„Thermodynamisches Verbrechen“

Treibstoffe der Zukunft – Elektronen, Moleküle oder ein System? – ein Vortrag von Robert Schlögl

Die Energiewende 1.0 wurde als „Stromwende“ konzipiert und setzt auf eine autarke Nutzung Erneuerbarer Elektrizität (EE). Davon kann nicht genug bereit gestellt werden, um allein das Stromsystem zu defossilisieren. Geschweige denn kann eine angedachte weitgehende Elektrifizierung des stofflichen Energiesystems mit diesen Ressourcen erfolgen. Das Energiesystem zu verkleinern, führt in die Irre. Daher müssen wir EE importieren, was stoffliche Energieträger voraussetzt. Wasserstoff spielt dabei zwar die Rolle des zentralen Bindegliedes, ist aber wohl nur bedingt eine Lösung für Endnutzer von Energie. Die Chemie an Grenzflächen ist die zentrale Wissenschaft und Technologie, die eine Energiewende 2.0 ermöglicht, die lokale EE durch global verfügbare ergänzt. Solarify dokumentiert den Vortrag über diese Problematik von Prof. Robert Schlögl, Direktor der Abteilung Anorganische Chemie am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin sowie Gründungsdirektor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim a.d.R. , am 04.02.2020 im Magnus-Haus in Berlin.

Carbon2Chem - altes Stahlwerk Thyssen - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Carbon2Chem – altes Stahlwerk Thyssen – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Schlögl wandte sich zu Beginn an die Laien unter den Zuhörern: Der Kohlekreislauf in der Natur sei ein „thermodynamisches Verbrechen“. Er liege ungefähr zwischen Geo-, Bio- und Atmosphäre“. Die Erde sei da aber unbesorgt – sie begehe dauernd dieses Verbrechen. Doch wir Menschen hätten nicht bedacht, dass durch die menschlichen Aktivitäten eine Lücke im Kohlekreislauf entstehe. Das sei eigentlich nicht weiter schlimm, die schließe sich in geologischen Zeiträumen, „wir müssen nur etwa 10 Millionen Jahre warten“ – so Schlögl. Zwischendurch ändere sich das Erdklima allerdings „ein bisschen, ganz wenig – aber mit großen, ja  fundamentalen Folgen, so sehr, dass die Erde unbewohnbar werden könnte“. Die drastischen Auswirkungen hätten mehr als zwei Grad Erderwärmung zur Folge. Nur zwei Grad? Eigentlich seien zwei Grad doch kaum etwas, sagen viele, warum so ein Wesen darum machen?

Schlögls Erklärung: Im Kohlenstoff-Kreislauf sei ein Leck entstanden – „dieses Leck, das sind wir selbst“. Der Mensch erzeuge einen Überschuss an CO2 – „ein sehr langsamer Prozess. Also müssen wir nur das CO2 reduzieren, dabei ist Dekarboniserung des falsche Begriff; allen Kohlenstoff könnten wir gar nicht verbannen – eigentlich muss es Defossilisierung heißen.“ Auf die fossilen Energieträger könne man sehr wohl verzichten.

Schlögl erklärte dann die ansteigende Zickzack-Linie auf der bekannten Erderwärmungs-Grafik (u.a. vom Mauna Loa-Observatorium): Das verursachten die Blätter aller Pflanzen auf der Nordhalbkugel, die im Winter abfielen und somit die CO2-Aufnahme verringerten – so entstehe eine „Sommer-Winter-Kurve“. Kleine Einheiten hätten große Wirkungen – wenn das nicht klar sei, kämen viele falsche Entscheidungen heraus.

Die Erneuerbaren stünden nicht immer zur Verfügung – die berühmte Dunkelflaute – also müsse man speichern, doch das sei nicht so einfach – eben ein Dimensionsproblem. Schlögl illustrierte das so: „Stellen Sie sich vor, alle Deutschen würden Tesla fahren. Wenn jetzt alle diese Teslas ans Netz angeschlossen würden – wie lange könnten sie uns mit Strom versorgen? Ganze 25 Minuten. Nun hat das Jahr aber 8.700 Stunden.“

Heute importiere Europa die meiste Energie aus dem Ausland; der Grund: die Kosten. Das Argument sei ja stets, dass die Energiewende nicht teurer kommen dürfe als die heutigen Energiekosten – im Vertrag von COPP21 (Paris) hätten wir aber lediglich unterschrieben, dass unser Energiesystem zu niedrigstmöglichen Kosten (nicht zu gar keinen!) nachhaltig werden solle. Europa importiere im Jahr 311 Millionen Tonnen Öl-Äquivalente – in die EU 211 Mio. t – die Erneuerbaren erzeugten jedes Jahr 40 Mio. t – das bedeute, „dass wir unser Ziel nicht 2050 erreichen werden, sondern erst 2090“.

