„Die heimliche Gegenreformation der Zentralwirtschaft“

Eurosolar-Kompendium geht mit Digitalisierung der Energiewende ins Gericht

„Die Energiewende wird weder an mangelnder Technik oder fehlenden Forschungsergebnissen scheitern, noch an ökonomischem Potenzial“, schreiben Claus Baumeister und Axel Berg in ihrem soeben veröffentlichten Kompendium zur Digitalisierung der Energiewende. Es trägt den aufklärerischen Alternativ-Titel „Die heimliche Gegenreformation der Zentralwirtschaft“. Die Energiewende, so geht die Einleitung weiter, „könnte scheitern an einer durchgehenden Verhinderungsgesetzgebung, die gerade auf die Spitze getrieben wird. Die Digitalisierung darf nicht weiter missbräuchlich als ‚Vernetzung‘ interpretiert und damit die Dezentralisierung der Energiewirtschaft durch die Hintertür wieder zentralisiert werden. Die Energiewende ist vom Kopf auf die Füße zu stellen.“ Solarify dokumentiert das Papier.

Im Wortlaut: Kompendium zur Digitalisierung der Energiewende oder Die heimliche Gegenreformation der Zentralwirtschaft

von Claus Baumeister und Axel Berg, September 2020

Digitalisierung: Innenleben des FP4 – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Um die vielfältigen Herausforderungen der Energiewende zu lösen, spielt die Digitalisierung eine Schlüsselrolle. Je nachdem, welchen Pfad wir jetzt einschlagen, können wir Autonomie und Selbststeuerung der Menschen erhöhen oder aber reduzieren. Denn Technologie an und für sich ist neutral und leidenschaftslos. Dezentral eingesetzt, kann sie kostengünstig sein und uns unabhängig von Energieversorgern machen. Mithilfe zentral gesteuerter Netze und Geräte aber wird sogar der Prosumer mit eigenem PV-Dach wieder in die Abhängigkeit der großen Energiekonzerne kommen. Wenn wir die Digitalisierung weise nutzen, können ihre Vorteile phänomenal sein. Unkluge Entscheidungen aber führen uns in Fremdbestimmung und Abhängigkeit.

Die Energiewende wird weder an mangelnder Technik oder fehlenden Forschungsergebnissen scheitern, noch an ökonomischem Potenzial. Sie könnte scheitern an einer durchgehenden Verhinderungsgesetzgebung, die gerade auf die Spitze getrieben wird. Die Digitalisierung darf nicht weiter missbräuchlich als „Vernetzung“ interpretiert und damit die Dezentralisierung der Energiewirtschaft durch die Hintertür wieder zentralisiert werden. Die Energiewende ist vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das bedeutet, soweit irgendwie möglich lokal zu steuern, und zwar inklusive Lastmanagement und Sektorenkopplung.

Die Zielsetzung für eine dezentrale und klug digitalisierte Energiewende ist einfach:

  1. Sie geht so dezentral wie möglich und nur so zentral wie unbedingt nötig vonstatten.
  2. Sie beinhaltet minimale Komplexität bei gleichzeitig viel umfassenderen, spezifisch lokalen Betriebsdaten, Zuständen und Ereignissen.
  3. Sie bedeutet minimalen regulatorischen Aufwand und minimale Abgaben-Overhead-Kosten.

Fast alle notwendigen Technologien sind vorhanden:

  • Photovoltaik (PV), Windkraft und sonstige Erneuerbare Energien-Anlagen
  • Begrenzung der Energieflüsse am Übergang zwischen privaten und öffentlichen Netzen
  • DC-gekoppelte Kurzzeitspeicher mit Lithium-Ionen-Batterien, sowohl in Hauskraftwerken als auch in größeren Erneuerbare Energien-Anlagen
  • Langzeitspeicher, z.B. mit grünem Wasserstoff aus Stromüberschüssen
  • Passivhaus-Bauweise, Dämm- und mechanische Lüftungskonzepte zur Minimierung des Heizenergiebedarfs
  • Effiziente Wärme-und Kälteerzeuger zur selbstständigen, monovalenten Deckung des dann kleinen thermischen „Gaps“–mit Strom als einziger Energiequelle, um Sektorenkopplungz u ermöglichen:E-Ladestationen im lokalen Lastmanagement für die Sektorenkopplung
  • Lokal umfassende Digitalisierung der kompletten Haustechnik für eine integrierte Gebäudeautomation mit Lastmanagement

So wie das System der Muskelspindeln im Körper keineswegs der detaillierten Steuerung seitens des Gehirns oder des zentralen Nervensystems bedarf, können die dafür irrelevanten lokalen Komponenten und Energieflüsse in privaten Prosumer-Netzen völlig aus der übergeordneten Betrachtung und Steuerung herausgehalten werden. Wir brauchen schließlich auch keinen übergreifenden Terminkalender für alle Bundesbürger, um für diese das Frühstück aus der Cloud zu planen.

