Altmaier-Rede zum Kohleausstieg: „Fossiles Zeitalter zu Ende“

„Generationenprojekt“ – „etwas historisch Einmaliges“

In einer Rede vor dem Deutschen Bundestag in Berlin am 03.07.2020 bezeichnete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier  den Kohleausstieg als „Generationenprojekt – das fossile Zeitalter in Deutschland geht mit dieser Entscheidung unwiderruflich zu Ende.“ Die Kohleverstromung werde „rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig und sozial ausgewogen“ beendet. Mit den geplanten Hilfen für die Kohleländer in Höhe von 40 Milliarden Euro  könnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, bevor die alten wegfallen. Solarify dokumentiert die Rede.

Bundestagsplenum am 03.07.2020  – Screenshot © bundestagsfernsehen

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es ist noch keine zehn Jahre her – ziemlich genau neun Jahre –, dass der Bundestag mit großer und breiter Mehrheit im Juni 2011 den endgültigen Ausstieg aus der Nutzung der Kernkraft bis 2022 beschlossen hat. Diesen Beschluss haben wir entgegen mancher Zweifel umgesetzt. Wir werden pünktlich wie vorgesehen das letzte Kernkraftwerk abschalten.

Heute, weniger als ein Jahrzehnt später, beenden wir mit den vorliegenden Gesetzen die Kohleverstromung in Deutschland – rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig, sozial ausgewogen und verträglich. Das fossile Zeitalter in Deutschland geht mit dieser Entscheidung unwiderruflich zu Ende. Ich weiß, dass diese Entscheidung uns und vielen von Ihnen nicht leichtgefallen ist. Weil wir ganz unterschiedliche Interessen und Gesichtspunkte unter einen Hut bringen mussten. Es ist ein Generationenprojekt. Es wurde hart gerungen. Noch immer sind nicht alle mit jedem einzelnen Punkt unserer Entscheidungen einverstanden.

Aber vergegenwärtigen Sie sich einmal, was wir in den zehn Jahren seit dem Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie geleistet haben – in den meisten Fällen übrigens in einem fraktionsübergreifenden Konsens.

Asse-Gesetz, Endlagersuchgesetz, Übertragung der Rückstellungen der Kernkraftwerke, lieber Jürgen Trittin, um sie für künftige Generationen für die Endlagerung zu sichern, völlige Neuorganisation des EEG, Neuorganisation des Baus der Stromleitungen und jetzt ebendieses Generationenprojekt. Wir tun das nicht aus Daffke, wir tun das, weil wir wollen, dass Wohlstand und wirtschaftliche Stärke unseres Landes einhergehen mit klimapolitischer Verträglichkeit, mit Nachhaltigkeit. Das ist unser Ziel, und diesem Ziel kommen wir heute einen großen Schritt näher.

Wir wissen, dass sich viele Menschen Sorgen machen, dass eine Entscheidung, die sie klimapolitisch nachvollziehen können, am Ende die Lebensgrundlagen ihrer Familien und ihre Arbeitsplätze gefährden könnte.

Deshalb ist uns etwas historisch Einmaliges gelungen: Zum allerersten Mal in der langen Geschichte des Strukturwandels in der Bundesrepublik Deutschland – Beendigung der Steinkohleförderung, Restrukturierung der Stahlindustrie in den 80er-Jahren – federn wir diesen Strukturwandel so ab, dass wir neue Arbeitsplätze schaffen, bevor die alten Arbeitsplätze alle wegfallen. Wir werden bis zu 40 Milliarden Euro investieren, um den Menschen in den Braunkohlerevieren, in der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier, im Rheinischen Revier eine Zukunftsperspektive zu geben. Wir werden öffentliche Arbeitsplätze in die Regionen verlagern; die ersten Hunderte von Arbeitsplätzen sind bereits in den letzten Monaten entstanden. Und wir werden transparent und nachvollziehbar festlegen und vertraglich absichern, wann welches Kraftwerk vom Netz geht.

