Energiewende als Eisberg

Klimawandel weiter denken – Impulse aus der Grundlagenforschung

Eine neue (zunächst dreiteilige) Veranstaltungsreihe hat die Max-Planck-Gesellschaft unter dem Titel „Klimawandel weiter denken – Impulse aus der Grundlagenforschung“ am 10.06.2020 aufgelegt. Forscher aus den Max-Planck-Instituten für Chemische Energiekonversion und Eisenforschung wollen im Gesprächsformat dabei Vorstellungen  entwickeln, inwieweit Unternehmen Rohstoffe so nutzen können, dass ihre Produkte und deren Herstellung defossilisiert ablaufen.

Lossau, Schlögl, Tuschek in Diskussion, Screenshot © FHI-Berlin-MPG

Angesichts des Klimawandels ist die Industrie gefragt, nachhaltigere Produktions- und Weiterverwertungsprozessen zu entwickeln. Innovative Denkanstöße und praktikable Methoden dafür kommen aus der Grundlagenforschung. Im Gespräch mit Experten aus der Industrie diskutieren Max-Planck-Forscher Möglichkeiten der Implementierung in die Praxis vor dem Hintergrund systemischer Bedingungen.

Den Beginn machten am 10.06.2020 Prof. Robert Schlögl, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Mülheim/Ruhr, und Anke Tuschek, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) unter der Moderation des Wissenschaftsjournalisten Norbert Lossau von der Welt. Titel: „Wie kommen wir zu einem nachhaltigen Energiesystem?“ Der Umbau des Energiesystems hat begonnen, doch noch ist nicht absehbar, dass das System ohne fossile Rohstoffe auskommen wird. Große Hoffnungen ruhen auf grünem Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Wie müsste die deutsche Energieinfrastruktur im internationalen Kontext für diesen Bedarf umgebaut werden und kann das gelingen um den Energiebedarf zu decken? Am 17.06.2020 wurde das Video ins Internet gestellt (das „LIVE“ galt natürlich für die Veranstaltung selbst im Goethe-Saal des Harnack-Hauses des Berliner Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft – das Video selbst ist unter http://www.youtube.com/watch?v=B1ctAdkwBHU&feature=emb_err_woyt abzurufen):

Schlögl – Einführung mit fünf Thesen
Wasserstoff: das grüne Gas: oder: Die vergessene Energiewende“

  1. Prof. Robert Schlögl – Screenshot © FHI-MPG_Berlin

    Energiewende mit Strom alleine geht nicht. Ein stofflicher Energiespeicher wird benötigt.

  2. Wasserstoff und seine Derivate erlauben Speicherung und globalen Handel mit Erneuerbaren Energien.
  3. Wärme ist der größte Nutzungsanteil im Energieverbrauch und wird mit Gas und Strom bedient.
  4. Wasserstoff und seine Derivate sind die realistische Alternative zu „Wegsparen“.
  5. Ein Bündel an Lösungen ist erforderlich, keine einzelne Wärmetechnologie alleine ist optimal im System der Energieversorgung.

Das Wärmesystem (mit Raum- und Prozesswärme) ist zusammen der zweitgrößte Emitter – nur die Stromerzeugung ist größer. Es sei allerdings gegenwärtig unklar, ob die Emissionen durch Raumwärme wegen des Wetters oder aufgrund tatsächlicher Einsparungen abgenommen hätten. Prozesswärme (solarify.eu/prozesswaerme) emittiert etwas mehr. Vergleiche seien möglixh mit der Einsparung im Stromsystem durch Erneuerbar Energien trotz Zunahme des Verbrauchs um 10%.

Raumwärme und Verteilung – Grafik, Screenshot © FHI-MPG_Berlin

Schlögls (Zwischen-)Folgerungen: Ein autarkes Energiesystem sei ebenso unmöglich wie eine Energiewende, die nur auf Strom aufbaue.