Doch mehr Windgeneratoren werden das Problem nicht lösen. Obwohl Deutschland fast den billigsten Grünstrom der Welt hat. Dabei sind die physikalischen Bedingungen hierzulande nicht sonderlich – ganz im Gegensatz zu den ökonomischen, die sind laut Schlögl viel besser. Dessen ungeachtet ist Deutschland stark auf lokale Erneuerbare Energien ausgerichtet (Grafik). Aber bei ca. 15% Bruttoenergieanteil kommen lokale Erneuerbare Energien zu einem Ende der Akzeptanz. Zumal kein Plan für die Gestaltung des Ausstiegs aus dem Einspeisetarifmarkt existiere. Im Gegenteil: Projektabläufe würden umgekehrt: Ausstieg aus den konventionellen Energiequellen und dem Verbrennungsmotor zuerst, anstatt eine Erneuerbare Energien-Infrastruktur aufzubauen und dann auszusteigen. Schlögl: „Wenn Sie ein Haus renovieren wollen, reißen Sie es auch nicht zu Beginn ab, um es dann neu aufzubauen.“ Das bedeute den Eintritt in unrealistische Aufbauquoten für lokale Erneuerbare Energien. Der notwendige Import und Handel mit Erneuerbare Energien seien in Wirklichkeit nicht im Plan. Schlögl fragt: „Wenn Erneuerbare woanders her kommen müssen – Gibt es einen realistischen Plan mit klaren Prioritäten für Deutschland?

Dabei werde das Problem, „dass die Lücke in Deutschland ziemlich groß wird, wenn man die Fossilen weglässt, leider immer wegdiskutiert. Es wird vielmehr ins Ausland verlagert.“ Die Energiewende 1.0 müsse durch eine Weiterentwicklung des regulatorischen Ökosystems konsolidiert werden. Die Energiewende 2.0 benötige eine Demonstration auf Weltebene, mit Schwergewicht auf DE („Speicherung“). Wichtig sei die Entwicklung von Projekten für die internationale Energieerzeugung und den internationalen Handel. Dabei müsse beachtet werden, dass die gigantische Menge von 2.300 Kilotonnen Wasserstoff im Jahr gebraucht werde. Das System sei aber nur dann nachhaltig, wenn die Kohlenstoffkreislaufwirtschaft eingeführt werde. Sogenannte blauer Wasserstoff sei dabei „keine gute Idee: wir haben dann zwar eine Wasserstofftechnologie, aber keinen Klimaschutz. Wichtig sind eben zwei Dinge: Die Umstellung auf Wasserstoff und der Klimaschutz. Wasserstoff ist eben nicht immer gut, egal woher er kommt“.

Aber auch bei sehr optimistischer Einschätzung würden wir bis 2050 nicht CO2-frei sein. Die Diskussion im politischen Raum habe mit den wirklichen Gegebenheiten oft wenig zu tun: So berücksichtige kaum jemand, dass die chemische Industrie die größte Energienutzerin in Deutschland sei; an zweiter Stelle stehe die Stahlindustrie, Mobilität und Wärme kämen erst danach.

Ein geschlossener H2-Kreislauf sei mittels Stickstoff möglich, also durch Ammoniak. Auf dem Weg von den Erneuerbaren Energien zum Verbraucher gehen 80 Prozent verloren, nur 20% kommen an. Aber: „Die Natur hat nur 1% Effizienz“, so Schlögl. Nun könne man das von Verbrennungsmotoren emittierte CO2 ja auffangen; dafür gebe es Techniken, aber die seien nicht eben besonders geschickt. „Bäume machen das gratis…“ Aus denen könne man dann wieder Biokohle machen, das sei aber nur zu 50 Prozent sinnvoll. Das Verfahren müsse noch weiter ausgearbeitet werden. Ebenso zu erforschen sei die Kernfusion – erst wenn wir wüssten, dass sie nicht funktioniert, sollten wir mit ihrer Entwicklung aufhören.

Schließlich kam Schlögl auf die Erzeugung Erneuerbarer Energien in Weltgegenden mit besonders positiven Bedingungen dafür zu sprechen – Feuerland im Süden Südamerikas etwa. Dabei dürfe man nicht im kleinen Maßstab vergleichen; man müsse groß denken, im Sinne einer „Econoomy of Scale“. In der o.g. Studie werden hybride PV-Wind-Kraftwerke als Ressource für Erneuerbaren Strom betrachtet. Diese sollten sich in Regionen mit sehr hoher Volllaststundenzahl befinden, um die LCOE der Stromerzeugung und anschließend die LCOE der Elektrolyse zu reduzieren.

Es zeige sich auf der Weltkarte, dass in meist dünn besiedelten Regionen gleichzeitig die Bedingungen für Erneuerbare Energien-Gewinnung besonders günstig seien.

Das Elektroauto sei allerdings keine richtig schlaue Idee. Es sei zwar das effizienteste Fortbewegungsmittel – aber nur für kurze Strecken. Die Wasserstoff-Mobilität dagegen brauche eine neue Infrastruktur; und die müsse hochrein arbeiten, denn bereits die kleinste Verunreinigung bringe die Fahrt zum Stillstand. Daher müssten wir Wasserstoff als Plattform benutzen, als Basiselement für synthetische Kraftstoffe etwa. Die könnten die gleiche Infrastruktur nutzen und seien in einem graduellen Übergang mit den konventionellen Treibstoffen mischbar.