Es ist vollkommen überzogen, rein lokale Energieflüsse über komplexe mathematische Modelle überregional steuern zu wollen. Diese zentrale Steuerung bringt keinerlei Mehrwert; gleichzeitig ist die Beeinträchtigung individueller Prosumer-Interessen dabei höchst wahrscheinlich. Die Resilienz solch komplexer Systeme ist äußerst fragil. Es dauert viele Jahre, bis ein konsistentes System von Schnittstellen für alle Daten und Steuerungsbefehle sämtlicher Anlagen etabliert sein wird. Das bedeutet: noch viel Zeit für die alten Geschäfte der fossilen Energiewirtschaft. So plant die Bundesregierung erst einmal die Einrichtung von sogenannten „Reallaboren“. Die gibt es bereits seit Jahrzehnten, wenn auch ohne staatliche Förderung: Sie haben die Umsetzbarkeit einer dezentralen Energiewende durch Langzeitmonitoring schon längst belegt. Was wirklich fehlt, ist eine Gesetzgebung, die durch Deregulierung und Streichung unsinniger Abgaben auf die Eigenstromversorgung endlich den Durchbruch der längst verfügbaren Technologien befördert.

Was bedeutet „Digitalisierung in der Energiewirtschaft“?

Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) verbinden die Bereiche Energie und Information. Sie ermöglichen dezentral steuerbare Systeme mit einer Vielzahl von Erzeugungs- und Verbrauchskomponenten. Die Frage, welche Digitalisierungslösung mit wenig Komplexität, Aufwand und Risiko rein lokal umgesetzt werden kann, wird leider überhaupt nicht mehr gestellt –weil die Hauptprotagonisten der Digitalisierung daran überhaupt kein Interesse haben. Die produzierende Industrie (SmartMeter-Hersteller etc.) ebenso wie die Netzbetreiber, die Energieversorger, die BitCom-IT-Interessenvertretung und die Big Five der US-Internet-Plattformen –alle wollen sie die Menschen an den Marionettenfäden des Internets halten, um sie mit den abgegriffenen Daten kommerziell oder politisch zu manipulieren. Also wird der Begriff Digitalisierung einfach politisch neu interpretiert ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nähme. Einst verstand man unter Digitalisierung eine Welt in binären Nullen und Einsen, für die die Menschen hervorragende Hardware- und Software-Werkzeuge geschaffen haben, die tausende Bilder, Videos oder Musikstücke auf einem winzigen Chip speichern und reproduzieren können. Auch ein Orchester von hunderten elektrischen Geräten und Komponenten in Häusern mit Komfort-, Sicherheits- und Energieeffizienzgewinn kann digital dirigiert werden, wovon viele Menschen schon lange regen Gebrauch machen. Das was heute gemeinhin fälschlicherweise unter Digitalisierung verstanden wird, ist etwas völlig anderes, nämlich in der Internet-Vernetzung von allem mit allem eine omnipotente Lösung für alle Menschheitsprobleme zu sehen. Doch Digitalisierung ist nur die Voraussetzung und kein Synonym für Vernetzung. Und jede Vernetzung erhöht die Komplexität und Verletzlichkeit der Systeme. Deshalb wäre es angemessen, diese nur als Ultima Ratio zu nutzen, sofern sich ein Problem nicht lokal digital lösen lässt. So wird die Digitalisierung –im verfälschten Sinne von Vernetzung –zum Selbstzweck. Sie versucht gar nicht, zielorientiert die bestmögliche Lösung für ein bestimmtes Problem zu finden, sondern erforscht umgekehrt Anwendungsmöglichkeiten und Geschäftsmodelle für digitale Methoden wie die Cloud, Künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT), Big Data, Blockchain usw. Das ist so befremdlich, als würde man neue Einsatzzwecke für den im Baumarkt erworbenen Werkzeugkoffer suchen und diesen auch zum Rasenmähen, Zähneputzen oder Kaffeekochen einsetzen wollen.

