Politik-Versagen oder Schlamperei?
Einen „massiven Fehler“ prangern 15 Professoren der Verkehrsplanung beim Thema CO2-Bepreisung an. Sie wollen entdeckt haben, dass die Regierung bei ihrer Rechnung die Inflation vergessen hat. Eigentlich soll der – schon von vielen Seiten als zu niedrig kritisierte CO2-Preis laut Klimaprogramm 2030 finanzielle Anreize für ein verändertes Verkehrsverhalten setzen. Doch in einer gemeinsamen Erklärung diagnostizieren die Verkehrsexperten – u.a. aus Dortmund, Wuppertal, Duisburg-Essen und Aachen – gravierende Rechenfehler, so Prof. Christian Holz-Rau von der TU Dortmund, Hauptautor des Papiers.
Laut Holz-Rau „muss der CO2-Preis den Kraftstoff gegenüber dem heutigen Niveau spürbar verteuern. Entspricht die Preissteigerung dagegen der Inflation bzw. der Preissteigerung möglicher Alternativen, besteht kein ökonomischer Anreiz für Verhaltensänderungen. Wenn der Preis der Einkommensentwicklung folgt, sind die Anreize für Verhaltensänderungen äußerst gering und es gibt keinen Anlass für eine Kompensation, denn die Einkommen kompensieren bereits die steigenden Preise“.
10-Cent-Steigerung des Liters Benzin falsch
Selbst die ständig von Politik und Medien wiederholte Aussage, dass der Benzinpreis bis 2025 um 10 ct/l steigen solle, „ist aufgrund der Kostenstruktur des Benzinpreises falsch“, so Holz-Rau. Die 10 Cent seien zwar korrekt, wenn man den CO2-Preis, der 2025 bei 35 €/t liegen soll, einfach nominell auf den Liter Benzin herunterbreche. Aber inflationsbereinigt liege die Abgabenerhöhung dagegen nur bei 2,55 Cent. Das lieg daran, dass die wesentlich höhere Energiesteuer seit 2003 auf den festen Betrag von 78 Cent (inklusive Mehrwertsteuer) festgelegt sei. Durch die Inflation sei sie inzwischen de facto um 20 Prozent gesunken, gegenüber der Einkommenssteuer sogar um 26 Prozent.
Der Benzinpreis (auf den beschränkt sich die Erklärung) ergebe sich aus dem Produkteinstandspreis, den Deckungskosten der Unternehmen, der Energiesteuer sowie der Mehrwertsteuer. Im politischen Zugriff befinden sich die Steuersätze und eine CO2-Bepreisung.
Bei der Energiesteuer (einer „fixen“ Steuer, die seit 2003 65,45 ct/l Benzin beträgt – ohne Mwst.) – finde, anders als bei prozentual festgelegten Steuersätzen, kein selbstständiger Inflationsausgleich statt. Durch die Inflation (seit 2003 durchschnittliche Inflationsrate: 1,46 Prozent) sei die Energiesteuer je Liter seit 2003 real um etwa 20 % gesunken, gegenüber den Einkommen sogar um 26%. Nach den aktuellen Entscheidungen bleibe die Energiesteuer nominal konstant und sinke real (inflationsbereinigt) bis 2025 um etwa 9 % bzw. 6,5 ct/l (einschl. Mwst.).