Folgerungen – Grafik, Screenshot © FHI-MPG_Berlin

Daher Wasserstoff, allerdings weniger fürs Heizem – für dessen Gewinnung und Weiterverarbeitung gebe es gibt zahlreiche Möglichkeiten – aber dauerhaft nachhaltig sei nur die Wasserspaltung (wie in der Natur). Andere Möglichkeiten seien zu gering im Potenzial (Biomasse) oder nicht nachhaltig. Alle Formen seien lediglich als Übergang in die Technologie sinnvoll, nicht aber bei erheblichen Pfadabhängigkeiten. Schlögl zählte fünf Derivate auf: den flüssigen Wasserstoff (zu energieaufwändig), LOHC (solarify.eu//lohc-liquid-organic-hydrogen-carrier), NH3 (Ammoniak), CH4 (Methan) und Methanol. Ausdrücklich betonte Schlögl, dass der Wasserstofftransport keineswegs gefährlich sei. Wichtig sei, dass die Derivate im Kreis geführt werden müssten, sollten sie klimaneutral bleiben.

Elektrolyseur in C2C-Pilotanlage – Foto © FHI-MPG Berlin

Die Technologie der Elektrolyse sei gut erforscht, Verbesserungen aber möglich, vor allem bei den Kosten. Durch Serienproduktion könnte sich der Preis auf 300 €/kW reduzieren. Bei einem Strompreis von unter 3 ct/kWh wird grüner Wasserstoff konkurrenzfähig mit „fossilem“ Wasserstoff. Schlögl verwies auf des Projekt Carbon2Chem mit thyssenkrupp und 17 weiteren Partnern (siehe solarify.eu/carbon2chem). Rot umrandet: Der Elektrolyseur der Versuchsanlage.

Schlögls Fazit: Die Energiewende 1.0 sei – zu Unrecht – auf Strom und Erneuerbare Energien lokal fixiert: CO2-Einsparung dadurch begrenzt. Mehr Klimaschutz sei zu erreichen durch eine Erweiterung der Strategie in Form einer „Wende 2.0“; die müsse systemisch sein und auf „grüne“ Brennstoffe abzielen, auch mittels der Nationalen Wasserstoffstrategie, dazu brauche es einen technologieoffenen Rahmen. Dabei sei die „Wärmewende“ nicht ohne Wasserstoff und seine Derivate zu schaffen.

Grenzen sieht Schlögl bei der energetischen Optimierung von Gebäuden. Allerdings empfiehlt er entschieden die Nutzung der heimischen und europäischen Erneuerbare-Energie-Ressourcen (auch die sogenannte H2-Union gebe Anlass zur Hoffnung), schließlich der globale Handel. Sichere und berechenbare europäische Rahmenbedingungen erwartet er vom Green Deal. Schließlich rief Schlögl zu „Mehr Mut!!“auf: jetzt sei ein beherztes Freisetzen der kreativen Kräfte durch Anreize und Abbau technologiespezifischer Schranken notwendig zur Vollendung und Sicherung der Wende 1.0. Dafür gebe es einen doppelten Anreiz:

  • in Form eines zeitlich abgestimmt wirksamen Preises für fossiles CO2 und
  • Verfügbarmachung großer Mengen Wasserstoff und seinen Derivaten.

Anke Tuschek vom BDEW bestätigte, dass es sich auf Dauer nur um grünen Wasserstoff handeln dürfe, ihr stand aber in der Wasserstoffstrategie der Regierung zu wenig („nur drei Zeilen“) über den Zusammenhang zwischen Wasserstoff und Wärme.
Dabei hätten wir bereits eine Infrastruktur, um die uns viele Länder beneiden würden: 500.000 km Gasleitung auch als Speichermöglichkeit nutzbar – das sei mehr als ein Viertel das gesamten Bedarfs – 250 TWh von den 850 TWh Jahresbedarf in Deutschland.

