Die Klima-Passagen aus der Haushaltsrede 2019 von Bundeskanzlerin Angela Merkel
Einen großen Teil ihrer Haushaltsrede vor dem Deutschen Bundestag am 11.09.2019 widmete die Bundeskanzlerin dem Klimaschutz. Dass Deutschland nur 2% der weltweiten Treibhausgase emittiere, entbinde uns nicht von der Verantwortung. Sie bekräftigte noch einmal die Überzeugung, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Erneut räumte sie ein, dass Deutschland die Ziele für 2020 nach menschlichem Ermessen nicht einhalten werde. Eine CO2-Abgabe hielt sie für richtig, man müsse „über die Bepreisung und die Mengensteuerung von CO2-Emissionen Lösungen finden“ und gleichzeitig die Menschen in die Lage versetzen, den Umstieg zu schaffen. Im Klimawandel sei „Nichtstun nicht die Alternative, sondern Tatsache ist, dass wir dann mehr bezahlen werden“. Solarify dokumentiert die Redeteile.
„Es kommt jetzt darauf an, wie wir die Aufgabe des Klimaschutzes einordnen. Ich ordne sie so ein – und das tut auch die Bundesregierung –, dass ich den Klimaschutz als eine Menschheitsherausforderung begreife. Es geht darum, ob wir als Industriestaaten angesichts des Abdrucks an Ressourcenverbrauch, den wir hinterlassen haben, bereit sind, an vorderer Front etwas dafür zu tun, damit wir diesen Fußabdruck überwinden und den Temperaturanstieg stoppen oder zurückdrehen. Das ist unsere Verantwortung, weil wir sehr viel CO2 und andere klimaschädliche Gase bereits emittiert haben. Wer der Meinung ist, dass, weil wir nur zwei Prozent der Emissionen verursachen, diejenigen Länder, die die übrigen 98 Prozent der Emissionen verursachen, sich darum kümmern sollen, der irrt meiner Meinung nach. Aber diese Grundentscheidung, ob wir diese Verantwortung haben oder ob wir sie nicht haben, müssen wir miteinander treffen.
Wir müssen auch die Grundentscheidung treffen, ob wir das Risiko eingehen wollen, zu sagen: „Der Klimawandel ist gar nicht menschengemacht, vielleicht vergeht das alles“, oder ob wir der Meinung sind: Es gibt so viel Evidenz dafür, dass der Mensch mit dem Klimawandel etwas zu tun hat, dass wir verpflichtet sind, mit Blick auf die zukünftigen Generationen auch zu handeln. Das ist die Herausforderung. Dabei setzen wir auf Innovation, auf Forschung, auf unser Zutrauen, dass wir, wie wir es immer getan haben, gute technische Lösungen finden, und dabei setzen wir auf die Mechanismen der Sozialen Marktwirtschaft.
Wir haben vieles in Gang gebracht: Wir haben die Energiewende begonnen, wir haben im Industriebereich den Zertifikatehandel. Wir haben unsere Klimaziele 2010 eingehalten. Aber wir müssen sagen: Die selbstgesetzten Ziele für 2020 werden wir nach menschlichem Ermessen nicht einhalten. Deshalb müssen wir Vorsorge treffen, dass wir verlässlich unsere Ziele für 2030 einhalten.
Was ist das Erfolgsrezept gewesen, um Innovation und menschliche Antriebskraft, menschliche Kreativität, menschlichen Forschergeist zu inzentivieren? Das waren immer die Mechanismen der Sozialen Marktwirtschaft. Deshalb ist das Thema der Bepreisung nicht irgendeine Auflage auf irgendetwas drauf, sondern ein Mechanismus, der mit größter Wahrscheinlichkeit Innovation und Forschung auch dort stattfinden lässt, wo wir als Politiker uns das gar nicht ausdenken können. Deshalb ist es ein richtiger Angang, über die Bepreisung und die Mengensteuerung von CO2-Emissionen Lösungen zu finden und gleichzeitig unterstützend tätig zu sein, um die Menschen in die Lage zu versetzen, den Umstieg zu schaffen. Das heißt nicht, dass der Staat Geld einnehmen soll, sondern er soll dieses Geld den Bürgerinnen und Bürgern so zurückgeben, dass sie diesen Umstieg mit uns gemeinsam schaffen.
Das ist ein gewaltiger Kraftakt, bei dem – das merke ich – Teile der deutschen Wirtschaft zum Teil weiter sind als manche in diesem Hause. Unternehmen denken sehr wohl darüber nach, wie sie CO2-frei produzieren können. Wenn ich mir den Ausbaupfad für erneuerbare Energien anschaue und die Zahl der Unternehmen, die ihre Zulieferer nur noch klimaneutral zuliefern lassen wollen oder nur noch grünen Strom verwenden wollen, dann frage ich mich, ob wir genug grünen Strom haben werden, um überhaupt die Anforderungen in diesem Bereich zu bestehen. Wir müssen – der Wirtschaftsminister tut das – den Ausbau der erneuerbaren Energien aber so machen, dass er auch Akzeptanz bei der Bevölkerung findet. Deshalb vermute ich, dass der Ausbau der Offshorewindenergie eher zunehmen wird. Dann müssen aber auch alle bereit sein, sich für neue Leitungen einzusetzen, und wir müssen auch bereit sein, Gerichtsverfahren und Einsprüche zu verkürzen, um da wirklich voranzukommen.
