Politik macht EE das Leben schwer – deshalb braucht es dringend eine EEG-Version 4.0
Dieses Jahr feiern wir das 20. Jubiläum eines der erfolgreichsten Instrumente deutscher Energie- und Industriepolitik: Das EEG trat am 01.042000 in Kraft. Das war wahrlich etwas Neues. Anders als zuvor durch das Stromeinspeisungsgesetz sollten nun alle Erneuerbaren Energien durch gezielte Förderung eine ernsthafte Marktchance bekommen. Und es gelang! Erneuerbare Energien haben schon heute einen Anteil von 40 Prozent und eine Vollversorgung durch Sonne, Wind, Wasser und Biomasse ist längst keine Utopie mehr. Wer hätte das gedacht? Ein Beitrag von Claudia Kemfert, der am 30.03.2020 als Gastbeitrag im Handelsblatt erschienen ist. – mit freundlicher Genehmigung der Autorin –
Als junge Studentin in den 90er Jahren erlebte ich, wie unser Professor die ersten – und aus heutiger Sicht richtigen – Prognosen über die Kostensenkungspotenziale von Erneuerbaren Energien auf einer Konferenz präsentierte. Der Saal lachte ihn aus. Aber heute ist allen das Lachen vergangen. Erneuerbare Energien sind eine ernstzunehmende Konkurrenz – und das auch dank des EEG. Ohne die festen Einspeisevergütungen wäre die Nachfrage nach Erneuerbaren Energien nicht so stark gestiegen, wäre der Wettbewerb in der Produktion nicht so fruchtbar und innovativ gewesen und wären die sogenannten Lernkurveneffekte niemals eingetreten. Dabei schickte man 2000 die Erneuerbaren Energien in einen ungleichen Kampf. Zwar durften sie Teil des zukünftigen Energiesystems sein, aber es gab keine wirklich fairen Marktbedingungen.
Erneuerbare Energien sagen die Wahrheit
Während bis dahin (und auch bis heute) die Energiegewinnung aus Kohle und Atom in erster Linie durch staatliche Subventionen und Steuererleichterungen gefördert wurde und somit beim Endverbraucher verbilligt ankam, musste Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse von Anfang an komplett vom Endkunden finanziert werden. Erneuerbare Energien sagen die Wahrheit. Maximale Kostentransparenz. Bis heute.
Da war es nicht schwer, sie schlechtzureden. Auch das passiert bis heute. Erneuerbare Energien werden als zu unstet, zu zappelig, zu geisterhaft und als unzuverlässig bezeichnet, aber vor allem sollen sie angeblich eines sein: zu teuer. Vor allem dieses Argument wird mit großer Vehemenz vorgetragen, während gleichzeitig die wahren Kosten der herkömmlichen Energien verschleiert werden, etwa die Kosten durch den Kohleabbau, die Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die Verbrennung fossiler Energien oder die Kosten der Endlagerung von atomaren Müll. Auch fehlen in den Vergleichsrechnungen gern die Kosten für den Import von fossilen Energien und Uran – ganz zu schweigen von den politischen Kosten der Energieabhängigkeit von autoritären Anbieterstaaten.
Im Jahre 2000 war es schlicht undenkbar, dass die Erneuerbaren Energien diesen ungleichen und unfairen Kampf irgendwann gewinnen könnten. Heute wissen wir: Sie haben ihn gewonnen! Die Kosten der Technologien sinken rapide, die Marktdurchdringung funktioniert.
Ja, es stimmt, die anfangs hohen Entwicklungskosten wurden per Gesetz über den Strompreis finanziert. Das ist vielen Volkswirten ein Dorn im Auge, da hier mit angeblich „horrenden Summen“ in den Markt eingegriffen wurde. Die hohen Summen, mit denen fossile und Atomkraftwerke über die Jahrzehnte gefördert wurden, geraten darüber schnell in Vergessenheit.
Blackout-Mythos wird immer wieder heraufbeschworen
Die Erneuerbaren wurden keineswegs freundlich empfangen. Noch heute sind sie in der rückwärtsgewandten Energiebranche das ungeliebte Kind – mit immer denselben Argumenten. Schon im Jahre 1993 hat die Energiewirtschaft in großflächigen Anzeigen vor den Erneuerbaren Energien gewarnt: „Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken.“
Dem damals virulenten Horror-Szenario eines atomaren Super-GAUs wurde das noch viel größere Horrorszenario eines Deutschland ohne Licht entgegengesetzt: Albtraum Blackout. Heute stammen über 40 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien. Das deutsche Stromsystem ist eines der sichersten weltweit. Trotzdem wird mit dem Schlagwort „Dunkelflaute“ der 40 Jahre alte Blackout-Mythos immer wieder heraufbeschworen. Und noch etwas bleibt immer gleich: Seit Beginn werden die Erneuerbaren Energien gemobbt. Sie sind der Sündenbock für alles: steigende Strompreise, „überschüssigen“ Strom, Windparks vor der Haustür, überteuerte Netze und so weiter.
