Supraleitung bei Raumtemperatur
Wissenschaftler vom Center for Energy Science and Technology des Skoltech (Skolkovo Institute für Wissenschaft und Technologie) und vom MIPT (Moskauer Institut für Physik und Technologie) haben auf der Suche nach Supraleitung bei Raumtemperatur ein neues „Gesetz in einem Gesetz“ entdeckt (und in Current Opinion in Solid State & Materials Science veröffentlicht), das einen Zusammenhang zwischen der Position eines Elements im Periodensystem und seinem Potenzial zur Bildung eines hochtemperatur-supraleitenden Hydrids herstellt.
Die Raumtemperatur-Supraleitung ist mit der Entdeckung neuer chemischer Verbindungen auf der Basis von Thorium und Wasserstoff, die Elektrizität bei relativ hohen Temperaturen ohne Widerstand leiten, einen Schritt näher gerückt. „Dies ist ein bekanntes materialwissenschaftliches Problem, um Materialien für supraleitende Bauelemente zu finden, die keine Kühlung benötigen“, erklärt der Erstautor der Studie, Dmitry V. Semenok vom Skolkovo Institute of Science and Technology Skoltech.
Vor fast 100 Jahren wurde vorhergesagt, dass Wasserstoff, das am häufigsten vorkommende Element im Universum, unter sehr hohem Druck eine metallische Phase bilden könnte. In jüngerer Zeit wurde es für möglich gehalten, dass ähnliche Eigenschaften bei niedrigeren Drücken in wasserstoffreichen Verbindungen – Metallpolyhydriden – gefunden werden könnten. Nun ist es einem Team russischer Wissenschaftler unter der Leitung von Artem R. Oganov und Ivan A. Troyan vom Shubnikov-Institut für Kristallographie zusammen mit Kollegen an der National Research Nuclear University, P. N. Lebedev Physical Institute, und der ID27 High Pressure Beamline in Grenoble, Frankreich, gelungen, zwei neuartige Thoriumhydrid-Verbindungen mit hohen supraleitenden Übergangstemperaturen (oder „kritischen“ Temperaturen) von bis zu 161 K zu synthetisieren, deren Existenz sie mit Hilfe eines evolutionären Computeralgorithmus namens USPEX vorhergesagt hatten.
Widerstandsfreie supraleitende Materialien, die somit keine Energie in Wärme umwandeln, wären für unsere elektronischen Apparaturen und Stromnetze äußerst nützlich. Supraleitende Magnete werden bereits in MRT-Maschinenvon Krankenhäusern und Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider am Genfer CERN verwendet.
Im Moment gibt es zwei Möglichkeiten, Supraleitung zu erreichen, beide in Extrembereichen: sehr niedrige Temperaturen oder sehr hohe Drücke. Einige der „wärmsten“ Supraleiter der ersten Art, die Cuprate, müssen noch auf einige 100 K (-173 °C) heruntergekühlt werden, was weit von normalen Bedingungen entfernt ist. Vorhersagen wollen wissen, dass metallischer Wasserstoff schon fast bei Raumtemperatur supraleitende Eigenschaften zeigen kann; der Haken liegt im dafür erforderlichen Druck – mehr als 4 Millionen Atmosphären, fast an der Grenze unserer technischen Möglichkeiten.
Deshalb beschäftigen sich die Wissenschaftler mit Hydriden, Verbindungen aus Wasserstoff und einem anderen Element. Es hat sich gezeigt, dass sie bei relativ hohen Temperaturen und niedrigeren Drücken als Supraleiter funktionieren. Der aktuelle Rekord von minus 23 °C wurde im vergangenen Jahr für LaH10, Lanthandecahydrid, bei einem Druck von 170 Gigapascal (1,7 Millionen Atmosphären) erreicht. Auch wenn die Drücke immer noch zu hoch sind, um einen praktischen Einsatz zu ermöglichen, hat die Forschung an supraleitenden Hydriden bereits wichtige Auswirkungen auf andere Klassen von Supraleitern, die bei normalem Druck und normaler Temperatur funktionieren könnten.
