Jedes Grad erhöht Druck auf Fischbestände
Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) haben in einer Metastudie wegweisende Erkenntnisse zu den Folgen des Klimawandels für die Fischbestände der Welt gewonnen – so eine AWI-Medienmitteilung vom 04.07.2020. Die Risiken für Fische sind demnach viel größer als bisher angenommen, wenn man berücksichtigt, dass bestimmte Lebensstadien besonders empfindlich auf steigende Wassertemperaturen reagieren.
Kritischer Engpass im Lebenszyklus der Fische ist die geringe Wärmetoleranz während der Fortpflanzung. Das bedeutet, die Wassertemperatur in den Laichgebieten entscheidet maßgeblich über den Fortpflanzungserfolg der Arten und macht Fische auf diese Weise besonders anfällig für den Klimawandel – im Meer ebenso wie in Seen, Teichen und Flüssen. Den Analysen zufolge gefährdet der ungebremste Klimawandel aufgrund steigender Wassertemperaturen den Fortpflanzungserfolg von bis zu 60 Prozent aller Fischarten, berichten die Wissenschaftler in ihrer Studie, die heute im Fachmagazin Science erschienen ist.
Lebewesen atmen, damit ihr Körper Energie erzeugen kann. Das gilt für uns Menschen ebenso wie für Fische. Bekannt ist zudem, dass der Energiebedarf des Menschen und der Tiere von der Temperatur abhängt: Wird es zum Beispiel wärmer, steigt der Energiebedarf exponentiell und mit ihm der Sauerstoffbedarf. Aus dieser Gesetzmäßigkeit leitet sich ab, dass Lebewesen einen Temperaturanstieg in ihrer Umgebung nur dann überstehen, wenn sie in der Lage sind, ihren Körper mit dementsprechend mehr Sauerstoff zu versorgen. Dieser Fähigkeit sind jedoch artspezifische Grenzen gesetzt. Wird eine solche Grenze überschritten, kollabiert das Herz-Kreislaufsystem.
Basierend auf diesem Wissen haben Forscherinnen und Forscher des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in einer neuen Metastudie untersucht, in welchen Lebensphasen Meeres- und Süßwasserfische auf der ganzen Welt besonders wärmeempfindlich sind. Dazu trugen die Biologen wissenschaftliche Daten zur Wärmetoleranz von 694 Fischarten zusammen und analysierten, innerhalb welcher Temperaturbereiche Fische als laichbereites („trächtiges“) Tier, als Embryo im Ei, als Larve nach dem Schlupf sowie als erwachsenes Tier außerhalb der Paarungszeit überleben können.
Während der Paarungszeit am empfindlichsten
„Unserer Ergebnisse zeigen, dass Fische als Embryonen im Ei sowie als laichbereite Erwachsene deutlich wärmeempfindlicher sind als im Entwicklungsstadium der Larve oder als geschlechtsreifer Fisch außerhalb der Paarungszeit“, sagt Erstautor und AWI-Meeresbiologe Dr. Flemming Dahlke. „Im globalen Mittel können zum Beispiel Fische außerhalb der Paarungszeit in bis zu 10 Grad Celsius wärmerem Wasser überleben als laichbereite Fische und Fischeier.“
Der Grund für diese unterschiedliche Wärmetoleranz liegt in der Anatomie der Fische: Fischembryonen beispielsweise besitzen noch keine Kiemen, mit denen sie ihre Sauerstoffversorgung steigern könnten. Paarungsbereite Fische dagegen bilden Ei- und Spermienzellen aus. Diese zusätzliche Körpermasse muss ebenfalls mit Sauerstoff versorgt werden, weshalb das Herz-Kreislaufsystem laichbereiter Tiere schon bei niedrigeren Temperaturen enorm gefordert ist.
Jedes Grad Erwärmung erhöht den Druck auf die Fischbestände
Diese Erkenntnisse gelten über Artengrenzen hinweg und offenbaren, dass Fische vor allem während der Paarungszeit sowie im Embryonalstadium besonders empfindlich auf Wärme reagieren. Aus diesem Grund hat das Forscherteam in einem zweiten Schritt analysiert, in welchem Maße die Wassertemperaturen in den Laichgebieten der untersuchten Arten im Zuge des Klimawandels steigen werden. Dazu nutzten sie neue Klimaszenarien (Shared Socioeconomic Pathways – SSP), die auch dem nächsten Weltklimabericht zugrunde liegen werden.
Die Ergebnisse belegen, dass jedes Grad durchschnittlicher Erwärmung die weltweiten Fischbestände in größere Bedrängnis bringt. „Gelingt es der Menschheit, die Klimaerwärmung bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, werden bis dahin nur etwa zehn Prozent der von uns untersuchten Fischarten ihre angestammten Laichgebiete aufgrund zu warmen Wassers verlassen müssen“, erläutert AWI-Biologe und Ko-Autor Prof. Hans-Otto Pörtner. Bleiben die Treibhausgasemissionen dagegen auf hohem bis sehr hohem Niveau (SSP5-8.5), wäre mit einer durchschnittlichen Erwärmung von fünf Grad Celsius und mehr zu rechnen, die bis zu 60 Prozent der Fischarten gefährden würde.