In zwei Büchern habe ich mich ausführlich mit solchen Mythen auseinandergesetzt, die mit privatwirtschaftlich finanzierten Studien ohne ernsthaften Diskurs und mit aufwändigen Kampagnen unermüdlich in die Öffentlichkeit getragen werden. Leider findet der Fake dadurch mehr Gehör als die Fakten. In zahlreichen wissenschaftlichen Fachaufsätzen habe ich zusammen mit meinem Team am DIW Berlin und einigen Universitäten die Energiesystemkosten eines mehr und mehr auf Erneuerbare Energien basierenden Energiesystems detailliert erforscht.
Fakt ist: Durch die Einspeisung Erneuerbarer Energien wurde der Strompreise an der Börse gesenkt, profitiert haben vor allem Großabnehmer wie die Industrie. Erneuerbare Energien senken den Strompreis an der Börse, da dort die variablen Grenzkosten entscheidend sind. Und die sind bei den Erneuerbaren Energien null! Sprich: Wenn eine Windanlage oder Solaranlage installiert ist, braucht man weder Kohle oder Uran als Treibstoff, sondern nutzt die Energie der Sonne. Und die schickt keine Rechnung. Außer geringen Wartungsarbeiten gibt es keinerlei Kosten.
Energiewende hilft uns, hohe Kosten zu vermeiden
Der dadurch deutlich sinkende Strombörsenpreis kommt aber nicht bei den Verbrauchern an, da sich die sogenannte EEG-Umlage aus der Differenz der Vergütungssätze der Erneuerbaren Energien und dem Strompreis errechnet. Je niedriger der Börsenstrompreis, desto höher die EEG-Umlage. Es ist dieser Rechenmechanismus, der übrigens im Jahre 2009 durch die damalige schwarz-gelbe Regierung eingeführt wurde, der zu einer massiven Steigerung der EEG-Umlage geführt hat. Erstaunlicherweise lamentieren eben jene, die diese Änderung eingeführt haben, seitdem über angeblich hohe Kosten der Energiewende durch steigende Strompreise.
Dass damals gleichzeitig ein Großteil der Industrie von den Zahlungen ausgenommen wurde und so alle anderen Stromkunden bis heute noch mehr belastet werden, wird verschwiegen. So entsteht erst durch diesen politischen installierten Effekt der Eindruck, Öko-Strom sei teuer, geradezu ein Luxusgut. Dabei ist es in Wahrheit umgekehrt: Die Energiewende hilft uns, hohe Kosten durch fossile Energien und Atomenergie zu vermeiden.
Je erfolgreicher die Erneuerbaren Energien in den vergangenen 20 Jahren wurden, desto mehr wurden sie ausgebremst. In den letzten zehn Jahren wurden durch Verschlimmbesserungen des EEG die Rahmenbedingungen stetig verschlechtert – mit teilweise dramatischen Folgen: Der Markt ist zusammengebrochen, der Windenergieausbau ist zum Erliegen gekommen, der Solarenergiezubau ist weiterhin gedeckelt. Es fehlen effektive Maßnahmen für eine dezentrale Energiewende samt Speicher und intelligenter Steuerung. Obwohl (oder weil?) die Erneuerbaren Energien sich immer mehr im Markt behaupten, wird ihnen auf politischer Ebene das Leben schwer gemacht.
Investitionen in Zukunftstechnologien und die damit verbundenen indirekten positiven volkswirtschaftlichen Effekte durch Wertschöpfung und Arbeitsplätze werden erst langsam erkannt. Durch die Verknüpfung mit Digitalisierung lassen sich weitere Fortschritte machen. Zwanzig Jahre nach der ersten EEG-Version bräuchte es dringend ein EEG 4.0! Anders als das herkömmliche, ist ein auf Erneuerbare Energien basierendes Energiesystem flexibel, dynamisch, intelligent und dezentral. Die Investitionen in digitale Zukunftstechnologien würden innovative klimafreundliche Technologien entstehen lassen und globale Wettbewerbsvorteile generieren.
Inzwischen sind die Anforderungen durch den Klimawandel gestiegen. Nach dem jüngst beschlossenem Kohleausstieg ist es Zeit für eine Neubesinnung auf das wesentliche Ziel: eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien und fairen Marktbedingungen für alle im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland sind als Team gefordert. Vor uns liegt noch ein weiter Weg, den wir endlich beherzt angehen sollten. Das EEG war ein guter Anfang. Darauf können wir stolz sein!
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