Skoltech-Doktorand Dmitrii Semenok und Skoltech- und MIPT-Professor Artem R. Oganov haben zusammen mit ihren Kollegen eine Regel gefunden, die es erlaubt, die maximale supraleitende kritische Temperatur, maxTC, für ein Metallhydrid vorherzusagen, die nur auf der elektronischen Struktur der Metallatome basiert. Damit wird die Suche nach neuen supraleitenden Hydriden einfacher.
„Der Zusammenhang zwischen Supraleitung und dem Periodensystem war anfangs rätselhaft. Wir sind uns immer noch nicht ganz sicher über ihren Ursprung, aber wir glauben, dass dies daran liegt, dass die Elemente an der Grenze zwischen s- und p- oder s- und d-Elementen (ungefähr zwischen der 2. und 3. Gruppe des Periodensystems) eine elektronische Struktur haben, die ungewöhnlich empfindlich auf das Kristallfeld reagiert, und dies ist perfekt für die Elektron-Phonon-Kopplung, die die Ursache für die Supraleitung in Hydriden ist“, sagte Artem R. Oganov, Koautor der Arbeit.
Neben der Entdeckung einer qualitativen Regel bauten sie auch ein künstliches neuronales Netz auf zur Vorhersage der MaxTC für Verbindungen, für die keine experimentellen oder theoretischen Daten verfügbar waren. Bei einigen Elementen schienen zuvor veröffentlichte Daten zur Tc von Hydriden vom regulären Verhalten abzuweichen. Die Forscher machten sich dann daran, diese Daten mit Hilfe von USPEX, dem von Oganov und seinen Studenten entwickelten evolutionären Algorithmus zur Vorhersage thermodynamisch stabiler Hydride dieser Elemente, zu überprüfen.
„Für Elemente, bei denen die veröffentlichten Werte von maxTc (basierend auf der entdeckten Regel) zu niedrig oder zu hoch waren, führte die Gruppe eine systematische Suche nach stabilen Hydriden durch. Ihre neuen Daten bestätigten die entdeckte Regel und ergaben neue Hydride für Magnesium (Mg), Strontium (Sr), Barium (Ba), Cäsium (Cs) und Rubidium (Rb). Zum Beispiel hat ein vorhergesagtes Strontiumhexahydrid, SrH6, eine maximale Temperaturkonstante von 189 K (- 84° C) bei 100 GPa, während BaH12, ein theoretisches Barium-Superhydrid, eine relativ hohe maximale Temperaturkonstante bis 214 K (- 59° C) haben könnte“, sagte Alexander Kvashnin, leitender Forschungswissenschaftler von Skoltech und MIPT und Mitverfasser der Forschungsergebnisse.
Anfang 2019 synthetisierten Oganov und seine Kollegen aus Russland, den USA und China das Cer-Superhydrid CeH9, das supraleitende Eigenschaften bei 100-110 K und bei einem (relativ) niedrigen Druck von 120 GPa aufweist. Ein weiterer von der Forschungsgruppe (Dmitry Semenok, Ivan Troyan, Alexander Kvashnin, Artem R. Oganov und ihre Kollegen) entdeckter Supraleiter, das Thoriumhydrid ThH10, hat eine hohe kritische Temperatur von 161 K.
„Mit Hilfe der neu entdeckten Regel und des neuronalen Netzes können wir uns jetzt auf komplexere Verbindungen konzentrieren, die in unserem Streben nach Supraleitung bei Raumtemperatur noch vielversprechender sind – ternäre Superhydride, die zwei Elemente und Wasserstoff enthalten. Wir haben bereits eine Reihe von Hydriden vorhergesagt, die es mit LaH10 aufnehmen oder übertreffen können“, sagte der Erstautor der Arbeit, Dmitrii Semenok.
Zu den anderen Organisationen, die an dieser Forschung beteiligt sind, gehören das Dukhov Research Institute of Automatics (VNIIA) und das Forschungscomputerzentrum der Lomonosov Moscow State University.
Die neue Arbeit ist in der Zeitschrift Current Opinion in Solid State & Materials Science veröffentlicht worden – Titel: „Superconductivity at 161?K in thorium hydride ThH10: Synthesis and properties“ – Supraleitung bei 161 K in Thoriumhydrid ThH: Synthese und Eigenschaften“
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