Immer mehr sorgen sich ums Klima: CO2-Ausgleich bei Atmosfair steigt

Dilemma des Fliegens

Fliegen schadet zwar dem Klima – gehört aber für viele einfach zum Leben (und Berufsleben) dazu. Ein Dilemma. Klimaschutz bewegt die Menschen und die Politik – das macht sich auch bei der Klima-Kompensationsagentur Atmosfair bemerkbar. Dort gleichen seit einer Weile deutlich mehr Bürger und Unternehmen über Spenden die Treibhausgase aus, die sie mit Reisen verursachen. Man sehe seit dem vergangenen Sommer einen deutlichen Zuwachs, sagte sagte Atmosfair-Mitarbeiterin Julia Zhu am 12.06.2019 der Zeit.

Flughafen Lissabon – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

40 Prozent mehr Ausgleichszahlungen als 2017 (9,5 Millionen Euro) seien 2018 eingegangen. Atmosfair ist einer von mehreren Anbietern, bei denen man Flüge, Kreuzfahrten und andere verursachten CO2-Emissionens „kompensieren“ kann, indem man Geld spendet. Damit werden weltweit Projekte etwa zum Energiesparen oder zur Erzeugung von Ökostrom gefördert. Andere Anbieter sind Klima-Kollekte, Primaklima, myclimate, ClimatePartner, KlimaManufaktur und Arktik.

Spätestens seit Fridays for Future ist das Fliegen bei so manchem verpönt. Tatsächlich hat das aber nur geringe Auswirkungen. Obwohl kaum eine Wortschöpfung je eine so rasante Karriere hingelegt hat wie flygskam. Von Greta Thunbergs Heimat Schweden aus schaffte es die „Flugscham“ als Ausdruck des Unwohlseins über die persönliche CO2-Bilanz nach Deutschland. “Fliegen ist seit Monaten hierzulande ungefähr so populär wie Eisbärenmord, oder? Der Eindruck trügt”, schreibt Felix Wadewitz im Berliner Tagesspiegel. (Siehe: solarify.eu/flugscham-statt-vielfliegerei)

Man kann ja kompensieren. Und das geht so: Urlauber und Geschäftsreisende zahlen den Initiativen einen Ausgleichsbetrag, der dann in Klimaschutzprojekte investiert wird. Dadurch sollen das CO2 und andere klimaschädliche Faktoren des Fliegens an anderen Orten wieder eingespart werden. Die Augsburger Allgemeine hat zur Illustrierung drei klassische Flugrouten unter die Lupe genommen: einen Inlandsflug, einen innereuropäischen Flug und eine Fernreise.

  1. Inlandsflug München-Berlin (Hin- und Rückflug für eine Person): 207 Kilogramm CO2, 10 Euro Kompensation. Zum Vergleich: Ein Jahr Autofahren mit einem Mittelklassewagen und 12.000 zurückgelegten Kilometern erzeugt 2000 Kilogramm CO2.
  2. Innereuropäischer Flug München-Mallorca: 477 Kilogramm CO2, 11 Euro Kompensation. Aufmerksame Leser werden feststellen, dass das trotz mehr als doppelter CO2-Menge nur einen Euro „teurer“ ist. Dazu Atmosfair, man setze „für alle Flüge einen Mindestpreis von 5 Euro für einfache Flüge und 10 Euro für Hin- und Rückflüge an, damit das Thema ‚Flugverkehr und Klima‘ ernst genommen wird.“ Ein geringerer Beitrag, glaubt man, suggeriere, Kurzstreckenflüge seien für die Umwelt unproblematisch.
  3. Fernreise München-New York: 3.239 Kilogramm CO2, 75 Euro Kompensation. Zum Vergleich: Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen, mit dem die Auswirkungen des Klimawandels in verträglichen Grenzen gehalten werden kann, liegt bei 2.300 Kilo CO2 pro Jahr.

Auf ihrer Homepage erklärt Atmosfair: „Der Emissionsrechner setzt einen Preis von 23 Euro pro Tonne Kohlendioxid an. Diese 23 Euro werden aktuell benötigt, um eine Tonne CO2 in hochwertigen Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern einzusparen.“ Die Organisation betont jedoch, dass finanzielle Kompensation allein nicht zielführend sei, „sondern ist nur ergänzend zur notwendigen CO2-Reduktion an der Quelle durch Innovation und Verbreitung der nötigen Technologien und Verhaltensweisen.“

Fliegen klimaschädlichste Fortbewegung

Fliegen gilt als besonders schädlich fürs Klima. Das liegt auch daran, dass Flugzeuge das CO2 in großer Höhe ausstoßen, wo es dem Umweltbundesamt zufolge etwa dreimal so stark Einfluss auf das Klima nimmt wie die gleiche Menge aus einem Autoauspuff.  2018 haben die Passagierzahlen im deutschen Luftverkehr um 5,4 Prozent zugenommen. Seit 1990 haben sie sich verdoppelt – in Deutschland sind sie gar um 250 Prozent gestiegen. Das Fliegen ist für die Umwelt fast so gravierend wie der gesamte Autoverkehr. Wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher, wird der Flugverkehr im Jahr 2050 für fast ein Viertel aller globalen Emissionen verantwortlich sein, prognostiziert die Europäische Umweltagentur. Derzufolge werden beim Fliegen pro Passagier und Kilometer 285 Gramm CO2 freigesetzt, beim Autofahren sind es 158 Gramm und beim Zugfahren 14 Gramm.