Die Chancen der Digitalisierung

Bei Ertragsüberschüssen aus Erneuerbare Energien-Anlagen können schnell regel- und schaltbare flexible Lasten dynamisch zugeschaltet oder bei zu geringer Stromernte Stromverbraucher abgeworfen werden. Das ermöglicht Pufferspeicher und Sektorenkopplung, also den Betrieb zeitlich versetzt aktivierbarer Wärmeerzeuger, zum Beispiel Wärmepumpen oder Heizstäbe zur Brauchwassererwärmung sowie das Laden von E-Fahrzeugen. Auch Quartiersmodelle zur gegenseitigen Versorgung mit Strom und Wärme sind möglich. Zielführend wäre die Digitalisierung und Vernetzung aller elektrischen Komponenten innerhalb eines Gebäudes. Eine Vernetzung über das Gebäude hinaus ist nicht oder allenfalls temporär erforderlich. Das kann über ein geeignetes Gateway geschehen, das die Sicherheit und Integrität der Gebäude- und damit Nutzerdaten sowie die einwandfreie Funktion des Gesamtsystems unter Begrenzung der Gesamtkomplexität mit hoher Resilienz gewährleistet.

Auch Power-to-X-Technologien, die durch Elektrolyse lokal Wasserstoff herstellen, werden bei Ertragsüberschüssen interessant. Es wäre sinnvoller, in Deutschland skalierbare Anlagen aus Elektrolyseur, Kompressor, Erdtank und Brennstoffzelle zur Rückverstromung marktverfügbar zu machen, anstatt mit Milliarden Euro zentralistisch eine Wasserstoffproduktion in Nordafrika aufzubauen.

Die lokale Digitalisierung beschleunigt die Energiewende enorm und spart Unsummen von Geld und Energie für den Bau von Servern, Rechenzentren, Datenleitungen und Datenübertragungen ein, die die Energiewende nur aufhalten Alles kann vor Ort bedarfsgerecht gesteuert, die Lasten verteilt und ein Prosumer-Gebäude samt Sektorenkopplung von Wärme/Kälte und E-Mobilität so auf maximale Effizienz und Eigenstromnutzung getrimmt werden. Das stabilisiert überdies die Verteilnetze, ohne dass sie oder die Übertragungsnetze ausgebaut werden müssten. Technisch macht man das mit einer durchgreifenden Gebäudeautomation, an der alle elektrischen und elektronischen Komponenten eines möglichst monovalent mit Strom versorgten Gebäudes teilnehmen. Gesteuert wird die Automatik vollständig digital via Bus-gekoppelter Sensorik und Aktorik mit verteilter Intelligenz und zusätzlich übergeordneter Steuerung. Quasi als Nebenprodukt erhält man ein Dauermonitoring, über das energetische Lecks erkannt und unterbunden werden. Eine darauf aufgesetzte Visualisierung liefert ein Feedback an die Gebäudenutzer, die hiermit auch ihr Verhalten optimieren können.

Die Gefahren der Digitalisierung

Die meisten großen Sektoren werden bereits von neuen Giganten kontrolliert: Google beim Suchen, Facebook beim Networking, eBay als internationaler Flohmarkt, Apple produziert die Hardware und Amazon liefert allesaus. Die neuen Techniken wurden also bereits global kommerzialisiert und monopolisiert. Der Energiebereich ist,neben der Automobilwirtschaft,die letzte große Branche in Deutschland, die digitalisiert wird. Die erwartete Menge von Daten bietet ein riesiges Geschäftsfeld, auch wenn es absurd erscheint, zentral in jede PV-Dachanlage und jeden Kühlschrank hinein zuregieren.

Digitalisiert wird zunächst lediglich der Zähler des Prosumers durch gesetzliche Vorschrift. Bezahlt wird mit hohen Zählergebühren und der Preisgabe der persönlichen Daten. Der Netzbetreiber erfährt, in welchem Haushalt wann wie viel Strom und Wärme erzeugt und verbraucht wird. Diese Daten können zusammengeführt, analysiert und zweckbezogen ausgewertet werden. Daraus werden Persönlichkeits-, Verhaltens- oder Bewegungsprofile erstellt. Mit diesen können Kaufentscheidungen vorhergesehen und beeinflusst werden (Verhaltens-Mikro-Targeting). Ebenso wie jetzt schon auf dem heimischen Computer werden Cookies hinterlassen und Tracking ermöglicht. Algorithmen können alles verknüpfen und so ein Gesamtbild des Verbrauchers erstellen .Industrie (BDI) und Energiewirtschaft (BDEW) überlegen ganz offen, wie viele lukrative Geschäftsmodelle sich daraus generieren lassen.