Ich weiß, dass sich einige von Ihnen einen schnelleren Kohleausstieg gewünscht hätten. Wir haben vorgesehen, dass das Zeitalter der Kohleverstromung spätestens 2038, vielleicht sogar schon 2035 zu Ende gehen wird. Wenn es durch die Marktkräfte dazu kommen sollte, dass der Ausstieg früher geschehen kann, dann werden wir die Marktkräfte nicht behindern. Aber wir haben die Garantie gegeben, wann es spätestens so weit ist. Das ist für die Befriedung der Diskussion wichtig; denn wir sind das einzige Industrieland dieser Größe, das gleichzeitig aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie und dann 15 Jahre später aus der Nutzung der Kohleverstromung aussteigt.

Das sind die historischen Aufgaben und die Leistung, die wir zu vollbringen haben.

Zu der Kritik an der einen oder anderen Maßnahme – einige meinen, wir hätten ein oder zwei Jahre früher aussteigen können – sage ich: Wir fühlen uns genau wie alle anderen dem Anliegen des Klimaschutzes und der Dekarbonisierung verpflichtet.

Aber wir fühlen uns auch der Notwendigkeit und dem Auftrag einer jederzeit sicheren Stromversorgung verpflichtet, egal wie die Wind- und Wetterverhältnisse sind, egal wie die Produktionsverhältnisse sind, egal wie die wirtschaftliche Situation ist. Auch wollen wir – das haben wir mit dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung klargemacht – dafür sorgen, dass der Strom in Deutschland bezahlbar bleibt.

Wir haben heute mit die höchsten Strompreise für private Haushalte, für Mittelständler und für die Industrie. Wir wollen erreichen, dass die Strompreise in Deutschland im Laufe des nächsten Jahrzehnts wieder auf ein europäisches Durchschnittsniveau zurückgeführt werden können – in die richtige Richtung, Schritt für Schritt. Dafür stellen wir im Konjunkturprogramm 11 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung.

Ich möchte gerne an Sie alle appellieren, dieses Gesetz nicht kleinzureden, sondern die positiven Errungenschaften in den Vordergrund zu stellen, an denen so viele mitgewirkt haben – natürlich die Umweltbewegung, aber ganz sicher auch die deutsche Wirtschaft und die Gewerkschaften, natürlich auch diejenigen, die für erneuerbare Energien kämpfen, aber ganz sicher auch die Beschäftigten in den Braun- und Steinkohlekraftwerken, die am Ende ihre eigenen Interessen eingebracht haben in einen Gesamtkompromiss, der ihnen neue Zukunftsperspektiven gibt.

Dieser Kohleausstieg ist auf europäischer Ebene – und wir haben ja seit vorgestern die Präsidentschaft der Europäischen Union inne – mit großem Beifall und mit großer Anerkennung bedacht worden. Wir haben eine gute Balance gefunden. Als wir entschieden, aus der Nutzung der Kernkraft auszusteigen, lag der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bei 20 Prozent – eher darunter als darüber. In diesem Halbjahr – leider Gottes auch mitbeeinflusst durch die Coronapandemie – lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bei über 50 Prozent.

In weniger als einem Jahrzehnt haben wir diesen Anteil mehr als verdoppelt, und das, ohne Blackout, ohne Störung der Stromversorgung, ohne große Krisen. Wir sind, was unsere Energieversorger angeht, weltweit führend, was die geringe Zahl der Fehlstunden betrifft, was die geringe Zahl der Unterbrechungen der Stromversorgung angeht. Auch dafür möchte ich den Übertragungsnetzbetreibern, den Verteilnetzbetreibern, allen Beschäftigten in der Energiebranche ein herzliches Dankeschön und meine Anerkennung aussprechen.

Ich bedanke mich bei allen, die daran mitgewirkt haben – auch bei den Fraktionen des Deutschen Bundestages, bei meiner eigenen Fraktion und bei der Koalitionsfraktion –, die es ermöglicht haben, dieses Gesetz vor der Sommerpause zu verabschieden. Lassen Sie uns diesen Weg auch in Zukunft weitergehen! Er ist wirtschaftlich und klimapolitisch im Interesse unseres Landes.

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