Der heiße und trockene Sommer 2018 habe die Erderhitzung ins Bewusstsein der Deutschen und nach oben auf die politische Agenda gebracht. „Wir sehen schon seit dem vergangenen Sommer einen deutlichen Zuwachs“, berichtete Zhu laut SPIEGEL über die gestiegene Spendenbereitschaft. In Deutschland rufen Umweltschützer zu Einschränkungen beim Fliegen und zum Umstieg auf klimafreundlichere Verkehrsmittel wie die Bahn auf.

Flugzeug auftanken auf dem Flughafen Barcelona – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Kerosin besteuern!

Dazu kommt, dass Flugbenzin nach wie vor steuerfrei ist. Die scheidende EU-Kommission hat zwar eine europaweite Kerosinsteuer prüfen lassen, eine politische Mehrheit gab es dafür aber nicht. Laut einer ursprünglich geheimen vom Verband Transport & Environment (T&E) öffentlich gemachten Untersuchung für die EU-Kommission könnte der CO2-Ausstoß durch rund zehn Prozent teurere Tickets um elf Prozent gedrückt werden – aus der T&E-Medienmitteilung: „Die Besteuerung von Flugkerosin in Europa würde die Luftverkehrsemissionen um 11% (16,4 Millionen Tonnen CO2) senken und keine Nettoauswirkungen auf Arbeitsplätze oder die Wirtschaft als Ganzes haben, während gleichzeitig jährlich fast 27 Milliarden Euro an Einnahmen erzielt werden, wie ein durchgesickertes Gutachten für die Europäische Kommission zeigt. Die Reduzierung der CO2-Emissionen hätte ähnliche Auswirkungen wie die Entfernung von fast 8 Millionen Autos von unseren Straßen. Laut Transport & Umwelt widerlegt die Studie (die zwar schon 2018 abgeschlossen, aber noch nicht veröffentlicht worden sei) den Mythos der Branche, die Wirtschaft werde irreparabel geschädigt, wenn die Fluggesellschaften verpflichtet würden, Verbrauchsteuern auf den von ihnen verbrannten Kraftstoff zu zahlen. Im Gegensatz zum Straßenverkehr, insbesondere bei Truckern und Autofahrern, haben in- und ausländische Fluggesellschaften in Europa nie einen einzigen Cent Verbrauchsteuer auf Kraftstoff gezahlt. Die Fluggesellschaften werden nicht einmal auf Inlandsflügen besteuert, wo, wie der Bericht zeigt, die Steuerbarrieren 2003 aufgehoben wurden. In Ländern wie den USA, Australien, Japan, Kanada und sogar Saudi-Arabien wird dagegen seit vielen Jahren Flugtreibstoff besteuert.“

Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) lehnt eine CO2-Steuer ab. Der Airline-Verband IATA setzt auf das 2016 verabschiedete, zunächst freiwillige Kompensationsprogramm CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation), dem sich bislang vor allem westliche Staaten angeschlossen haben. Oberhalb des Schadstoff-Niveaus von 2020 muss jedes zusätzliche Gramm CO2 mit entsprechenden Zertifikaten kompensiert werden. Die Organisation rechnet bis 2035 mit einem Aufkommen von 2,5 Milliarden Tonnen mit einem Kompensationswert von annähernd 40 Milliarden Dollar, die an Klimaprojekte fließen sollen. Ab 2021 sollen die Kompensationsmaßnahmen – außerhalb des Flugverkehrs – für Treibhausgasemissionen geleistet werden, doch nur bei jenem Anteil an Emissionen, die ab 2020 zusätzlich entstehen. Auch besteht die Gefahr, dass Emissionen nicht reduziert, sondern nur auf dem Markt gehandelt werden (siehe: solarify.eu/fliegen-ist-der-schnellste-weg-den-planeten-zu-erhitzen).

GEO: Nicht einmal ein Prozent der Emissionen kompensiert

GEO.de-Umweltredakteur Peter Carstens gießt in einer Kolumne („Massentrend CO2-Kompensation? So ernüchternd sind die Zahlen wirklich“) Wasser in den atmosfair-Wein: „Etwas nüchterner sehen die absoluten Zahlen aus: Im vergangenen Jahr hat atmosfair rund 460.000 Flüge kompensiert. Das ist weniger als ein Prozent aller Flüge ab Deutschland. Die Organisation geht davon aus, dass die Zahl der kompensierten Flüge sogar dann unter der Ein-Prozent-Marke bleibt, wenn man alle konkurrierenden Anbieter hinzurechnet. Noch schütterer sehen die Zahlen aus der Vogelperspektive der Airlines aus. Die Lufthansa etwa kooperiert bei der freiwilligen Kompensation mit MyClimate. Die schweizerische Organisation sammelte Ausgleichszahlungen für knapp 16.900 Tonnen CO2 ein. Das waren bei etwas mehr als 30 Millionen Flügen der Airline im selben Jahr nur magere 0,06 Prozent der Gesamtemissionen. Es hilft nichts: Preise müssen die Wahrheit sagen. Das Fliegen muss so teuer werden, dass die Klimaschäden in einem halbwegs angemessenen Verhältnis zum Preis des Flugtickets stehen. Warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, zusätzlich eine obligatorische CO2-Kompensation einzuführen? Ein paar Euro extra pro Urlaubsflug sollten selbst bei knapper Urlaubskasse drin sein. Mit einer solchen Abgabe wäre gewährleistet, dass die Fliegerei Geld für lokale, geprüfte Klimaschutzprojekte abwirft.“

Solarify erkennt: Da war die Überschrift dieses Artikels doch wohl etwas zu euphorisch…

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