Es versteht sich von selbst, dass Netzbetreiber die zentralisierte einer lokalen Lösung vorziehen, von der sie kaum profitieren würden. Verlierer dieser Entwicklung sind die Produzenten dezentraler Speichersysteme wie Batterien oder Heizstäben. Ein Top-down-Lösungsansatz vom Bundesgebiet über Länder und Städte zu den Quartieren und Häusern ist methodisch falsch und viel zu komplex: Big Tech überfordert jeden Datenschützer. Statt Keep it simple, stupid (KISS-Prinzip) plant die Bundesregierung Komplexität als Selbstzweck und versucht, mit Big Data und Künstlicher Intelligenz Massendaten und Steuerungsparameter in den Griff zu bekommen, die nie gebraucht würden, wenn man die Daten dort digitalisiert verarbeitet, wo sie entstehen und gleichzeitig wirken.

Den Risiken kann begegnet werden, wenn kleine, dezentrale, solare Energiesysteme installiert werden, die als Inselsysteme zellular miteinander funktionieren. Die Sonne liefert unabhängig von Konzerninteressen. Erneuerbare Energien sind nur dann volatil, solange sie keine Speicher haben. Die Anschaffung von Speichern erspart also die zentrale Vernetzung.

Wem dient eine Fernsteuerung?

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz schreibt vor, dass Stück für Stück alle Erneuerbare Energien-Anlagen verpflichtend mit einer Fernsteuerung auszurüsten sind. Damit kann der Netzbetreiber jederzeit die Hausanlage herunterfahren. So soll einer Netzüberlastung vorgebeugt und der Gefahr hoher Börsenpreise durch eine zu hohe Einspeisung regenerativen Stroms entgegengewirkt werden.

Die eigentlich ausreichende lokale Vernetzung der Gebäudetechnikmithilfe von Automatisierung, bedarfsgerechter Steuerung und Lastenausgleich vor Ort zu organisieren, wird nicht mal andiskutiert. Obwohl diese – und nicht von oben übergestülpte komplexe Energiesysteme – zusammen mit dezentralen Erneuerbare Energien-Anlagen und Speichernder Schlüssel für eine effiziente klima- und bürgergerechte Energiewende sind. Eine Fernsteuerung dient nur den Interessen der Konzerne.

Warum der SmartMeter-Rollout der dezentralen Energiewende schadet

SmartHome wird gern mit SmartMetern verquirlt. Beides hat aber nichts miteinander zu tun. Im SmartHome kann alles auf Basis lokaler Messdatenerfassung, Sensorik und Steuerung erfolgen. Die Visualisierung und das Dauermonitoring der Energiedaten sowie die bedarfsgerechte Steuerung der Verbraucher inklusive dem Lastmanagement können viel zu Verbrauchstransparenz und Senkung des Energieverbrauches beitragen. Seit zwei Jahrzehnten sind autarkiefähige Mini-Grids, lokale Netze, eine bestens erprobte Praxis mit extremer Kosten-, Ressourcen- und Energieeffizienz sowie impliziter Sicherheit ohne Cyber-Security-Exzesse. Alarme und Störungen melden die Gebäude per SMS, und nur im Ausnahmefall muss ein Gebäude –nicht seine Bewohner –temporär mit dem Internet verbunden werden. Dazu benötigt man keine SmartMeter-Gateways zum öffentlichen Netz und in der Regel auch keine „ortsunabhängige Steuerung“, weil eine ernsthafte Gebäudeautomation – Nomen est omen – grundsätzlich keiner manuellen Steuerungseingriffe bedarf, schon gar nicht von außen in Abwesenheit der Gebäudenutzer.

Die Europäische Union hat dessen ungeachtet bereits 2006 beschlossen, möglichst alle Verbraucher mit intelligenten Messsystemen, sogenannten SmartMetern, auszustatten. Sie sollenden Energieverbrauch und die Nutzungszeiten anzeigen. So sollen Ressourcen in bidirektional genutzten Netzen gespart werden und die Verbraucher erfahren zeitnäher als früher, wie hoch ihr Verbrauch war. 2016 traten das deutsche Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende und das Messstellenbetriebsgesetz in Kraft, das die deutschlandweite Ausstattung mit Messeinrichtungen regelt. Über ein SmartMeter-Gateway erfolgt der Zugriff von außen über das Wide Area Network(WAN). Zugegriffen wird auf das Home Area Network (HAN), das bedeutet, sowohl auf alle zuhause angeschlossenen regelbaren Erzeuger wie PV-Anlagen oder Blockheizkraftwerke, als auch auf Verbrauchseinrichtungen wie E-Ladesäulen oder Nachtspeicherheizungen. Vorausschauend soll so der Abregelbedarf eingeschätzt werden.