Noch liege der Kapazitätsfaktor (tatsächliche Leistung einer Anlage als Prozentsatz ihrer maximal möglichen Leistung) in Deutschland bei 0,16 – „0,6 wären gut“.

Die Wahl der Antriebsart müsse aus der Sicht des Systems getroffen werden (nicht von Tank-zu-Rad!). Elektronen seien sauber und hochwirksam für den Antrieb, aber sie müssten als chemischen Verbindungen importiert werden: Warum nicht mit (synthetischem) Treibstoff fahren? Warum schwere Batterien mitführen und das elektrische System aufblähen?

Wasserstoff ist der primäre chemische Brennstoff und er ist sauber. Aber seine Speicherung und Verteilung sind Herausforderungen und erfordern eine neue (globale) Infrastruktur: daher Insellösung und Plattform für kompatiblere Ansätze. Der Syn-Kraftstoff ist nicht sauber und stellt eine Lücke im Kohlenstoffkreislauf dar; er ist für den Schwerlastbereich unvermeidlich, er ist mit der bestehenden Infrastruktur kompatibel und der Antriebsstrang kann mit fossilem Brennstoff gemischt werden.

Als Beispiel für einen großen Versuch der Umwandlung von CO2 nannte Schlögl das Projekt Carbon2Chem (C2C) In Duisburg: Dort hätten im Juni 2016 das Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC) gemeinsam mit dem BMBF, dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, der thyssenkrupp AG und 14 weiteren Partnern ein gemeinsames Projekt begonnen, bei dem Hüttengase aus der Stahlproduktion für die Produktion von Chemikalien gereinigt, getrennt und genutzt würden – damit Kohlendioxidemissionen anhaltend verringert werden. Dafür wird Wasserstoff aus einem Elektrolyseur benötigt, der mit Hilfe Erneuerbarer Energien betrieben wird. Der CO2-Ausstoß des Duisburger Thyssen-Stahlwerks, der größten CO2-Punktquelle in Mitteleuropa, soll (und später auch an anderen Stahlstandorten) damit wirtschaftlich nutzbar gemacht und somit ein klimarelevanter CO2-Einspareffekt erreicht werden. Noch habe der Versuch mit seinen 250 Tonnen Umfang „Spielzeugcharakter“, aber er funktioniere, inklusive einer bisher nicht für möglich gehaltenen strompreis-abhängig flexiblen Elektrolyse. Katalyse unter dynamischen Bedingungen funktioniere entgegen bisheriger Lehrmeinung eben doch – der Katalysator werde nicht zerstört, wenn man den richtigen nehme. Allerdings benötige man bei vollem Lauf den Jahres-Strombedarf der Deutschen Bahn an grünem Strom.

Synthetic Fuels, die aus C2C entstehen könnten, „würden künftig einen Diesel-Skandal vermeiden helfen“, so Schlögl. Sie erzeugten weder Rußpartikel noch Stickoxide, bräuchten also keine entsprechenden Filter. Oxymethylenether (OME) etwa erzeuge bei der Verbrennung keinen Ruß, allerdings sei die Energiedichte nur halb so groß wie bei Benzin oder Diesel. „OME gibt es schon, z.B. zu 20% in Nagellackentferner, man könnte also damit Autofahren, das wäre allerdings sehr teuer.“ Besser, so Schlögl: Ein E-Auto mit einem Elektromotor, der von einem OME-Verbrenner mit Strom versorgt wird. „Das alte dieselelektrische Prinzip eben – Schiffe, U-Boote und Panzer fahren so, Dieselloks und große Bagger“.

Das Prinzip der solaren Raffinerie:

„Wir brauchen eine Kombination aus einem Kraftwerk und einer Raffinerie“, sagte Schlögl: „Wir kennen zwar die einzelnen Schritte, Reaktionen und Prozesse, haben aber noch nie alle kombiniert in großem Maßstab gebaut. Wir können das alles. In zehn Jahren sollten wir ein System im großen Maßstab bauen können.“

„Wir bekommen 23.000mal mehr Energie von der Sonne, als wir brauchen; nur Umwandlung und Transport sind die Probleme. Kosten? Etwa ein Jahres-Bruttosozialprodukt der Erde.“

Am Ende seines mehr als einstündigen Vortrags spielte Schlögl „den Ball eindeutig an die Politik“: Warum das, was alles bekannt sei, nicht längst gemacht werde, wisse niemand. Wir bräuchten einen Plan, „nicht ein ‚Klimakabinett‘.“

Zur Person: Robert Schlögl, geboren 1954 in München, ist Direktor der Abteilung Anorganische Chemie am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin sowie Gründungsdirektor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim a.d.R. Schwerpunkte seiner Forschung sind die heterogene Katalyse, insbesondere die Verknüpfung von wissenschaftlicher Durchdringung mit technischer Anwendbarkeit sowie Fragestellungen zur Entwicklung nanochemisch optimierter Materialien für Energiespeicherkonzepte.

->Quellen:

  • PPP-Präsentation © Robert Schlögl
  • eigene Aufzeichnungen, eigene Fotos