Liter wird nicht einmal einen halben Cent pro Jahr teurer
Nun erhöhe sich infolge des Klimapakets der Liter Sprit bis 2025 zwar um real 9,04 ct/l, doch nachfragerelevant sei „nicht die Zusammensetzung der Belastung, sondern allein die Gesamtbelastung“. Denn die neue CO2-Abgabe und die Inflationsverluste der Energiesteuer höben einander in der Folge weitgehend auf: 9,04 ct/l – 6,49 ct/l = 2,55 ct/l (zu Preisen von 2019). Holz-Rau: „Die Beschlüsse des Klimakabinetts erhöhen also die Abgaben auf Benzin inflationsbereinigt nicht um 10 ct/l, sondern lediglich um 2,55 ct/l bis zum Jahr 2025, im Durchschnitt also um nicht einmal einen halben Cent pro Jahr.“
Holz-Raus ernüchterndes Urteil: „Der Beschluss und seine Kommunikation führen zu einer eingebildeten Mehrbelastung, die mangels Inflations- und Einkommensbereinigung deutlich höher erscheint als sie ist. Der Beschluss zur CO2-Bepreisung gibt keinen Anreiz zur CO2-Einsparung und keine Begründung für eine Kompensation.“
Erhöhte Entfernungspauschale wirkt stärker in Gegenrichtung
Die erhöhte Entfernungspauschale bedeute zudem ein Vielfaches der geringfügigen Mehrkosten. Denn bei einem Verbrauch von 8 l/100 km und inflationsbereinigten Zusatzbelastungen von 2,55 ct/l bis 2025 stiegen die Kosten nur um 0,20 ct/km. Wer 100 km pendle und dem Spitzensteuersatz unterliege, könne mit fast 280 Euro Steuersenkung rechnen. Sozialer Ausgleich?
„Mich hat schon sehr erstaunt, dass Finanz- und Wirtschaftsministerium diese Effekte nicht präsent hatten“, sagte Holz-Rau Harald Ries von der Hagener Westfalenpost. „Es ist jedenfalls ein massiver Fehler.“ Und wie erklärt er sich den? „Vielleicht liegt es daran, dass in früheren Plänen ein wesentlich höherer CO2-Preis vorgesehen war, da sollten die 35 Euro pro Tonne den Start bilden und bis 180 Euro pro Tonne steigen. Dann wäre die Gesamtbilanz anders aufgefallen.“
Politische Diskussion durch Falsch-Kommunikation in Gefahr
Die aktuelle Falsch-Wahrnehmung bringe die politische Diskussion in Schräglage: „Wenn so eine minimale Erhöhung zum Ende der Fahnenstange erklärt wird, gestaltet sich eine wirksame Lösung sehr schwierig.“ Verständlicher für alle Beteiligen seien außerdem jährliche Zuschläge statt die Betrachtung von Preisaufschlägen über lange Fristen und dies selbstverständlich auf Basis der richtigen Zahlen. Hinzu kämen Schritt für Schritt sparsamere Fahrzeuge, die ohnehin die Kosten der Autofahrer, aber auch die Einnahmen des Staates reduzieren – so die Westfalenpost.
Widerspruch zwischen erfolgreichem Klimaschutz und Steuermindereinnahmen sowie Nutzerkosten
Wenn das Klimaschutzziel 2030 erreicht werde, würden 40 % bis 42 % weniger Kraftstoffe verbrannt, verkauft und bezahlt, erwarten die Studien-Autoren. Eine erfolgreiche Klimapolitik im Verkehr entlaste daher die Autofahrer selbst bei steigenden Kraftstoffpreisen. „So stellt sich die Frage nach einer Kompensation der Mindereinnahmen des Staates aus der Energiesteuer. Die Einnahmen werden in den nächsten zehn Jahren abhängig von der Höhe des CO2-Preises sinken, ab 2050 mit dem Ziel der Nullemission entfällt diese Einnahmequelle nahezu vollständig. Um die Verkehrsinfrastruktur in Zukunft zu erhalten und zu modernisieren, müssen weitere Einnahmequellen erschlossen werden – z. B. durch Straßenbenutzungsgebühren.“
Schlussfolgerungen
„Die beschlossenen CO2?Preise setzen bei erhöhter Entfernungspauschale und inflationsbedingt sinkender Energiesteuer keinen relevanten Anreiz zur Reduzierung der CO2?Emissionen im Verkehr. Erwerbstätige mit hohen Distanzen und Einkommen profitieren sogar. Die Beschlussfassung erfordert eine erneute Diskussion. Dabei gilt:
- Angaben von nominalen Preisen, die weder die Inflation noch die Einkommenssteigerungen berücksichtigen, führen zu einer drastischen Überschätzung der Belastung von Bürgerinnen und Bürgern.
