„Der Mensch wird aussterben“

Buch des Evolutionsbiologen Kurt Kotrschal

Kurt Kotrschal bezieht Position. Der Mensch interessiert sich vor allem für – den Menschen“, so bewirbt der Wiener Brandstätter-Verlag das Buch des Evolutionsbiologen mit dem Titel: „Mensch – Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“. Der Mensch sei das komplexeste aller sozialen Wesen, sagt Kurt Kotrschal. Verantwortlich sei das menschliche Gehirn: hochgetunt, aber auch störungsanfällig. Für ihn steh fest: Menschen wird es irgendwann nicht mehr geben.

Stößt die menschliche Evolution an ihre Grenzen? Kotrschal glaubt das und bezweifelt, dass Menschen in Zukunft völlig neue Fähigkeiten entwickeln könnten: „Aus Spezialisierungen kommt evolutionär nie etwas Neues, sondern die spezialisierten Arten sterben immer irgendwann einmal aus. Und so wird es uns, so leid es mir tut, auch gehen. Ich hoffe natürlich, dass es noch eine Zeitlang dahingeht.“

Unsere Sucht nach Sinn lässt uns seltsame Konstrukte erschaffen: zweitausend Jahre Selbstüberschätzung mit dem Ergebnis, dass wir uns ernsthaft als „Krone der Schöpfung“ wahrnehmen. Kotrschal rückt dieses Bild zurecht, indem er Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Mensch und Tier vergleicht. Er gibt einen aktuellen naturwissenschaftlichen Überblick über die Verfasstheit des Menschen und zeichnet damit ein gegenwärtiges Bild unserer „Conditio humana“. Trotz aller kultureller Vielfalt teilen Menschen viele ihrer Eigenschaften, entwickeln sich aber dennoch zu unverwechselbaren Individuen. Wir sind irrationale Wesen, höchst sozial und kooperativ – und dennoch bereit zu töten. Widersprüchlich, oder? Der Verhaltensbiologe erklärt das Paradoxon: spannend und mit großem Erkenntnisgewinn.

„Unser Gehirn ist hochgetunt und störungsanfällig“

Kotrschal zeigt sich auch skeptisch, ob das menschliche Gehirn weiter so anwachsen werde wie in der Vergangenheit: „Zweifel sind angebracht, weil bereits jetzt die hohe Leistungsfähigkeit des Gehirns offenbar mit einer hohen Fehleranfälligkeit und einer hohen Störungsanfälligkeit erkauft wird.“ Als Beispiele nannte er mentale Störungen wie Angst- und Essstörungen. „Kaum jemand von uns kommt durchs Leben, ohne einmal in so ein Problem reingefallen zu sein. Und das ist ein starkes Indiz dafür, dass wir schon sehr, sehr hochgetunte Gehirne haben.“

Das menschliche Gehirn sei nicht nur größer, sondern es sei genetisch auch anders aufgestellt. „Wir fahren mit sowas wie einem Formel-Eins-Gehirn durch die Gegend, während unsere Verwandten immer noch mit dem Standard-Motor durch die Gegend tuckern.“ Dieses Gehirn und die hochentwickelte Symbolsprache machten den Menschen aber auch zum „komplexesten aller sozialen Wesen“.

Fast sein gesamtes Berufsleben widmet sich der renommierte Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal der Frage, wie wir zu dem geworden sind, was wir heute sind. Da nur der vergleichende Blick erklären kann, was uns eigentlich zu Menschen macht, erforscht er seit vielen Jahren das Sozialverhalten von Raben, Hunden, Affen und Wölfen: „Ohne Artvergleiche in Anatomie, Physiologie, Verhalten und mentale Anlagen“, so Kotrschal, „wäre es nicht möglich, menschliche Eigenarten aus Stammes- und Individualgeschichte herzuleiten.“

Unser Gehirn habe zwar eine hohe Leistungsfähigkeit erlangt, so Kurt Kotrschal, das werde aber mit „einer hohen Fehleranfälligkeit und einer hohen Störungsanfälligkeit erkauft“. Dieses evolutionäre Erbe bestimme aber nicht unser konkretes Verhalten. Zwar gebe es Universalien, die alle Menschen teilen. „Aber zu glauben, die Universalien versklaven uns und machen uns zu biologischen Automaten, wäre ein völlig falsches Konzept.“ Kotrschal verdeutlichte das am Beispiel der manchmal geäußerten Theorie, die Abwehr von Fremden sei genetisch in uns verankert: „Was wirklich angelegt ist in uns, ist ein Interesse am Fremden. Ob das in freundliche Gastfreundschaft oder in skeptische Abwehr bis in Gewalt geht, das hängt sehr vom sozialen und gesellschaftlichen Kontext ab.“

Klimawandel und der lange Weg, das eigene Leben zu ändern

Kotrschal warnt vor den Folgen des Klimawandels: Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass die Menschen sich beispielsweise an steigende Temperaturen biologisch anpassen könnten. Auf die Veränderungen der ganzen Biosphäre aber – vor allem das Aussterben der Arten, das die ganze Lebensgrundlage verändere – könne der Mensch nicht mit Anpassungen reagieren. „Das wird nicht funktionieren. Die Veränderungen gehen zu rasch vonstatten.“ Auf künftige technische Lösungen zu setzen, sei kurzsichtig und gefährlich. „Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als den mühsamen Weg zu gehen und das eigene Leben und das Leben auf der Welt so zu ändern, dass wir auch unseren Enkeln eine Biosphäre hinterlassen, in der sie leben können und auch wollen.“ In diesem Zusammenhang kritisiert der Evolutionsbiologe die Geisteswissenschaften: „Die Menschenbilder, die die Geisteswissenschaftler geliefert haben, und die abendländische Philosophie der letzten 3000 Jahre hatten letztlich im Kern ein einziges zentrales Programm: nämlich den Menschen zu transzendieren, vom Natur- zum Geisteswesen zu machen und uns von den Tieren und der Natur zu emanzipieren. Und das ist profund schiefgegangen.“ Zwar sei der Mensch unbestritten ein Geisteswesen, aber „unsere Natur zu vergessen“ habe zu Problemen wie Umweltzerstörung und Klimawandel geführt. (Nach: deutschlandfunkkultur.de/evolutionsbiologe-kurt-kotrschal-der-mensch-wird-aussterben)

Kurt Kotrschal: „Mensch: Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“, Brandstätter Verlag, 2019, 320 Seiten, 25 Euro

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