Das gesamte Konstrukt ist jedoch unlogisch. Man braucht es nicht, weil Volatilität lokal beherrscht werden kann. Mit genügend Speichern in privaten Netzen und auch mit vielleicht 100 über Deutschland verteilten Großspeichern kann fast alles lokal geregelt und Lasten lokal gesteuert werden. SmartMetering im Sinne des gerade stattfindenden Rollouts ist kontraproduktiv, weil es zwar Daten abgreift, aber nicht dazu beiträgt, die Stabilität des Netzes zu garantieren. Entscheidend sind die bedarfsgerechte Steuerung und das Lastmanagement vor Ort sowie Speicher, Speicher, Speicher. Damit kann die Volatilität der Verteil- und Übertragungsnetze deutlich unter die der Vor-EEG-Zeiten gesenkt werden.

Die teilweise schon –gegen erhebliche Widerstände der Konzern-Interessenvertreter –erfolgreich eingeleitete Dezentralisierung der Energieerzeugung wird mit dem Vernetzungswahnsinn unter dem trojanischen Pferd „Digitalisierung“ unauffällig wieder rezentralisiert. Daraus ergeben sich keinerlei Vorteile für den einzelnen Prosumer, auch wenn das mit einer optimierten Preisgestaltung immer wieder irreführend begründet wird. Auch nicht für die Gesellschaft insgesamt oder gar für Natur, Umwelt und Klima. Im Gegenteil: Mit den intelligenten Zählern kommen neue Kosten auf den zunehmend transparenten Bürger zu, der mit intransparenten Abrechnungen über den Tisch gezogen werden kann. Hinzu kommt der enorme Aufwand an Servern und Strom zur Sicherung und Algorithmisierung riesiger Datenmengen, die auch vom Heimnetz verarbeitet werden könnten. Dabei wird die Frage, ob eine bestimmte Anwendung oder Zielsetzung überhaupt einer WAN bedarf, überhaupt nicht mehr gestellt.

Warum es kein Zufall ist, dass der größte Stromproduzent Deutschlands keinen Strom mehr produziert

E.ON hat die Zeichen der Zeit erkannt. Wenn durch die Erneuerbaren Energien die Grenzkosten der Stromproduktion gegen null gehen, lässt sich mit der Stromproduktion ohne Subventionen kein Geld mehr verdienen. Also wird die Produktion weit weg (Nordsee, Nordafrika) vom Verbrauch (in Deutschland) verlegt und das Geld in Zukunft mit der teuren Systemanbindung (Pipelines, Übertragungs- und Verteilnetzen, Wasserstoff-Frachtschiffen und -Terminals und eben mit den Daten) verdient. Deshalb produziert der jahrzehntelang größte Stromproduzent Deutschlands jetzt keinen Strom mehr. Stattdessen werden die Dominanz im Strom- und Gasvertrieb und neue Geschäftsmodelle angestrebt. Verteilnetze sind auch nach der Liberalisierung des Strommarkts praktisch Monopolbereiche. Den Hausanschluss kann man nicht so leicht wechseln. Über 20 Millionen Zähler kontrolliert E.ON bereits. Ist eine kritische Masse erreicht, wird E.ON zum Google des deutschen Energiemarkts. Die Bundesregierung und die Kartellbehörden verfolgen diese Entwicklung wohlwollend. Die Machtinteressen sind offensichtlich: Nur überregional vernetzte Systeme liefern schließlich jede Menge Big Data für diverse Geschäftsmodelle und lassen eine zentrale Kontrolle zu.

Primär stehen nicht die tatsächlichen technischen Lösungsansätze und ihre informations-kommunikationstechnische (IKT) Unterstützung im Vordergrund der öffentlichen Debatte. Ganz im Gegenteil ist zu vermuten, dass digitale Technologien und Methoden (Cloud, KI, IoT, Big Data, Blockchain etc.) auf ihre Anwendungsmöglichkeiten abgeklopft werden sollen. Noch dürfen die im 15 Minuten-Takt erfassten Daten ohne Zustimmung des Verbrauchers nur vom Energieversorger und vom Stromhändler genutzt werden. In den USA ist der Datenschutz aber nicht so streng. SmartMeter sind auch leicht zu hacken. Der Punkt ist, dass Consumerdaten weitergegeben werden können. Mit diesen Daten kann man Lebensprofile erstellen. Die Daten braucht man zwar, aber nur im Gebäude. Den Netzbetreiber und Drittfirmen gehen diese Daten nichts an. Eine Begründung, warum Big Data und KI gebraucht werden, um datenschutz- und sicherheitskritische persönliche Prosumer-Daten zentral zu analysieren, gibt es nicht. Lokale Energieflüsse können mit minimalem Aufwand lokal gesteuert werden. Es geht den großen Energieversorgern vor allem darum, Daten zu sammeln und Zeit zu gewinnen.

Wem dient das Marktstammdatenregister?

Dem Bau einer eigenen PV-Anlage geht ein aufwändiges Antragsverfahren für PV-Kleinanlagen beim Netzbetreiber voraus, das die privaten Investoren zur Auskunft verpflichtet, obwohl ihre Investition keine Netzrelevanz hat. Immer wieder werden in der Praxis Datenblätter der serienmäßigen Komponenten angefordert, die für die Arbeit des Netzbetreibers irrelevant und davon abgesehen oft öffentlich im Internet zugänglich sind. Nahezu die gleiche Prozedur wiederholt sich Wochen oder Monate später mit dem Inbetriebnahme ersuchen. Als wäre das nicht genug der Bürokratie, erfolgt dann noch die sanktionsbewehrte Aufforderung, alle Komponenten der Anlage im Marktstammdatenregister (MaStR) der Bundesnetzagentur zu registrieren –ein ausgesprochen bürokratisches Monster, das Digitalisierung desolat zu lasten des Anlagenbetreibers umsetzt und dabei eine zäh agierende, schlecht implementierte Web-Oberfläche anbietet. Als Schikane und Beispiel dafür, wie Digitalisierung nichtfunktioniert, muss man das Verfahren schon deshalb betrachten, weil die Anlagendaten beim Netzbetreiber längst digitalisiert vorliegen und auch automatisiert an das MaStR der BNetzA übermittelt werden könnten.

Was kann das MaStR, das ohne Not in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des privaten Investors eingreift, im Gegenzug leisten? Über die Abschreckungswirkung hinaus sorgt es für maximale Transparenz der dezentralen Erneuerbare Energien-Anlagen bei den Netzbetreibern und strategische Vorteile zur Überarbeitung und Ergänzung der konzerneigenen Geschäftsmodelle. Für den Bürger und Anlagenbetreiber lässt sich kein Nutzen erkennen. Selbst für den Betrieb der Netze bleibt eine Prosumer-Statistik ohne Evidenz, weil die Bezugsseite völlig außen vor bleibt. Ein Elektroherd, ein Durchlauferhitzer oder eine E-Auto-Wallbox haben mit jeweils 11 kW Leistungsaufnahme einen genauso großen Einfluss auf die Netzstabilität wie die nur ausnahmsweise einspeisende 10-kWp-PV-Anlage. Mit vermehrtem Speichereinsatz und zunehmendem Eigenverbrauch der Prosumer geht nur noch die ins öffentliche Netz eingespeiste Überkapazität in diese Rechnung ein. Der überwiegende Teil lokaler regenerativer Stromerzeugung erscheint dann statistisch nur noch als verminderter Energiebezug wie nach Anschaffung effizienterer Kühlschränke, Waschmaschinen oder anderer Haushaltsgeräte.

Was bringen die TABs?

Die Technischen Anschlussbedingungen (TAB) sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verteilnetzbetreiber. Hier werden die technischen Vorgaben für die elektrischen Anlagen der Endkunden beschrieben, z.B. die Anordnung des Hausanschlusskastens oder der Stromzähler. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ermächtigt das Energieministerium zum Erlass der Niederspannungsanschlussverordnung (NAV), die die TABs und Genehmigungsverfahren vorschreibt.

Verbraucher dürfen nicht einfach machen was sie wollen, z.B. dürfen sie nur netzkonforme, vorschriftsmäßig zugelassene Elektrogeräte in die Steckdose stecken. Das ergibt Sinn und muss entsprechend für die Wechselrichter der Einspeiseseite gelten. Diese müssen eine vorschriftsmäßige generelle (und nicht Anlagen-individuelle) CE-Zulassung nachweisen.

Früher ging der Strom vom Erzeuger zum Verbraucher und das Geld ging in die andere Richtung. Zukünftig wird das Netz von Prosumern, die selbst Strom erzeugen und auch gelegentlich Netzstrom beziehen, als bidirektionales Netz genutzt. Strom fließt dann in beide Richtungen. Hierfür müssen die TABs so reformiert werden, dass Energiebezug und -lieferung gleichermaßen fair behandelt werden.

Die aktuellen TABs sorgen für die Dominanz der Netzbetreiber über die Prosumer. Sie erinnern an die alte Telekom, als sie noch zur Deutschen Bundespost gehörte. Als einziger Anbieter teilte sie Endgeräte zu, ließ sich mit den Neuanschlüssen wochenlang Zeit und handhabte die Gebühren recht willkürlich. Dadurch wurden unfair hohe Preise mit veralteter Technologie durchgesetzt und Innovationen auf dem Gerätemarkt ausgebremst. Erst durch EU-Druck kam mit der Postreform 1989 eine langsame Entmonopolisierung in Gang. Vergleichbares geschieht heute mit der sachlich nicht begründbaren Hoheit der Netzbetreiber über Geräte, die sich im Privateigentum der Prosumer befinden. Damit können die Konzerne Restriktionen durchsetzen und mit Schikanen beim Anschlussverfahren die dezentralen Erneuerbare Energien-Anlagen möglichst unattraktiv machen.

Die TABs behandeln die Verbrauchsseite seit jeher liberal. Für einen Hausanschluss muss man eine maximale Anschlussleistung und die geschätzte typische Auslastung angeben, also das, was netzrelevant ist. Niemand muss hingegen seinen Durchlauferhitzer, seinen Herd oder sonstige Geräte explizit benennen oder sie gar einzeln vom Netzbetreiber genehmigen lassen. Es genügt ein CE-Kennzeichen, obwohl diese Geräte einen geringen Einfluss auf die Verteilnetzvolatilität haben können und die Entnahmeleistungen teilweise deutlich über den Einspeiseleistungen einer kleinen Hausdach-PV-Anlage liegen.

Was ist daraus logisch zu schlussfolgern? Kleine PV-Anlagen sollten nur mit ihrer maximalen und ihrer typischen Einspeiseleistung deklariert und die Netzkonformität der Wechselrichter nachgewiesen werden. Das ist netzrelevant. Welche sonstigen Geräte –insbesondere Module, DC-gekoppelte Speicher oder Wechselrichter, die überhaupt nicht mit dem Netz gekoppelt sind–im Gebäude zum Einsatz kommen, welche Energiemengen im privaten Netz anfallen, privat gespeichert und verbraucht werden, ist für den Netzbetreiber regulatorisch irrelevant.

Was jetzt zu tun ist

Die EU-Energieeffizienz-Richtlinie (EED) ist dahingehend zu ändern, dass fernablesbare Zähler und Kostenverteiler nicht verbindlich installiert werden müssen. Das deutsche Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende(GDEW)und die Niederspannungsanschlussverordnung (NAV), die die Technischen Anschlussbedingungen (TABs) und Genehmigungsverfahren regelt, sind konsequent zu entschlacken, besser gänzlich neu zu verfassen und von Eingriffen in private Angelegenheiten zu befreien. Komponenten und Energieflüsse (Erzeugung, Speicherung und Verbrauch) im privaten Netz dürfen weder reguliert noch mit Abgaben belegt werden. Für diejenigen Komponenten, die direkt mit dem öffentlichen Stromnetz kommunizieren, reicht eine CE-Zertifizierung. Der übrige Regelungsbedarf schmilzt damit in gleicher Weise wie die Komplexität von Datenerhebung, Steuerung und Bepreisung.

Dabei sollte es gleichgültig sein, wie weit sich ein privates Netz ausdehnt, also ob es sich um eine Wohnung, ein Haus oder eine Wohnanlage handelt. Gewinne aus entgeltlicher Stromlieferung im privaten Netz, z.B. an Mieter, können ganz trivial als Einkommen versteuert werden. Mieterstrom und Mieterwärme, also das räumliche Auseinanderfallen des Produzenten vom Nutzer, sind technisch längst machbar und werden nur durch rechtliche Hürden und Abgaben behindert. Auch hier muss gelten: Staat und Netzbetreiber haben sich aus Komponenten (Hardware) und Energieflüssen privater Netze herauszuhalten.