- Das Ausblenden der Energiesteuer und ihrer Inflationsverluste verschärft die Problematik, da der Inflationsverlust der Energiesteuer den CO2?Preis weitgehend aufhebt.
- Die Diskussion mehrjähriger Fristen führt zu einer weiteren Überschätzung der Preissteigerungen. Selbst die nominale Erhöhung um 10 ct/l bis 2025 entspricht einem jährlichen Aufschlag von nur 1,7 ct/l, der inflationsbereinigte Aufschlag von 2,55 ct/l einem jährlichen Aufschlag von nur 0,43 ct/l.
- Eine Senkung der CO2?Emissionen führt zu geringeren Ausgaben für Kraftstoffe. Ein CO2?Preis von real 20 ct/l wird durch eine Verbrauchsminderung von 8 auf 7 l/100 km vollständig kompensiert, ein CO2?Preis von real 50 ct/l durch eine Verbrauchsminderung von 8 auf knapp 6 l/100 km. Sparsamere Autos führen zu sinkenden Ausgaben selbst bei steigenden Benzinpreisen.
- Das Erreichen der Minderungsziele senkt die Einnahmen aus Energiesteuer und CO2?Preis, nach den Zielen für 2050 nahezu auf null. Es bedarf daher einer Kompensationsdebatte zur sinkenden Energiesteuer, zu der die Einführung einer allgemeinen Straßenmaut gehören kann.
Fehleinschätzungen infolge methodischer Defizite
Empfehlendes Fazit der 15 Experten (s.u.) an die Politik: „Die Beschlüsse und die öffentliche Diskussion über höhere Abgaben auf Benzin basieren auf Fehleinschätzungen infolge methodischer Defizite. Wer sachgerechte Entscheidungen treffen und die Bürger beim Klimaschutz mitnehmen will, muss die Energiesteuer einbeziehen, jährliche Zuschläge statt Preissteigerungen über lange Fristen betrachten sowie die Verbindung zur Kostenreduzierung durch sparsamere Fahrzeuge herstellen.“
Die Autoren
- Prof. Dr.-Ing. Christian Holz?Rau (TU Dortmund)
- Prof. Dr.-Ing. Bernhard Friedrich (TU Braunschweig)
- Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich (Universität Stuttgart)
- Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike (TU Dresden)
- Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach (Universität Wuppertal)
- Prof. Dr.-Ing. Carsten Gertz (TU Hamburg?Harburg)
- Prof. Dr.-Ing. Felix Huber (Universität Wuppertal)
- Prof. Dr.-Ing. Tobias Kuhnimhof (RWTH Aachen)
- Prof. Dr.-Ing. Bert Leerkamp (Universität Wuppertal)
- Prof. Dr.-Ing. Wilko Manz (Universität Kaiserslautern)
- Prof. Dr.-Ing. Uwe Plank?Wiedenbeck (Bauhaus?Universität Weimar)
- Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter (Universität Wuppertal)
- Prof. Dr. Oliver Schwedes (TU Berlin)
- Prof. Dr.-Ing. Carsten Sommer (Universität Kassel)
- Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky (Universität Duisburg Essen)
Solarify reibt sich die Augen: Sollten sich die 15 habilitierten Verkehrsexperten nicht irren, was sich vorzustellen schwer fällt, dann liegt hier offenbar ein schwerwiegendes Versagen vor – oder eine Schlamperei, genährt aus Polit-Opportunismus. Immer stärker stellt sich die Frage nach der Kompetenz dieser Großen Koalition.
->Quellen: