpfen.
Dabei mangelt es nicht an Substanzen, die den Sauerstoff noch lieber an sich binden als Kohlenstoff. Wasserstoff ist da zum Beispiel noch gieriger. Aber um die Bindung zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff aufzubrechen, bedarf es erst einmal einer erklecklichen Menge Energie. „Aus Sicht des Klimaschutzes ist es daher vor allem dann sinnvoll, CO2 chemisch zu nutzen, wenn diese Energie aus regenerativen Quellen kommt“, sagt Walter Leitner. „Die Technik für solche neuen Schnittstellen zwischen Energie und Chemie entwickeln wir zum Beispiel in Power-to-X.“ Der Max-Planck-Direktor koordiniert dieses vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt, an dem sich Partner aus Wissenschaft, Industrie und aus anderen Teilen der Gesellschaft beteiligen.