Fördermaßnahmen ohne Kostenaufwand

  1. Beim Neubau von Häusern thermisch effiziente Gebäude im Passivhaus-Standard behördlich anordnen.
  2. Verpflichtender Einbau von Erneuerbaren Energien im Neubau und bei Altbausanierungen.
  3. Aufbau von Kurz- und Langzeitspeichern: Alle neuen PV-Anlagen sind grundsätzlich mit Batteriespeichern etwa in der kWh-Kapazitätsgrößenordnung ihrer kWp-Leistung auszustatten. PV-Neuanlagen mit Speichern sind wirtschaftlicher.
  4. Beschleunigung der Energiewende durch den massiven Zubau von dezentralen Erneuerbare Energien-Anlagen möglichst nah am Verbrauch. Abschaffung sämtlicher Deckelungen bis zur vollständigen regenerativen Deckung des gesamten deutschen Energiebedarfs.
  5. Beseitigung aller bürokratischen und finanziellen Belastungen des Eigenverbrauchs: Eigenverbrauch ist selbst erzeugter Strom, der das private Netz nicht verlässt, unabhängig von anderen Rechtsverhältnissen. Kleine Anlagenbetreiber dürfen nur dazu verpflichtet werden, ihre maximale Einspeiseleistung zu deklarieren und netzkonforme Wechselrichter zu benutzen.
  6. Abschaffung jeglicher Eingriffe in das private Energiesystem mit Neufassung und Liberalisierung der Technischen Anschlussbedingungen. Regulierende TABs nur für das öffentliche Netz vorschreiben. Lokale Energieerzeuger, Speicher und lokaler Eigenverbrauch dürfen weder meldepflichtig sein noch mit Abgaben belastet werden, sondern sind rechtlich ebenso liberal zu behandeln wie der Salat aus dem eigenen Garten oder das Licht aus dem Fahrraddynamo.
  7. Monovalente Energieversorgung mit Strom und die bestmögliche Erneuerbare Energien-Nutzung durch Sektorenkopplung mit Wärme/Kühlung und die E-Mobilität anstreben. SmartMetering muss spätestens bei der Mittelspannung enden, also z.B. begrenzt auf benachbarte Orte oder einen Stadtteil.
  8. Zurückstellen der ökonomischen Interessen von Netzbetreibern und Versorgern zugunsten von Bürgerinteressen und Klimaschutz: Ausbau des Übertragungsnetzes auf wenige sinnvolle Projekte beschränken. Die Verteilnetze werden durch eine Speicher-gestützte Reduktion der Netzvolatilität ohne Ausbauaufwand stabilisiert.
  9. Dezentralisierung durch lokale und regionale Bündelung von EE-Erzeugung, Speicherung und Verbrauchanstreben. Für PV-Kleinanlagen gilt das Credo: Einfach ins Netz einspeisen war gestern, dezentrale Autarkiefähigkeit muss zum neuen Mainstream werden.

Förderungen mit finanzieller Unterstützung durch den Staat sind kaum nötig und sollten auf sinnvolle Maßnahmen begrenzt werden. Dazu gehören

  • Nachrüstung ausgeförderter PV-Anlagen mit Batterien. Option auf Umwandlung der laufenden EEG-Förderung in eine Speicherförderung, sofern auf höheren Eigenverbrauch umgestellt wird.
  • Eine angemessene, nicht überzogene E-Fahrzeug-Förderung. Auszunehmen sind Hybridautos ,die meist schwer sind und überwiegend als Verbrenner gefahren werden.
  • Unterstützung autarkiefähiger Gebäudeautomation und von Speichern.
  • Erleichterung des Markteinstiegs von Wasserstofftechnologien und anderen Langzeitspeichern. Entwickelt sind sie bereits. Das gilt sowohl für kleine Elektrolyse-Einheiten einer PV-gestützten Haushaltsstromversorgung als auch für großtechnische Energieversorgung bei Windparks, die ihre Überproduktion mit Power-to-X direkt in industrieverwertbare Energieträger umsetzen sollten anstatt wie bisher die Windräder abzuregeln. Nichts hindert uns daran, die H2-Technologiensinnvoll in eine dezentralisierte Energiewende einzubinden und auf prestiegeträchtige, aber nutzlose und sogar kontraproduktive großtechnologische Projekte zu verzichten, die ohne öffentliche Finanzierung nie gebaut würden. Während dezentrale Lösungen ohne administrative Hürden längst gebaut würden.

Fazit

Als kollektive Verirrung – sogar in der IKT-Szene und der Wissenschaft – kann man die ständige Fehlinterpretation des Begriffs Digitalisierung sehen, die meist synonym zur Internet-Vernetzung gesehen wird. Digitalisierung bedarf aber nicht zwangsläufig der Vernetzung, sondern genau umgekehrt. Aus schwarmdummen Gebäuden kann man keine SmartCity machen. Mit der höchst fragilen, weil viel zu komplexen Alles-mit-allem-Vernetzung wird ein neuer Irrweg eingeschlagen. Besonders fatal ist dabei, dass eine mühsam den großen Energieversorgern abgerungene Dezentralisierung von Energieerzeugung und Speicherung schleichend wieder zentralisiert wird. Dabei werden nicht nur Profiling-taugliche Prosumer-Energieflüsse Netzbetreibern und Versorgern zentral zur Verfügung gestellt, sondern diesen auch noch erlaubt, intransparent steuernd in private Anlagen einzugreifen. Das könnte das Ende einer demokratischen Energiewende bedeuten –unter dem Vorwand optimaler Netzstabilisierung und Energiepreisgestaltung. Die Bürger dürfen dann noch in dezentrale erneuerbare Energien-Anlagen investieren, aber die zentrale Kontrolle bleibt bei den Energiekonzernen und wird sogar noch verstärkt– ein wahrhaft schlechter Deal.

->Quelle:  eurosolar.de/EUROSOLAR_Kompendium_Digitalisierung.pdf