Mangelnde Kontrolle bei EU-Klimaausgaben und Rechtsstaatlichkeit, Rechnungshof-Kritik und merkwürdiger Atombericht
Mit deutlicher Mehrheit hat das EU-Parlament am 23.07.2020 den Ratsbeschuss über den mehrjährigen Haushalt (MFR) sowie für den Wiederaufbauplan der EU abgelehnt – meldete EURACTIV am gleichen Tag. In einer Aussprache nannten die Europaabgeordneten den Kompromiss der Staats- und Regierungschefs unambitioniert und monierten die Kürzungen an klimarelevanten Geldtöpfen, den Forschungsprogrammen und die mangelhafte rechtsstaatliche Bindung der Fördergelder.
Einige grüne Europaabgeordnete machten bereits im Vorfeld der Debatte ihrer Enttäuschung Luft: Die Einigung der Staats- und Regierungschefs sei eine „Abkehr vom Green Deal“, schrieb der Grünen-MdEP Michael Bloss. „Die Europäische Union muss ihr Förderprogramm für CO2-freien Stahl zusammenstreichen, das Programm für Zukunftsinvestitionen ist um 30,3 Milliarden auf nun 5,6 Milliarden Euro gekürzt worden. Der Fonds zur Unterstützung von Kohleregionen schnurrt von 40 Milliarden auf 10 Milliarden Euro zusammen“, kritisierte er.
In einer am Mittwoch von den Fraktionsspitzen verfassten Beschließung des Parlaments heißt es unter anderem, „wir glauben, dass die vorgeschlagenen Kürzungen an Programmen für den Übergang kohleabhängiger Regionen der Agenda des Green Deal zuwiderlaufen“. Gemeint ist vor allem der Just Transition Fund (JTF), den die Kommission im Rahmen der Corona-Hilfen von 7,5 auf 40 Milliarden Euro hatte aufstocken wollen, der im Rahmen der Verhandlungen der Regierungschefs aber wieder auf 17,5 Milliarden gestutzt wurde.
Polen erkämpft sich Geld für den Kohleausstieg
Positiv beurteilten viele Abgeordnete immerhin die Zusage des Rates, 30 Prozent des Haushaltes und Wiederaufbaufonds für Klima-Ausgaben zu reservieren. Das Parlament setzt sich für einen Anteil von mindestens 25 Prozent plus zehn Prozent für Biodiversität ein.
Sollte es zu einer Einigung bei 30 Prozent kommen, könnten in den kommenden sieben Jahren bis zu 547,2 Milliarden Euro für Investitionen bereit stehen, die zur Erreichung der EU-Klimaziele beitragen sollen. Doch selbst das würde nicht reichen: Die Kommission selber geht von mindestens 1,46 Billionen Euro aus, die jedes Jahr investiert werden müssten, um das derzeitige Klimaziel für 2030 zu erreichen. Unklar ist allerdings, ob sich die 30 Prozent auf den EU-Haushalt und das Wiederaufbauprogramm zusammen beziehen, oder ob der erforderliche Anteil nur von einem der beiden Instrumente gedeckt werden könnte.
Sorgen bereitet vielen Abgeordneten auch der Mangel an Vorgaben für den Erhalt der EU-Hilfen. So hatte Polen, das einzige EU-Land, das sich noch nicht zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bekannt hat, beim EU-Rat durchgesetzt, dass es zumindest noch Anspruch auf 50 Prozent der Gelder aus dem Just Transition Fonds hätte. Für den umweltpolitischen Sprecher der EVP-Fraktion, Peter Liese, ist das nicht hinnehmbar: „Warum sollte ein Land Geld für seinen Kohleausstieg erhalten, wenn es nicht das Ziel der Klimaneutralität akzeptiert?“, sagte er im Interview.
Stolperfalle im Wiederaufbauprogramm
Die deutsche Sozialdemokratin Delara Burkhardt sieht im Vorschlag für den Wiederaufbaufonds eine Stolperfalle: Zwar ist der Klimaschutz in der sogenannten „Recovery and Resilience Facility“ (RRF), die laut Ratsbeschuss mit 672,5 Milliarden Euro einen Großteil des Programmes einnehmen soll, verankert. Allerdings nennt der Anhang des Enwurfs sieben Prioritäten, welche die Mitgliedsstaaten unterschiedlich gewichten können. Dazu gehören Investitionen, die „effektiv zur grünen und digitalen Transformation beitragen“. Burkhardt befürchtet, dass die Mitgliedsstaaten „die Kombination der Kriterien-Erfüllung so wählen, dass sie gar keine ökologischen Bedingungen erfüllen müssten. Das ist vor allem dann möglich, wenn sie stattdessen voll auf die digitale Transformation setzen.“
Wie genau kontrolliert werden soll, in was die vielen Milliarden Euro des Wiederaufbauinstruments fließen werden, steht noch nicht fest. Einzige Vorgabe ist bisher, dass die Mitgliedsstaaten nationale Investitionspläne bei der Kommission einreichen müssen, die sich an ihren nationalen Klimaplänen und dem europäischen Semester orientieren. Die EU-Taxonomie, ein Orientierungsrahmen für grüne Investitionen, der ab kommendem Jahr verbindlich in Kraft treten soll, ist nicht im Wiederaufbauplan verankert.
Im Entwurf des EU-Parlaments fordern die Abgeordneten, dass die Kommission möglichst bald eine „transparente, umfassende und aussagekräftige Nachverfolgungsmethode“ erarbeiten soll, die sich an der Taxonomie orientiert.
EU-Kommission wegen Atomenergie-Bericht kritisiert
Die EU-Kommission ließ einen von den Mitgliedsstaaten geforderten Bericht über die Nachhaltigkeit von Atomenergie ausgerechnet durch ihre Forschungsstelle für Nuklearforschung ausarbeiten. Das sei absurd, schreibt die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl in einem Beschwerdebrief an Ursula von der Leyen.
Rechnungshof warnt vor laxen Kontrollen
Der grüne Abgeordnete Rasmus Andresen fordert, dass Parlament und EU-Rechnungshof ein Vetorecht bei der Zulassung der nationalen Investitionspläne erhalten. In der Vergangenheit hatte der Rechnungshof die Überprüfungsmethoden der EU-Kommission bereits mehrmals angeprangert.
In einer Stellungnahme von Anfang Juli stellten die Finanzaufseher fest, dass die bisher getätigten Klima-Ausgaben der EU überschätzt worden waren, während negative Auswirkungen von Ausgaben, beispielsweise in der Landwirtschaft, nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
Am 19.07.2020 legte der Rechnungshof noch einmal nach: Auch im bisherigen Vorschlag für den Just Transition Fonds sei „die Verbindung zwischen Leistung und Finanzierung relativ schwach“. Es drohe damit „ein erhebliches Risiko, dass der JTF nicht dazu beiträgt, die starke Abhängigkeit einiger Regionen von kohlenstoffintensiven Aktivitäten zu beenden.“
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