EU-Bürgerbeauftragte untersucht fehlende Klimaprüfung fossiler Gas-Projekte

Aktivisten drängen auf Überprüfung der „Liste von gemeinsamem Interesse“

Die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly hat am 13.02.2020 angekündigt, sie habe eine Untersuchung des Katalogs vorrangiger Energie-Projekte der Europäischen Kommission – die so genannte vierte EU-Liste der Projekte von gemeinsamem Interesse (PCI) – eingeleitet, nachdem grüne Aktivisten eine Beschwerde über die Aufnahme neuer Gas-Infrastrukturen in die Liste eingereicht hatten. In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bat sie um Klarstellungen bezüglich der Aufnahme von Gasprojekten in die Liste. So Sam Morgan auf EURACTIV.com am 14.02.2020.

Öl- und Gaslager im Hafen von Barcelona – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Untersuchung ist ein direktes Ergebnis einer offiziellen Beschwerde, die Andy Gheorghiu, Politik-Berater bei Food & Water Europe (F&W), einer Umwelt-NGO mit Sitz in Brüssel, am 29.10.2019 bei der Bürgerbeauftragten eingereicht hat. Food & Water Europe sind nicht die ersten, die gegen die Liste Einwände haben: eine Vielzahl von NGOs haben sich dagegen ausgesprochen, ebenso wie der Hollywood-Schauspieler Mark Ruffalo. Trotz des zunehmenden Drucks auf die Europäische Kommission, zusätzliche Einrichtungen für fossile Brennstoffe zu vermeiden, verabschiedete sie den Delegierten Rechtsakt, der die vierte Liste von PCI-Projekten enthält – unter Missachtung der überwältigenden wissenschaftlichen Beweise für die negativen Auswirkungen von fossilem Gas auf das Klima.

Jedoch scheint die Antwort, welche die Kommission F&W geschickt hat, die Bürgerbeauftragte jetzt zum Handeln bewegt zu haben. „Aus der Antwort der Kommission an die Beschwerdeführer geht klar hervor, dass die Kommission begonnen hat, die Analyseinstrumente und -verfahren zu verbessern, die sie zur Durchführung einer Nachhaltigkeitsbewertung möglicher zukünftiger Gasprojekte einsetzt“, schreibt O’Reilly in ihrem Brief.

Das Europäische Parlament hatte am 12.02.2020 der Liste zugestimmt, die 55 fossile Gasprojekte umfasst, von denen einige direkt mit importiertem Fracking-Gas aus den Vereinigten Staaten verbunden sind.  Die 4. PCI-Liste ist nach Ansicht von F&W „nicht nur schlechte Politik, sondern steht auch nicht im Einklang mit dem EU-Recht und dem Pariser Abkommen. Bei der Sitzung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) am 17.10.2019 gab der stellvertretende Direktor der GD Energie Klaus-Dieter Borchardt zu, dass das Mandat zur Überprüfung der Nachhaltigkeit von Projekten, die auf der PCI-Liste vorgeschlagen werden, einschließlich der dringend erforderlichen Klima- und Umweltbewertung, seit über sechs Jahren ignoriert wird, was die Rechtmäßigkeit jeder bisherigen Liste, einschließlich der gerade genehmigten, in Frage stellt.

Die Entscheidung der EU-Bürgerbeauftragten ist zwar höchst willkommen, aber der Zeitpunkt ihrer Ankündigung hat Bedenken aufgeworfen. „Die Europäische Kommission wurde nur zwei Tage vor der Abstimmung des Europäischen Parlaments über die PCI-Liste über die Untersuchung der EU-Bürgerbeauftragten informiert, und die Öffentlichkeit erfuhr erst nach der Abstimmung davon“, sagte Gheorghiu. „Das Wissen um die Entscheidung des Ombudsmannes, eine Untersuchung darüber einzuleiten, ob die PCI-Liste nicht mit dem EU-Recht und den Klimazielen übereinstimmt, hätte die Entscheidung vieler Abgeordneter beeinflusst, diese Liste abzulehnen und zur Überprüfung an den Absender zurückzuschicken.“

Klimaaktivisten fordern die EU-Kommission auf, keine tatsächliche Finanzierung für eines der Projekte für fossile Brennstoffe auf der aktuellen Liste zu gewähren, bevor nicht eine ordnungsgemäße umfassende Klimaprüfung durchgeführt wurde.