Zwei weitere Diskussionen: „CO2 als Rohstoff“ und „Nachhaltigkeit in der Metallindustrie“

Am 05.10.2020 um 18 Uhr diskutieren dann im Veranstaltungssaal der Deutschen Kinemathek Prof.  Walter Leitner, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Mülheim, und  Markus Steilemann, Vorstandsvorsitzender Covestro AG, Leverkusen, moderiert von Dr. Norbert Lossau (Welt) über das Thema: „CO2 als Rohstoff. Herausforderung und Chance für die chemische Industrie“

Dank neuer Katalysatoren lässt sich CO2 für die Produktion von Kunststoffen verwerten. Das ist das Ergebnis eines weiter reichenden Kooperationsprojekts aus Forschung und Industrie. Es weckt die Hoffnung, dass sich langfristig CO2-Stoffkreisläufe schließen lassen.

Schließlich sprechen am 11.11.2020, 18 Uhr, wiederum in der Deutschen Kinemathek, Prof. Dierk Raabe, Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung, Düsseldorf, und Markus Oles, Thyssen-Krupp, Head of Innovation Strategy & Projects, diesmal moderiert von Barbara Gillmann (Handelsblatt) – ihr Thema: „Wege zu mehr Nachhaltigkeit in der Metallindustrie“. Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung der Materialphysik über Legierungen und Korrosion bieten viele Ansätze für eine nachhaltigere, kostengünstigere und CO2-ärmere Produktion auch neuer Materialien. Was davon ist zeitnah umsetzbar?

Dr.-Ing. Anke Tuschek (* 06.03.1960 in Hoyerswerda) begann nach Abschluss ihres Maschinenbau-Studiums an der Universität Dresden bei der Dresdner Wärmeversorgungs GmbH. 1992 wechselte sie als Gruppenleiterin zur Dresden Gas GmbH, wo sie später zur Prokuristin und Abteilungsleiterin für Gaseinkauf und Vertrieb aufstieg. 1997 übernahm sie die Leitung der Hauptabteilung Fernwärme/Gas bei der DREWAG Stadtwerke Dresden. Drei Jahre später wurde sie zur Geschäftsführerin des regionalen Gasversorgers SpreeGas berufen, wo sie bis 2006 tätig war. Von dort wechselte sie im Oktober 2006 als Technische Geschäftsführerin zu den Stadtwerken Leipzig. Dort war sie zuerst für die Strom-, Gas- und Fernwärmeverteilung sowie den Bereich Netze und die PR/Unternehmenskommunikation zuständig. Mitte 2007 übernahm sie zudem die Aufgabenbereiche Einzelhandel, das Geschäft Pommern und das Strategische Marketing. Am 07.05,2009 nahm sie ihre Arbeit als Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung für die Aufgabenfelder Märkte und Energieeffizienz und ist zugleich Bereichsleiterin für Vertrieb, Handel und gasspezifische Fragen auf.

Prof. Dr. Robert Schlögl (* 23. Februar 1954 in München) ist Chemiker und Direktor sowie Wissenschaftliches Mitglied am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft (FHI) in Berlin und seit 2011 Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr. Er promovierte 1982 in Chemie an der Universität München. Nach Postdoc-Aufenthalten in Cambridge, Basel und am FHI bei Gerhard Ertl folgte 1989 die Habilitation. Es folgte ein Ruf an die Universität Frankfurt als Professor für Anorganische Chemie. Schlögl kehrte 1994 als Direktor und Wissenschaftliches Mitglied ans  FHI. Schlögl ist Katalyseforscher, der entscheidende Beiträge zur Aufklärung der strukturellen Dynamik und Funktionsweise heterogener Katalysatoren auf Basis anorganischer Festkörper lieferte. Der Schwerpunkt der Arbeiten liegt auf der Erforschung polykristalliner Kupfer-, Molybdän- und Vanadiumoxide für selektive Oxidationen. Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, etwa den Otto-Bayer-Preis und dem Schunk-Preis für innovative Materialien, 2015 den Alwin-Mittasch-Preis, 2017 den Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft. Für 2019 wurde Schlögl der Eduard-Rhein-Preis zugesprochen. Weiterhin ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Honorarprofessor an TU und HU Berlin. Schlögl ist Mitglied der Leopoldina (seit 2011) und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech).

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