Wir müssen natürlich auch im Auge haben, dass die Windkraftanlagen im Allgemeinen nicht in den Großstädten aufgebaut werden, sondern in den ländlichen Regionen. Wir müssen verhindern, dass es eine Art – ich sage es jetzt mal etwas mutig – Arroganz derjenigen, die in der Stadt leben, gegenüber denjenigen, die auf dem Land leben, gibt. Wir müssen ein neues Bündnis von Stadt und Land schaffen und vor allen Dingen – erste Ansätze gibt es ja jetzt – die Kommunen, in deren Nähe Windkraftanlagen gebaut werden, auch an dem Gewinn, der daraus entsteht, beteiligen, um Anreize zu bieten. Hierfür werden wir Vorschläge machen.
Eine der großen Herausforderungen ist das Thema des Verkehrs. Unsere Automobilindustrie hat in wirklich beeindruckender Weise immer effizientere Technologien entwickelt. Aber es hat bislang keine Entkopplung der Verkehrsemissionen von dem Wirtschaftswachstum gegeben. Mit dem Wirtschaftswachstum hat die Menge an Verkehr zugenommen und alle Effizienzgewinne sozusagen wieder aufgefressen, was dazu geführt hat, dass wir seit 1990 im Verkehrsbereich keinerlei Reduktion der Emissionen haben.
Deshalb müssen wir hier mit aller Kraft alternative Antriebe voranbringen. Und ja – das haben wir bei den erneuerbaren Energien gesehen –, das wird am Anfang sicherlich auch unterstützende Leistungen erfordern, zum Beispiel bei dem Aufbau der Ladeinfrastruktur. Aber schauen Sie sich heute mal die Ausschreibeverfahren für die erneuerbaren Energien an. Wir sind fast bei Kostendeckung; wir sind fast bei null Subventionen. Das heißt, wir haben als Industrienation die Pflicht, Vorbild zu sein, um diesen Umstieg auch in der Mobilität zu erreichen, und wir haben auch die Pflicht, die Menschen in die Lage zu versetzen, daran teilzunehmen und ihre individuelle Mobilität zu sichern.
Das sind alles keine einfachen Aufgaben; aber ich glaube, es lohnt sich, in diese Aufgaben zu investieren. Deshalb werden wir zu unseren Zielen stehen. Wir werden auch zu unserem Ausbauziel bei den erneuerbaren Energien stehen; wir werden am 20. September Vorschläge machen. Deshalb hat der Bundesfinanzminister auch noch keinen Vorschlag für den EKF, den Klimafonds, gemacht; aber das wird zeitnah erfolgen. Es ist ja sinnvoll, die Klimabeschlüsse und die Besetzung des Energie- und Klimafonds gemeinsam zu behandeln.
Wir haben im Augenblick ein besonderes Problem im Wald. Der Wald kann uns nicht alleine die Klimaprobleme lösen. Aber eine Zerstörung oder ein großer Schaden des Waldes würde uns beim Klimaschutz gerade in die falsche Richtung bringen. Deshalb unterstütze ich die Bundeslandwirtschaftsministerin bei ihren Bemühungen, gerade auch diejenigen, die nachhaltige Forstwirtschaft betreiben, in die Lage zu versetzen, unseren Wald zu retten und so weiter auf einen guten Pfad zu bringen. Dem müssen wir uns verpflichtet fühlen.
Und natürlich – um das auch noch hinzuzufügen – sollten wir nicht den nationalen Klimaschutz gegen den internationalen Klimaschutz ausspielen. Natürlich wird der Entwicklungsminister, wird das Außenministerium, wird das Umweltministerium, werden wir alles tun, um auch international Technologietransfer zu betreiben, Länder in die Lage zu versetzen, Klimaschutz zu machen oder zumindest die notwendigen Anpassungen an die Klimaveränderung vorzunehmen.
Aber das erspart uns eben nicht die eigene häusliche Anstrengung. Das eine muss getan werden – und das andere auch. Eines muss man, wenn dann wieder die Kostenrechnungen gemacht werden, bei all dem noch bedenken: Wenn wir den Klimaschutz vorantreiben, wird es Geld kosten, und dieses Geld ist gut eingesetzt. Wenn wir ihn ignorieren, wird es uns nach meiner Überzeugung mehr Geld kosten, als wenn wir etwas tun. Das ist die Wahrheit. Nichtstun ist nicht die Alternative, sondern Tatsache ist, dass wir dann mehr bezahlen werden.“
->Quelle: bundesregierung.de/breg-de/merkel-im-bundestag-1669624