„Man kann [es] als Eingeständnis verstehen, dass es Mängel in Bezug auf frühere Nachhaltigkeits-Bewertungen des PCI-Status gab“, erklärte die Bürgerbeauftragte. Sie will sich darauf konzentrieren, ob und wie die Kommission die Nachhaltigkeit bei der Erstellung der Liste überhaupt berücksichtigt hat. Zu diesem Zweck fordert die EU-Aufsichtsbehörde die Dienststellen der Kommission auf, zu erklären, wann sie zum ersten Mal erkannt haben, dass die Nachhaltigkeitsbewertung einer Überprüfung bedurfte und ob die Gasprojekte jemals die in der speziellen Verordnung der PCI-Liste enthaltenen Kriterien erfüllt haben.

Nach dieser Rechtsvorschrift muss ein Projekt nur eines von vier Kriterien erfüllen, um für einen Platz auf der Liste in Frage zu kommen: Marktintegration, Versorgungssicherheit, Wettbewerb und Nachhaltigkeit. Dies könnte „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit der EU untergraben, die PCI-Liste in einer Weise zu erstellen, die mit den energie- und klimapolitischen Zielen der EU übereinstimmt“, warnte die Bürgerbeauftragte in dem Schreiben. Die EU-Exekutive hat jetzt bis zum 31. März Zeit, um eine schriftliche Antwort zu geben.

PCI-Versprechen

Die Mitglieder des EU-Parlaments haben am 12.02.2020 in großer Zahl für die vierte PCI-Liste gestimmt und damit einen von den linken GUE/NGL-Fraktionen unterstützten Einspruch der Grünen wurde, abgewiesen. Eine Mehrheit aus vielen anderen Fraktionen hatte sich zusammengeschlossen, um die Resolution mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Energieversorgungssicherheit und der Vollendung der Energieunion des Blocks abzulehnen.

Pascal Canfin, ein französischer Abgeordneter, der den Vorsitz im Umweltausschuss des Parlaments innehat, setzte sich für die vierte PCI-Liste der Kommission ein und lobte das Versprechen des EU-Klimachefs Frans Timmermans, nur Projekte zu finanzieren, die mit den Klimazielen der EU übereinstimmen. Der Franzose betonte auch die Bedeutung der Projekte für erneuerbare Energien auf der Liste und argumentierte, dass diese nicht länger hinausgezögert werden sollten.

Studie warnte: Milliardenausgaben für „unnötige“ Gasprojekte

Europa braucht keine neue Gasinfrastruktur, um die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten, so das Ergebnis einer neuen Studie des Beratungsunternehmens Artelys im Auftrag der European Climate Foundation (ECF). Stattdessen bestehe eher das Risiko, dass 29 Milliarden Euro für 32 größtenteils „unnötige“ Gasprojekte verschwendet werden könnten, schreibt Frédéric Simon am 20.01.2020 auf EURACTIV.com.

Doch der grüne Europaabgeordnete Bas Eickhout erwiderte auf Twitter, dass der von Timmermans verfochtene Europäische Green Deal kein völliges Verbot von Gas vorschlägt, und kritisierte Canfin, weil er „die Gelegenheit verpasst habe, eine Linie zu ziehen“. Nach der Niederlage der grünen Resolution begrüßte Eickhout das Engagement der Ombudsfrau in dieser Frage und sagte, „das Parlament habe es versäumt, von seinen Kontrollbefugnissen Gebrauch zu machen“.

Das Europäische Umweltbüro (EEB), eine grüne Kampagnengruppe, erklärte gegenüber EURACTIV, dass die Abstimmung des Parlaments „die Klimabilanz der EU ernsthaft in Frage stellt“, begrüßte aber Timmermans‘ Zusage und O’Reillys Untersuchung als „zusätzliche Versicherung“.

Energiekommissarin Kadri Simson hat zudem bestätigt, dass sie beabsichtigt, im Laufe dieses Jahres eine Überprüfung der TEN-E-Verordnung über die grenzüberschreitende Energieinfrastruktur zu beaufsichtigen, während die Europäische Investitionsbank ihre Gaskriterien ab 2021 verschärfen wird.

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